Zum Hauptinhalt springen

Staatsfonds als Selbstbedienungsladen

Von Felix Lill

Wirtschaft

Ein Schweizer Whistleblower hat einen der größten Veruntreuungsskandale der Geschichte ans Licht gebracht.


Der Schweizer Finanzmanager Xavier Justo brachte einen der größten Veruntreuungsskandale der Geschichte ans Licht. Als Whistleblower wird ihm noch ein knappes Jahrzehnt später das Leben schwer gemacht. Der Fall stellt Fragen über die Justiz in gleich mehreren Ländern. "Mein Sohn weiß, dass sein Vater im Gefängnis war", sagt Xavier Justo am Telefon und klingt stolz, aber auch beschämt. "Und ich denke, er versteht auch, dass es dafür einen guten Grund gibt." Der Achtjährige, der über die vergangenen Jahre einer behüteten Kindheit beraubt wurde, lerne gerade wichtige Dinge fürs Leben, glaubt sein Vater: Manchmal sei es wichtig, das Richtige zu tun, auch wenn man damit rechnen müsse, dass einem dafür Falsches widerfahren werde. "Ich bereue nichts", betont er.

Dennoch wird er seinem Sohn noch viel erklären müssen. Denn heute lebt Justo, der vor einigen Jahren als Privatier finanziell ausgesorgt zu haben schien, in einer Mietwohnung mit rund 60 Quadratmetern - und dies nicht etwa in seinem Geburtsland Schweiz, sondern im spanischen Valencia. Und die Sätze, die er von sich gibt, sind erstaunlich: "Wir haben Probleme, noch unsere Rechnungen zu zahlen", oder: "Einem wie mir gibt heute niemand mehr einen Job. Es wurde zu viel über mich berichtet." Zudem resümiert der 56-Jährige: "Das Whistleblowing hat uns am Ende sehr, sehr viel gekostet."

Bereicherung am sozialen Wohlstand Malaysias

Die Affäre, die Justo ans Licht gebracht hat, ist einer der größten Veruntreuungsskandale der Geschichte. Kurz zusammengefasst: Der malaysische Staatsfonds 1MDB war um Milliarden US-Dollar gebracht worden, weil Staatsoffizielle die Einlagen, die offiziell zur Vergrößerung des sozialen Wohlstands Malaysias vorgesehen waren, lieber zur eigenen Bereicherung verwenden wollten. Und als Justo mit diesem Wissen an die Öffentlichkeit ging, erfuhr er einen Wirbelsturm mächtiger Opposition: Gefängnis, Verleumdung, finanzielle Probleme.

Doch der Reihe nach. Justo, ein Sohn spanischer Einwanderer in Genf, gehörte zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts zu den Gewinnern dieser Welt. Der Vermögensverwalter fuhr teure Autos, reiste um die Welt. Als er einen Job als IT-Chef und Geschäftsführer der in London ansässigen Ölfirma Petrosaudi niedergelegt hatte, kam er an pikante Mailwechsel um diesen früheren Arbeitgeber, die Veruntreuung offenbarten. "Ich war schon länger verwundert gewesen über die hohen Ausgaben", sagt er später. Mit den zwei Direktoren – die Schweizer Patrick Mahony und Tarek Obaid – sollte um diesen Datensatz später noch ein Streit ausbrechen.

Der ehemalige Banker Justo vermutete einen Skandal, gab den Datensatz an die regierungskritische malaysische Zeitung "The Edge", die bereits recherchierte. Ab 2015 publizierte sie ihre Ergebnisse: Offizielle des malaysischen Staatsfonds 1MDB (1Malaysia Development Berhad) hatten mithilfe der Firma Petrosaudi große Summen an Geld verschwinden lassen. Es geht um insgesamt rund 4,5 Milliarden US-Dollar, allein 700 Millionen tauchten später auf dem Konto des damaligen malaysischen Premierministers Najib Razak auf.

"Größter Fall von Kleptokratiein der Geschichte der USA"

Eine Bombe war geplatzt. Nur führte die Offenlegung dieses Skandals, den die bald eingeschaltete US-Justiz als "größten Fall von Kleptokratie in der Geschichte der USA" bezeichnete, nicht etwa zu Reue oder zumindest Schmallippigkeit. Eher im Gegenteil. Wenige Monate nach der Veröffentlichung wurde Justo unter fadenscheinigen Gründen in Thailand verhaftet. "Die Zelle war 30 Quadratmeter groß, 50 Menschen schliefen ohne Matratzen auf dem Boden", erinnert sich Justo heute. "Das Klo war die Zelle selbst. Es roch nach Tod."

Der Vorwurf gegen Justo: Mit den Daten habe er Petrosaudi zu erpressen versucht. Insofern legte Justo auch auf Anraten eines scheinbaren Scotland-Yard-Polizisten ein Geständnis ab, wobei der Schweizer Rundfunk später berichtete: Bei dem Mann habe es sich um einen Beauftragten von Petrosaudi gehandelt. Und während Justo und dessen Familie "durch die Hölle" gingen, blieben die Bosse von Petrosaudi sowie ein malaysischer Investor namens Jho Low, über den in der Sache ebenfalls hohe Summen geflossen waren, unbescholten.

Immerhin drei Jahre später gab es auch in Malaysia echte Folgen. Zunächst war der Zeitung "The Edge" das weitere Publizieren verboten worden, was sich in Zeiten des Internets aber nicht recht durchsetzen ließ. Bei den Parlamentswahlen 2018 wurde der involvierte Premier Razak dann abgewählt. Dessen Nachfolger Mahathir Mohammad brachte eine Untersuchung auf den Weg, auch gegen den Ex-Premier. In mehr als zehn Staaten wurden Strafverfahren eröffnet, mehrere Personen verhaftet. Der Drahtzieher Jho Low musste bereits rund eine Milliarde US-Dollar zurückzahlen.

Also hat die Gerechtigkeit gesiegt? Stellt man Xavier Justo diese Frage, muss er bitter lachen. "Die ganzen Prozesskosten sind hoch gewesen", erklärt er. "Wir sind praktisch pleite." Seine Ehefrau Laura Justo, mit der er gerade ein autobiografisches Buch über die Affäre veröffentlicht hat, habe den heute achtjährigen Sohn lange Zeit allein und in Unsicherheit aufziehen müssen, während sie gleichzeitig versuchte, ihren Mann aus dem Gefängnis zu holen. Als dies gelungen war, lebte Familie Justo zunächst in jenem Land, das den Skandal am härtesten traf.

"In Malaysia ist Xavier Justo ein Held", schrieb die "Neue Zürcher Zeitung" schon im Jahr 2019. Nur regiert dort mittlerweile wieder die Partei des in den 1MDB-Skandal verwickelten Ex-Premiers Razak, sodass die Familie aus Vorsicht weiterzog. Und das Heimatland Schweiz bot sich auch nicht gerade an, denn dort ermitteln Behörden längst auch gegen Justo: Wegen Industriespionage, da er ja Daten weitergab.

Kronzeuge, Whistlebloweroder doch Spion?

"Es ist ironisch", sagt der Whistleblower heute. "Einerseits ermitteln sie gegen mich und andererseits wollen sie meine Hilfe als Kronzeuge im Fall gegen Petrosaudi. Ich war in den vergangenen Jahren mehrmals in Bern und habe ausgesagt." Dabei habe er mittlerweile kein sehr großes Vertrauen mehr, dass die Verantwortlichen auch wirklich alle zur Verantwortung gezogen würden. "Bei Petrosaudi haben sie die besten Anwälte und verzögern ständig den Prozess. Im Oktober 2024 würde die Sache verjährt. Dann könnten sie sogar von der Schweizer Justiz Geld zurückverlangen."

Auch dieser macht Justo Vorwürfe. "Ein Großteil der Summen lief über Schweizer Banken. Aber Finanzkriminalität wird dort einfach nicht wirklich verfolgt. Es ist alles so unglaublich langsam. In anderen Ländern hat es längst Urteile gegeben", ärgert er sich. Seine Hoffnung will Justo aber noch nicht aufgeben, wenngleich er heute glaubt: "Die Erfahrung hinter thailändischen Gittern war sehr unangenehm." Die schlimmsten Dinge aber, meint er, spielten sich nicht im Gefängnis ab, sondern draußen.