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Nachbarschaftsbeziehungen

Von Monika Jonasch

Wirtschaft

Deutschland und Österreich sind wirtschaftlich eng verflochten, bei den Strompreisen lässt der trotz Krisen resiliente Binnenmarkt allerdings zu wünschen übrig.


Es gibt kaum ein Länderpaar im europäischen Binnenmarkt, das die Krisen der vergangenen Jahre so gut bewältigt hat wie Österreich und Deutschland, hieß es am Dienstag bei der Jahrespressekonferenz der Deutschen Handelskammer (DHK) in Österreich. "Die Wirtschaftsanbindung an Deutschland ist nach wie vor das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft und umgekehrt", erklärt Hans Dieter Pötsch, Präsident der Deutschen DHK in Österreich dazu.

In Zahlen gegossen bedeutet dies per Ende 2022 ein Handelsvolumen von 146,6 Milliarden Euro und damit das beste Ergebnis der Geschichte. Österreich exportierte vergangenes Jahr Waren im Wert von 57,7 Milliarden Euro nach Deutschland, das ist ein Anstieg um 21,5 Prozent gegenüber 2021. Die Importe stiegen um 22,7 Prozent auf einen Rekordwert von 88,8 Milliarden Euro.

Schwachstelle Energie

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr analysiert dann allerdings die Schwachstellen der nachbarschaftlichen Verbundenheit. So hätte Österreich seit der Trennung der Strompreiszone 2018 im Monatsschnitt um bis zu zehn Prozent höhere Großhandelspreise als Deutschland. "Für eine so tief integrierte Wirtschaftszone und im Binnenmarkt ist das keine gute Lösung", meint er und fordert den Ausbau der grenzüberschreitenden Infrastruktur. Höhere Energiekosten wirken sich massiv auf die Produktion in Österreich aus und sorgen für erhebliche Standort- und Wettbewerbsnachteile.

Handlungsbedarf sieht er auch bei der "höheren Preisdynamik" in Österreich. Felbermayr bezieht sich hier ausdrücklich auf die durchschnittlich bis zu 13 Prozent höheren Preise für die gleichen Lebensmittel und Drogerieprodukte. Einen Grund sieht er in der hohen Konzentration im heimischen Einzelhandel und damit im mangelnden Wettbewerb. Der Wifo-Chef fordert: "Hier muss man etwas tun!"

Sorge bereitet Felbermayr auch die Teuerung im Allgemeinen. Zwar gebe es bei den Produzentenpreisen bereits Rückgänge, was ein Indikator für eine sukzessiv sinkende Inflation sei. Im März lag jedoch die Kerninflation in Österreich bei 8 Prozent, in Deutschland hingegen bei 5,9 Prozent. Damit drohten Einbußen beim Wettbewerb, höhere Zinsen für die Staatsverschuldung. Felbermayr: "Es muss in Österreich mehr passieren, um die Inflation zumindest dorthin zu bringen, wo sie in Deutschland ist."

Außerdem sehe man in beiden Ländern noch kein Aufholen des Wachstumseinbruchs der Corona-Zeit. Seit 2019 gibt es in Österreich pro Kopf einen Wohlstandsverlust von 10.000 Euro, in Deutschland sind es 8.000 Euro. "Das haben uns die Corona- und die Energiekrise gekostet." Gerade aufgrund der engen Verflechtungen der beiden Länder bereitet ihm auch der Produktionseinbruch in der deutschen Industrie seit 2017 Kopfzerbrechen. Nicht erst seit Corona verzeichnet Deutschland hier massive Wertschöpfungsverluste.

Industrie als Sorgenkind

Im Gegensatz zur Schweiz, Österreich und Tschechien kann der große Nachbar nach wie vor keinen Aufwärtsschwung einfahren. "Das hat mit geringer Industrieinvestition zu tun, der deutsche Standort leidet." Man müsse diskutieren, wie man das Investitionsklima für die Industrie verbessern könne. Wenig überraschend seien vor allem die energieintensiven Sektoren betroffen.

Als Aushängeschild der deutsch-österreichischen Wirtschaftsbeziehungen beschreibt der Agrana-Vorstandsvorsitzende Markus Mühleisen aktuelle Herausforderungen für den globalen Frucht-, Zucker- und Stärkekonzern. "Wir haben alleine in Österreich einen Energiebedarf von 2,75 Millionen Megawattstunden jährlich. Das waren im Jahr 2022 Energiekosten von 240 Millionen Euro, um 100 Millionen Euro mehr als 2021 und mehr das Dreifache von dem, was wir zwei Jahre davor hatten."

Zwar will man 400 Millionen in Dekarbonisierung investieren, viele Agrana-Kunden fragten sich aber, ob sie weiter in Europa investieren sollen. Knackpunkte seien Energie und Investitionsklima. "Gerade für die biobasierte Ökonomie braucht es eine starke Landwirtschaft als Rohstoffbasis." Politisch werde diese derzeit eher eingeschränkt. Mühleisen fordert verstärkte europäische Kooperation sowie bessere Regularien, um Innovationen umsetzen zu können und die Produktion sowie die Versorgungssicherheit in Österreich, Deutschland sowie der EU bewahren zu können. Der EU-Binnenmarkt sei das wichtigste Gegengewicht zum Protektionismus der USA und Chinas, sind sich alle Wirtschaftsexperten einig.