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Osteuropa steht das Schlimmste noch bevor

Von Marijana Miljković

Wirtschaft

2022 wächst das BIP noch. Die Mobilmachung wird Russlands Wirtschaft laut Prognosen auf Jahre hin schwächen.


Die Wirtschaft Ost- und Südosteuropas schlug sich trotz Kriegs in der Ukraine und der Energiekrise besser als erwartet, doch das dicke Ende kommt noch, lautet das Fazit der Wissenschafter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). "Der Aufschwung nach der Pandemie hat Fahrt aufgenommen. Länder mit hoher Tourismusabhängigkeit konnten vieles wettmachen", sagte Mario Holzer, Direktor des WIIW bei der Präsentation der Herbstprognose am Mittwoch.

Für das Gesamtjahr prognostiziert das WIIW für die EU-Mitgliedsstaaten der Region ein Wachstum von 3,9 Prozent, für die Westbalkanstaaten von 3,1 Prozent und für die Türkei von 5,1 Prozent. In allen Fällen ist das deutlich weniger als 2021, "zeugt aber dennoch von einem beeindruckenden Maß an Widerstandsfähigkeit gegenüber einem schweren externen Schock", so die Ökonominnen und Ökonomen.

Die ukrainische Wirtschaft hingegen dürfte heuer um 33 Prozent einbrechen, lautet die Prognose. Die Hälfte des Landes ist durch den Krieg gelähmt, doch immerhin, die Getreideexporte aus den Schwarzmeerhäfen entwickelten sich positiv, so die Expertenmeinung. Im Gegensatz dazu wird die russische Wirtschaft heuer wahrscheinlich um nur 3,5 Prozent schrumpfen.

Starke russische Notenbank

Dass es Russland trotz westlicher Sanktionen so gut geht, hängt laut Holzner sowohl damit zusammen, dass es die Militärausgaben ausgeweitet und somit die Inlandsproduktion gesteigert sowie neue Absatzmärkte für die Energieproduktion gefunden hat, als auch mit der Arbeit der russischen Notenbank. Diese hat die Währung an den hohen Energiepreis gekoppelt. "Durch die strengen Kapitalverkehrskontrollen und die Verpflichtung insbesondere der Energieexporteure, ihre gesamten Fremdwährungseinnahmen sofort in Rubel zu konvertieren, konnte der Rubel-Kurs auf hohem Niveau stabilisiert werden, sogar auf einem höheren Niveau als vor Ausbruch des Krieges", erläuterte der WIIW-Direktor. Damit wurde auch die Inflation stabilisiert, weil die Importpreise nicht mehr so stark gestiegen sind. Dadurch war die Zentralbank auch in der Lage, in einer Reihe von Schritten die Zinsen zu senken.

Die Mobilmachung, mit der Russlands Präsident Wladimir Putin rund 300.000 Reservisten in den Krieg gerufen hat, dürfte sich hingegen langfristig negativ auf die russische Wirtschaft auswirken, sagt Holzner. "Wir sprechen hier nicht nur von den vermutlich 300.000 eingezogenen jungen Männern, sondern von einer Dunkelziffer von bis zu 700.000, die das Land fluchtartig verlassen haben." Das seien zum Teil gut ausgebildete Leute, die der russischen Wirtschaft auch mittel- und längerfristigen fehlen würden. Die Erwartung sei, dass nächstes Jahr ungefähr 0,5 Prozent des Wirtschaftseinbruchs auf die Rechnung dieser Teilmobilmachung gehen werde, so Holzner.

Inflation zweistellig

Probleme erwarten die Experten aufgrund der Inflation, die in fast allen untersuchten Ländern zweistellig ausfallen wird. Haupttreiber sind die Energiekosten, in einigen Ländern aber auch die Lebensmittelpreise. Die Abhängigkeit von Erdgas ist hoch, und ein Gaslieferstopp in den Nachbarländern Slowakei, Tschechien und Ungarn würde sich auch negativ für Österreichs Wirtschaft auswirken, sagt Holzner. "Die Gasspeicher sind gut gefüllt, aber selbst die hohen Füllvolumina halten nur über einen beschränkten Zeitraum", so der Experte.