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EU-Staaten einigen sich auf Gaspreisdeckel

Von Andreas Lieb aus Brüssel

Wirtschaft

Der Auftrag des jüngsten EU-Gipfels war mehr als deutlich: Die Energieminister müssen endlich liefern.


Selbst waren die Staats- und Regierungschefs der EU-27 kläglich gescheitert. Beim informellen Gipfel in Prag hatten sie beim Gaspreisdeckel so lange aneinander vorbeigeredet, bis sie endlich einsehen mussten: Der Energiemarkt ist nur etwas für Experten. Die heiße Kartoffel landete also einmal mehr bei den Energieministern, die gestern einen neuen Anlauf unternahmen - nachdem die Staatenlenker beim Dezembergipfel erneut den Druck weitergegeben hatten.

Am Dienstagnachmittag kam es zum Durchbruch: Die EU-Staaten einigten sich auf den Gaspreisdeckel. Demnach kann der Deckel ab einem Preis von 180 Euro pro Megawattstunde ausgelöst werden, wie es in dem von den EU-Energieministern am Montag in Brüssel gefassten Beschluss heißt. Der Mechanismus kann ab dem 15. Februar aktiviert werden. Die Skepsis aber blieb bis zum Schluss.

Der Ausgangspunkt ist bekannt: 15 Mitgliedsländer, darunter etwa Italien oder Griechenland, befürworteten eine strenge, markante Obergrenze beim Einkauf. Andere, wie Österreich oder Deutschland, standen auf der Bremse - sie sind stark von den Lieferungen abhängig und befürchteten, dass ein Preislimit die Produzenten dazu bringen würde, gar nichts mehr zu liefern.

Weltmarktpreis für Flüssiggas

Der Deckel soll greifen, wenn der Gaspreis drei Tage über 180 Euro pro Megawattstunde und zudem 35 Euro über dem Weltmarktpreis für Flüssiggas (LNG) liegt. Nachdem der Mechanismus in Kraft gesetzt wurde, muss der Preis stets 35 Euro über dem LNG-Weltmarktpreis liegen, darf aber nicht unter 188 Euro fallen. Sollte es aber zu einem Gasmangel in der EU oder einem Mitgliedsstaat kommen, wird der Deckel wieder aufgehoben. Derzeit liegt der Gaspreis deutlich unter 188 Euro.

Betroffen von dieser Maßnahme ist aber vorerst nur der niederländische Handelsplatz TTF, dessen Betreiber grobe Disruptionen am Markt befürchten und deshalb schon damit gedroht haben, den Handelsplatz ins EU-Ausland zu verschieben.

Kreml kritisert Maßnahme als "inakzeptabel"

Österreich hat sich bei dieser Abstimmung enthalten. "Ich bin überzeugt, dass er ein Beitrag sein kann, um in Zukunft absurde Auswüchse bei den Gaspreisen zu verhindern. Gleichzeitig wurde jedoch heute in letzter Minute eine Ausweitung auf weitere Gasbörsen neben dem TTF in die Verordnung aufgenommen. Und diese Ausweitung kann auch Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben. Das gilt gerade für Österreich. Auch wenn wir uns in großen Schritten von der russischen Abhängigkeit lösen, brauchen wir diese Lieferungen aktuell noch", erklärte Energieministerin Leonore Gewessler in einem Statement nach dem Beschluss.

Der Kreml hat die von der EU beschlossene Obergrenze bei Gaspreisen als "inakzeptabel" bezeichnet. Es handle sich um eine "Verletzung des Prozesses der Preisbildung auf dem Markt", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen am Montag. "Jede Bezugnahme auf eine 'Deckelung' (der Preise) ist inakzeptabel", betonte er.

Erneuerbaren-Ausbau

Der Preisdeckel war jedenfalls der letzte offene Punkt im Maßnahmenpaket, das unter anderem auch den gemeinsamen Gaseinkauf und Solidaritätsabkommen unter Nachbarländern regelt. Während sich vermutlich die Auswirkungen des Deckels auf die Bevölkerung - und auf deren Energierechnungen - aber in Grenzen halten werden, sofern die Obergrenze jemals greift, birgt ein weiterer Punkt des aktuellen Pakets Zündstoff.

Per Notverordnung wird die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien eingeleitet. Bisher hat alleine die Errichtung eines Windrades sieben oder mehr Jahre gedauert, besonders, wenn es Einwände gab. Nun soll das in wesentlich kürzerer Zeit, in Jahresfrist, erfolgen können.

Naturschützer protestieren

Was zunächst allgemein begrüßt wurde, lässt im Detail aber ausgerechnet Naturschützer auf die Barrikaden steigen. Der Plan sieht vor, dass zu einem späteren Zeitpunkt in jedem Mitgliedsland sogenannte "go to"-Zonen ausgewiesen werden - Flächen, denen von Haus schon eine Art Persilschein ausgestellt wird und in denen dann eben Windräder, Solaranlagen oder Ähnliches sehr schnell projektiert und umgesetzt werden können.

Das schnelle Verfahren könnte durchaus mit dem erforderlichen Netzausbau einhergehen - dass also aus einer 220kV-Leitung plötzlich eine 380kV-Leitung wird. Die Kommission bemüht sich zwar, die Befürchtungen zu dämpfen - so sagte Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans, der Vorschlag konzentriere sich auf Bereiche, bei denen es keine Bedenken gebe, beispielsweise Solarpaneele auf Gebäuden und die Erneuerung bestehender Anlagen - und die Maßnahme soll zunächst ohnehin nur für ein Jahr gelten, doch schlägt etwa der heimische Umweltdachverband bereits Alarm. "Im Artikel 2 der Verordnung wird per Gesetz ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie verankert, das de facto den Lebensraum- und Artenschutz gemäß Vogelschutz- und FFH-Richtlinie aushebelt und das europaweite Natura-2000-Schutzregime preisgibt. Damit laufen wir nicht nur Gefahr, die großen Errungenschaften des Umweltschutzes auf europäischer Ebene dem exzessiven Energiebedarf zu opfern, sondern sägen auch am eigenen Ast, Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage", fürchtet Franz Maier, Präsident des Verbandes.