Vor einem Jahr hat Russland seinen Krieg gegen die Ukraine begonnen. Der anfangs erwartete heftige Wirtschaftseinbruch als Folge der westlichen Sanktionen ist bisher ausgeblieben. Allerdings steht das einst boomende Schwellenland vor einer Vielzahl von Problemen. Nachfolgend ein Überblick, wie die russische Wirtschaft derzeit dasteht.
WIRTSCHAFTSWACHSTUM
Im ersten Kriegsjahr 2022 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 2,2 Prozent geschrumpft. Dabei hatten einige Experten aufgrund der westlichen Sanktionen mit einem Einbruch um mindestens 10 Prozent gerechnet. Allerdings: Namhafte Experten wie etwa Wifo-Chef Gabriel Felbermayr zweifeln die Echtheit der russischen Angaben an. Der Ökonom sagte erst am Donnerstag, er hege Zweifel, dass der Einbruch im Vorjahr nur 2,2 Prozent betragen habe. Auch blähe eine Kriegswirtschaft ein Bruttoinlandsprodukt immer auf - während viel des Outputs wie etwa Raketen am Schlachtfeld verglüht, so Felbermayr.
Der Zentralbank zufolge hat sich die russische Wirtschaft, die schon seit Jahren mit Sanktionen leben muss, aber rasch an die neue Lage angepasst. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt für heuer ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent voraus, dem 2024 ein Plus von 2,1 Prozent folgen soll.
Nach Prognose der Ratingagentur Scope dürfte das Defizit heuer auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Die russische Wirtschaft werde erst am Ende des Jahrzehnts auf das vor dem Einmarsch in die Ukraine erreichte Niveau zurückkehren. Der Kreml habe zwar mit Hilfe der Zentralbank die zeitweise hohen Exporteinnahmen dazu genutzt, um die unmittelbaren Folgen des Kriegs und der westlichen Sanktionen auf die Binnenwirtschaft abzufedern. "Aber die längerfristigen Aussichten haben sich verschlechtert", sagt Scope-Analyst Levon Kameryan. Die russische Wirtschaft werde daher voraussichtlich bis etwa 2030 brauchen, um wieder das Vorkriegsniveau erreichen.
STAATSHAUSHALT
Wegen hoher Rüstungsausgaben und einbrechender Einnahmen aus Energieexporten steuert Russland heuer erneut auf ein Staatsdefizit zu. Es soll höchstens zwei Prozent BIP betragen, sagt Finanzminister Anton Siluanow. Experten sind da skeptischer, wurde doch allein im Jänner ein Fehlbetrag von fast 25 Milliarden Dollar (rund 24 Milliarden Euro) gemeldet, der zum Teil auf die sinkenden Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft zurückzuführen ist. Dies veranlasste Analysten dazu, ein Haushaltsdefizit von bis zu 5,5 Billionen Rubel (69 Mrd. Euro) für das Gesamtjahr zu veranschlagen. Das entspräche 3,8 Prozent des BIP - fast doppelt so viel wie geplant. Russland verkauft bereits Devisen im Wert von 8,9 Milliarden Rubel pro Tag, um das Defizit zu decken. Auch denkt die Regierung über eine einmalige "freiwillige" Steuer für Großunternehmen nach, die rund 300 Mrd. Rubel in die Staatskassa spülen könnte.
INFLATION
Die Inflationsrate lag im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 11,9 Prozent und damit um fast das Dreifache über dem von der Zentralbank angestrebten Ziel von 4 Prozent. Für das laufende Jahr rechnet sie mit einer Teuerungsrate von 5 bis 7 Prozent, ehe im kommenden Jahr die Zielmarke von vier Prozent wieder erreicht werden soll. Mitte Februar lag die Inflationsrate bei 11,6 Prozent. Russische Verbraucher geben regelmäßig die Inflation als ihre Hauptsorge an. Die Mehrheit verfügt über keinerlei Ersparnisse, nachdem ein Jahrzehnt der Wirtschaftskrise und steigender Preise den Lebensstandard im ganzen Land nach unten gezogen haben.
ARBEITSLOSIGKEIT
Die offizielle Arbeitslosenquote lag im Dezember bei 3,7 Prozent - ein Rekordtief. Hochrangige Regierungs- und Zentralbankvertreter haben wiederholt ihre Besorgnis über den Arbeitsmarkt geäußert, nachdem Präsident Wladimir Putin Ende September 2022 eine "teilweise Mobilmachung" von Männern im überwiegend erwerbsfähigen Alter für den Krieg gegen die Ukraine angeordnet hatte. Hunderttausende Russen flohen seither aus dem Land, während rund 300.000 zur Armee eingezogen wurden. Damit beschleunigten sich negative demografische Trends, "insbesondere der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter", so die Ratingagentur Scope. (reuters)