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Zweiter Akt im Kampf gegen die Teuerung

Von Karl Leban und Bernd Vasari

Wirtschaft

Nach der historischen Wende im Juli hat die Europäische Zentralbank die Zinsen nun um 0,75 Prozentpunkte erhöht - so stark wie noch nie seit der Euro-Bargeldeinführung. Unterdessen steigt die Gefahr einer Rezession.


Europas Währungshütern brennt angesichts der von Rekord zu Rekord eilenden Inflation der Hut. Anders ist nicht zu erklären, warum sie am Donnerstag bei ihrem ersten Treffen nach der Sommerpause den größten Zinsschritt seit der Euro-Bargeldeinführung 2002 gesetzt haben. Wie die Europäische Zentralbank (EZB) mitteilte, hat der Rat, ihr oberstes geldpolitisches Gremium, beschlossen, den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent anzuheben. Der Einlagensatz, zu dem Geschäftsbanken überschüssige Liquidität bei der Notenbank parken, wurde ebenfalls in diesem Ausmaß erhöht - auf 0,75 Prozent.

In der Eurozone ist die jetzige Zinsanhebung nun der zweite Straffungsschritt in Folge. Im Juli hatte die EZB, deren Aufgabe es ist, für stabile Preise zu sorgen, eine historische Zinswende eingeleitet und die Schlüsselsätze zum ersten Mal seit elf Jahren nach oben gesetzt - um einen halben Prozentpunkt. Nun ist der nächste Schritt mit einem Dreiviertel-Prozentpunkt noch höher ausgefallen. Ihn hatten mehrere Ratsmitglieder, darunter der österreichische Notenbankchef Robert Holzmann, bereits vor dem EZB-Zinsmeeting in der Öffentlichkeit stark befürwortet.

Der Beschluss am Donnerstag fiel "einstimmig", wie EZB-Chefin Christine Lagarde vor Journalisten sagte. "Wir hatten unterschiedliche Ansichten am Tisch, eine gründliche Diskussion, aber das Ergebnis unserer Diskussionen war eine einstimmige Entscheidung."

Erst spät gehandelt

Lange hatten die Euro-Wächter die hohe Inflation in der Währungsunion, die im August mit einem Höchstwert von 9,1 Prozent das EZB-Inflationsziel von 2 Prozent um mehr als das Vierfache übertraf, als lediglich vorübergehend interpretiert. Viel später als bei anderen großen Notenbanken erfolgte bei der EZB die Abkehr vom geldpolitischen Kurs des billigen Geldes. Die US-Notenbank Fed etwa hat ihre Leitzinsen bereits mehrfach hinaufgeschraubt - dabei zuletzt gleich zweimal infolge um jeweils 0,75 Prozentpunkte.

Auch im Euroraum ist die massive Teuerung für immer mehr Menschen inzwischen zu einer enormen Belastung geworden. Der Druck auf die EZB, der Inflation mit einem höheren Tempo bei den Zinserhöhungen Paroli zu bieten, war in den vergangenen Wochen jedenfalls recht hoch. Wirtschaft, Banken und Ökonomen fordern nun weitere Anhebungen. "Die Europäische Zentralbank hat sich zur Gefangenen ihrer eigenen jahrelangen Niedrigzinspolitik und geldpolitischen Expansion gemacht", war dort zu hören. Sie müsse jetzt "umso entschlossener auftreten, um Vertrauen zurückzugewinnen".

Indes stellt Lagarde keineswegs in Abrede, dass sich das Zinskarussell noch schneller drehen wird müssen: "Der Preisdruck hat in der gesamten Wirtschaft weiterhin an Stärke und Breite gewonnen." Ein Ende der rasant steigenden Preise bei Energie, Lebensmitteln und anderen Gütern ist vorerst nicht in Sicht. Deshalb hat die EZB auch ihre Inflationsprognose für die Eurozone angehoben. War sie noch im Juni für heuer von einer durchschnittlichen Rate von 6,8 Prozent ausgegangen, sind es jetzt 8,1 Prozent. 2023 werde die Inflation dann voraussichtlich bei 5,5 statt wie bisher angenommen bei 3,5 Prozent liegen und 2024 dann auf 2,3 (Juni-Prognose: 2,1) Prozent sinken.

Unterdessen steigt jedoch die Gefahr einer Rezession im Euroraum. Viele Volkswirte halten es mittlerweile für möglich, dass die Wirtschaft im Herbst wegen der Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges und der noch nicht ausgestandenen Lieferkettenprobleme schrumpfen könnte. Lagarde selbst sagte, dass für die Konjunktur im späteren Jahresverlauf und dem ersten Quartal 2023 mit einer "Stagnation" zu rechnen sei.

Kreditkunden höher belastet

Im Gegensatz zu Sparern, die nach langer Durststrecke nun wieder aufatmen können, werden die Folgen der steigenden Leitzinsen vor allem Privathaushalte in Österreich spüren, die einen Kredit abzahlen. "Anders als in Deutschland, wo die meisten Kredite fixverzinst sind, sind die meisten Kredite in Österreich variabel gestaltet", erklärt Helmut Ettl, Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA), dazu. Höhere Leitzinsen bedeuten freilich auch höhere Kreditraten, die Banken geben die Kosten weiter. Ettl betont, dass die FMA stets vor Zinserhöhungen gewarnt habe - jedoch umsonst. "Kredite wurden hierzulande nicht langfristig gesehen." Im ersten Halbjahr war die Kreditvergabe zudem so hoch wie noch nie.

Das Wort Inflation würden viele Menschen nur noch aus Schulbüchern kennen. Auch die Zinsen seien seit Jahrzehnten niedriger, bis sie bei null gewesen seien. "Zwei Generationen kennen weder Inflation noch Zinsen", sagt Ettl. Sein Fazit: "Es wird nun für einige schwerer werden." Zuletzt seien die Kreditnehmer zwar sehr diszipliniert gewesen, nur zwei Prozent aller Kredite konnten binnen 90 Tagen nicht bedient werden. Doch nun ist eine Kehrtwende zu erwarten.