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Hinter den Kulissen der Klimakonferenz

Von Sandra Czadul

Wirtschaft

Helmut Hojesky, Leiter der österreichischen Delegation erläutert, warum es so schwierig ist, Fortschritte zu erzielen.


Die UN-Klimakonferenz COP27, die derzeit in Sharm El-Sheikh über die Bühne geht, steht in einer langen Tradition. Die COP1 fand 1995 in Berlin statt. Dort wurde die Basis für das Kyoto-Protokoll, dem weltweit ersten Vertrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen, geschaffen. 26 Klimakonferenzen später sind die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher zu spüren. Helmut Hojesky ist seit 1997 Leiter der österreichischen Delegation bei der COP (Conference of the parties, also Vertragsstaatenkonferenz zum Klima). Mit der "Wiener Zeitung" sprach er über die Bedeutung der COP.



"Wiener Zeitung":Sie waren bei allen Konferenzen dabei. Was war bisher der größte Fortschritt? Helmut Hojesky: Das Kyoto-Protokoll wurde 1997 verabschiedet. Allerdings mit dem Nachteil, dass nur Industrieländer verpflichtet wurden, ihre Emissionen zu reduzieren. Heute wissen wir, dass die ganze Welt ihre Emissionen signifikant zurückfahren muss. Diese Änderung ist erst bei der COP21 in Paris passiert. Der Schlüssel zum Erfolg in Paris war, dass keine Reduktionsprozente für die Vertragsparteien festgelegt wurden, so wie es beim Kyoto-Protokoll war. Stattdessen schätzt jeder Staat selbst ein, was und wie viel er reduzieren kann.

Welche Konsequenzen hat eine Nichteinhaltung dieser Selbsteinschätzung?

Es geht hier um die sogenannten Nationally Determined Contributions (NDCs), also national festgelegte Beiträge. Rein rechtlich sind es keine Verpflichtungen, aber die Länder müssen berichten was sie getan haben, um sie zu erreichen. Diese Beiträge werden von Expertenteams überprüft und bei Nichteinhaltung steht man zumindest am politischen Pranger. Ein Wermutstropfen ist, dass es keine Sanktionen gibt. Jetzt geht es darum, diese Beiträge nachzubessern. Gemäß Pariser Klimaabkommens müssen diese NDCs alle fünf Jahre angepasst werden.

Die Klimakonferenzen haben zwar einen Fortschritt bewirkt, es geht aber sehr schleppend voran. Woran liegt das?

Von außen entsteht der Eindruck, dass der Prozess sehr langsam abläuft und wenige Ergebnisse liefert. Der Grund dafür ist, dass wir uns nie auf Abstimmungsregeln einigen konnten, und das seit der ersten COP in Berlin. Dieses Problem schleppt man von einer COP zur nächsten. Wenn es keine Abstimmungsregeln gibt, muss man mit dem Konsensprinzip arbeiten. Das heißt, die Entscheidungen dürfen von keiner Vertragsstaatenpartei beeinsprucht werden. Wenn ein Land mit einem Punkt nicht einverstanden ist, muss so lange verhandelt werden, bis das Land zustimmt. Beim Konsensprinzip sind alle gleichmäßig unglücklich, weil jede Vertragspartei Abstriche machen muss.

Wie kommt eine Entscheidung zustande?

Insgesamt gibt es ca. 60 verschiedene Tagesordnungspunkte, die parallel in kleinen Gruppen verhandelt werden. Am Ende werden diese Themen wieder zusammengeführt und die offenen Punkte werden ausdiskutiert. Bevor endgültig der Hammer fällt, werden alle Beschlüsse noch einmal durchgegangen, und da darf niemand im Plenum sagen, das passt mir nicht. Das ist sehr schwierig, aber der einzige Weg.

Die Wissenschaft warnt seit Jahrzehnten vor den Folgen der Klimakrise. Spielen wirtschaftliche Interessen oder die Wissenschaft eine größere Rolle bei den COPs?

Die Wissenschaft gibt ihre Einschätzungen und Empfehlungen. Das sind die bekannten IPCC-Berichte. In der nächsten Zusammenfassung wird stehen, dass wir alle zu wenig gemacht haben. Denn von der Erreichung des 1,5-Grad-Ziels sind wir noch weit entfernt. Mein Resümee nach 27 COPs ist, dass die nationalen und damit auch wirtschaftlichen Interessen immer dominant sind. Die Wissenschaft wird zwar anerkannt, aber viele Länder stehen auf der Bremse, wenn es um weitere Emissions-Reduktionen geht. Die Interessen sind sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite haben wir tiefliegende Inselstaaten, deren Existenz durch den Klimawandel bedroht ist, und auf der anderen gibt es die arabische Gruppe, die Erdöl und Erdgas exportiert und Einbußen in ihren Einnahmen fürchtet.

Ist das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch erreichbar?

Die Chance lebt, aber es ist sehr schwierig. Es müsste sehr rasch sehr viel mehr geschehen. Gerade große Emittenten sind gefragt. Einerseits die Industrieländer, aber auch große Schwellenländer. Wenn ich höre, dass China erst 2060 CO2-neutral sein will und Indien erst 2070, dann ist das zu spät. Damit wir dieses Ziel erreichen, müssen wir Klimaneutralität weltweit spätestens 2050 erreichen. Laut den derzeitigen Ankündigungen und Plänen ist das aber nicht zu erwarten. Wenn nicht rasch nachgeschärft wird, schaut es schlecht aus.

Den Entwicklungsländern wurden 100 Milliarden Dollar versprochen, um Klimaschutz und Anpassung zu finanzieren. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Wie wirkt sich das auf die Verhandlungen aus?

Der globale Südenmacht uns regelmäßig darauf aufmerksam, dass wir unseren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Das überschattet die Verhandlungen. Wir müssen uns eingestehen, dass die 100 Milliarden 2020 nicht zu Stande gekommen sind. Das hat zum einen mit der Coronapandemie zu tun. Ein weiterer Grund ist, dass diese 100 Milliarden US-Dollar nur zu rund einem Drittel aus öffentlichen Geldern abgedeckt werden. Das ist zum Beispiel Entwicklungshilfe, die als klimafreundlich anrechenbar ist, oder auch Beiträge der Weltbank. Zwei Drittel des Geldes kommen vom Privatsektor. Das sind Mittel, die Unternehmen klimafreundlich einsetzen. Hier besteht die Schwierigkeit, dass wir diese Daten nur schwer erheben können.

Wie steht das reiche Österreich zum Thema "Loss and Damage"?

Unsere Position ist klar: Wir verstehen vollkommen, dass hier ein Riesenproblem besteht. Wir sehen, dass es Handlungsbedarf gibt. Was wir aber nicht sehen, ist ein neues Finanzinstrument zu gründen, um Verluste und Schäden zu finanzieren. Man muss das Thema viel breiter betrachten und auch Frühwarnsysteme oder ähnliches mitdenken. Es gibt noch viel zu verbessern, aber dafür müssen wir uns Zeit nehmen. Das ist jetzt auch entschieden worden. "Loss and Damage" ist nun Teil der Tagesordnung, aber mit dem Anspruch, spätestens 2024 ein Ergebnis zu erzielen. Und wir müssen das Thema mit Artikel 2.1 c verbinden. Damit ist gemeint, alle Finanzflüsse an den Pariser Klimazielen auszurichten und zum Beispiel keine fossilen Energieträger mehr zu finanzieren. So wird auch Geld für Loss and damage frei, und wir können nachvollziehen, was mit dem Geld passiert.

Der österreichische Klimapolitik-Experte Reinhard Steurer kritisiert, dass die COPs nur das Ziel haben, den Status quo schonend umzubauen und die österreichische Delegation den österreichischen Scheinklimaschutz gut verkaufen wird. Was sagen Sie dazu?

Ich teile seine Meinung nicht. Über einen längeren Zeitraum bringen die Klimakonferenzen schon sehr viel. Die COP27 ist vielleicht nicht die wichtigste, sondern eine Zwischenkonferenz, wo wir Bilanz ziehen. Die großen Entscheidungen wird es nicht geben. Natürlich führt auch das Medieninteresse dazu, dass man nationale Ankündigungen macht. Ziel der COP ist es nicht, Gewinner oder Verlierer zu haben, sondern dass alle mit dem Gefühl nach Hause fahren, etwas weiter gebracht zu haben. Da das 100- Milliarden-Ziel nicht erreicht wurde, ist das Vertrauen erschüttert, dieses gilt es wieder aufzubauen.