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Europas Antwort auf den US-Industrieplan

Von Andreas Lieb aus Brüssel

Wirtschaft

Bürokratie abbauen, Gelder umschichten, Industrie neu denken.


Auf der diplomatischen Ebene bemüht sich die EU, den guten Draht nach Washington nicht zu gefährden. Auf wirtschaftlicher Ebene ist es freilich hoch an der Zeit, eine Antwort auf den amerikanischen "Inflation Reduction Act" (IRA) zu finden. Die USA pumpen mehr als 360 Milliarden Dollar in die eigene Wirtschaft, wobei die Betonung auf "eigene" liegt - es soll die Produktion im eigenen Land angekurbelt werden, was dem exportorientierten Europa großes Kopfzerbrechen bereitet. Auch China habe Investitionen in saubere Technologien von mehr als 280 Milliarden Dollar (258 Milliarden Euro) angekündigt.

Nun stellte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Pläne ihrer Behörde vor, den "Green Deal Industrieplan". Der Name lässt nicht offen, woher der Wind weht: Er orientiert sich an bereits bestehenden Initiativen rund um den "Green Deal" und ist, wie es heißt, mit den "Stärken des Binnenmarkts" und dem Programm RePower EU verknüpft.

Vier-Punkte-Plan

Von der Leyen nannte vier zentrale Punkte: ein besser planbares und vor allem stark beschleunigtes regulatorisches Umfeld, beschleunigter Zugang zu Finanzmitteln, den Ausbau bestehender industrieller Stärken sowie eine größere Unabhängigkeit von globalen Lieferketten. Eine wichtige Rolle komme dem Bürokratieabbau zu, so von der Leyen. Ein neuer Gesetzesvorschlag soll sich damit beschäftigen, die Gewinnung bzw. Verarbeitung von Rohmaterialien innerhalb der EU zu forcieren, ebenso das Recycling. Und: Brüssel will Initiativen starten, um der Personalmisere entgegenzuwirken. So sei man derzeit zwar auf einem erfreulichen Arbeitslosen-Durchschnitt von nur 6 Prozent, tatsächlich aber bereitet in vielen Branchen der Mangel an Mitarbeitern Sorgen. Gleichzeitig liege die Jugendarbeitslosigkeit bei 14 Prozent. Nicht einmal die Hälfte aller Menschen im Alter zwischen 60 und 64 Jahren sei noch berufstätig, damit gehe enormes Potenzial an Wissen und beruflicher Erfahrung verloren. Und schließlich dürfe man die nötige Zuwanderung nicht außer Acht lassen.

"Für uns ist das eine einmalige Gelegenheit, Vorreiter im schnell wachsenden Sektor der emissionsneutralen Industrie zu werden", gab sich die Präsidenten optimistisch. Zunächst scheint die heikle Frage der Finanzierung auf Schiene zu sein: Man nimmt einfach bestehende Töpfe und strafft deren Widmung. So sind im Recovery-Fund (RRF) nicht weniger als 250 Milliarden Euro für einen "grünen Übergang" reserviert, über das Programm "InvestEU" können laut Kommission bis zu 372 Milliarden Euro mobilisiert werden, und für das kommende Jahrzehnt warten noch einmal 40 Milliarden aus dem "Innovation Fund" ermöglicht. Mit dem Geld soll das Beihilfensystem lockerer gehandhabt werden - keine leichte Übung im europäischen Gefüge, denn je freier die Beihilfen ausgelegt werden, desto eher können Wirtschaftsmächte wie Deutschland oder Frankreich den anderen Ländern davonziehen. Hier muss also ein Ausgleich geschafft werden.

Beihilfenregeln neu strukturiert

Offen blieb zunächst die Frage, was nach dem Leeren der Töpfe kommt. In der Kommission denkt man deshalb über einen "Souveränitätsfonds" nach, was letzten Endes auf neue, gemeinsame Schulden hinauslaufen würde. Viele Länder, auch Österreich, lehnen das aber ab; die Staaten dürften auch nicht in einen Wettlauf des gegenseitigen Überbietens geraten. Zu Beginn der Woche hielt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni dazu in der "FAZ" fest, dass die Beihilfenregeln nicht abgeschafft, sondern besser strukturiert werden sollen. Danach müsse man schauen, wie weit man mit den vorhandenen Mitteln komme, und dann erst stelle sich die Frage, wie groß nationale Unterschiede sind, die man abfedern muss. Gentiloni stellte dabei aber auch klar, dass es eben nicht nur darum gehe, vorhandenes Geld hin- und herzuschieben - man brauche dann neues.

Die Reaktionen auf die Vorschläge fielen vorerst positiv aus, vor allem von den Grünen. "Die EU-Kommission hat endlich die Dringlichkeit erkannt, etwas gegen die sich verschlechternde Wettbewerbsfähigkeit Europas zu unternehmen", sagte etwa Fredrik Persson vom Interessensverband Business Europe. Terry Reintke, Ko-Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im EU-Parlament, begrüßte die Pläne, sprach sich aber auch deutlich für einen EU-Investitionsfonds aus, um Ungleichgewichte auszugleichen und die Einheit des EU-Binnenmarkts sicherzustellen.