Zum Hauptinhalt springen

"Wir haben mehr Gäste als je zuvor"

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Wirtschaft

Die Landschaft ist traumhaft, das Meer kristallklar - der Griechenland-Tourismus boomt.


Die Sonne strahlt schon stark, obgleich der Mai gerade erst begonnen hat. Die Landschaft ist traumhaft, das Meer kristallklar. Vouliagmeni, noch in den 1980er Jahren ein verschlafener Strandort, heute aber Griechenlands allererste Adresse, liegt an einem langgezogenen Küstenabschnitt, der für Eingeweihte wie Kenner schöner als die Côte d’Azur ist.

Den Besucher erwartet am malerischen Saronischen Golf ein für Hellas eher ungewöhnliches Tropen-Flair mit unzähligen Palmen und einer geschützten Bucht. Ob Jackie Onassis, Tony Blair, Frank Sinatra oder Nelson Mandela: Sie alle waren schon hier. Ihre Unterkunft war das legendäre "Astir Palace Resort", bis heute eine der Top-Anlagen in ganz Griechenland. Die Reichen, Mächtigen und Schönen schwärmten vom exklusiven Inselgefühl in Vouliagmeni, nur eine gute Autostunde von der pulsierenden Metropole Athen entfernt.

Ihnen folgen Normalsterbliche aus aller Welt, um hier Wassersport zu treiben, frische Seeluft einzuatmen, abzuschalten oder einfach die Seele baumen zu lassen. Schon sind die ersten Urlauber dieser Reisesaison da. Die Familie Martel aus dem südfranzösischen Montpellier verbringt hier ihren einwöchigen Urlaub, gerade sind in ihrer Heimat Frühlingsferien.

Für Papa Sebastian Martel ist der Griechenland-Urlaub zu dieser Jahreszeit genau die richtige Wahl."Das Meer ist nicht so kalt wie bei uns, das Wetter schon gut, die Küche toll. Was will man mehr?" Seine Frau Margaux nickt, auch ihre beiden Jungs blinzen zufrieden in die Sonne. Nach dem Schwimmen ist jetzt Beachball angesagt.

Ein paar Schritte weiter wartet Stefanos Giotis (37) frisch rasiert, braungebrannt, äußerlich vom Typ entschlossener Zupacker, auf seine Gäste. Im Lokal "En Plo", das einem bekannten Athener Gastronomen gehört, begann Giotis vor gut zehn Jahren als Kellner zu arbeiten. Heute leitet er das "En Plo" in absoluter Bestlage direkt am Meer, die weitläufige Sonnenterrasse und ein Traumausblick inklusive.

Teuer, teurer, Griechenland

Giotis schlürft aus der Tasse griechischen Mokka. Ja, ein anstrengender Job sei das schon, mit viel Arbeit, oftmals herrsche Hochbetrieb, erzählt er lächelnd. Aber das sei genau das, was er tun wolle. Die Saison habe gut begonnen. "Wir liegen über dem Niveau von 2019. Wir haben mehr Gäste als je zuvor. Und sie geben mehr aus. Deutlich mehr sogar. Im Juli und August wird hier alles voll sein", freut er sich. Am Nebentisch plaudern zwei adrett gekleidete Damen miteinander, auf Italienisch. Sie versprühen gute Laune. "Woher kommen die Touristen noch?" Giotis zählt auf: "Aus den USA, Kanada, England, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, aus vielen anderen Ländern."

Der griechische Tourismus boomt - befeuert durch den Post-Corona-Effekt. Im Gesamtjahr 2022 knüpfte Hellas’ Reisebranche - nach zwei desaströsen Corona-Jahren - mit Blick auf die Zahl der Ankünfte von Urlaubern aus dem Ausland sowie die für den Tourismussektor entscheidenden Direkterlöse - sprich: die vor Ort getätigten Ausgaben der Touristen - beinahe an die Rekordmarken aus dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019 an.

Auch, weil ein Urlaub in Griechenland ein wirklich teurer Spaß ist. Und dies, obwohl der Nachbar und Konkurrent Türkei dank seiner Weichwährung Lira mit für Ausländer ausgesprochen niedrigen Preisen Touristen anlockt. Konkret haben sich die Preise in den Hotels im Euro-Land Griechenland im Jahr 2022 im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor Corona, im Schnitt um 14 bis 15 Prozent erhöht, ergeben betreffende Untersuchungen.

Wie griechische Hotelmanager gegenüber der "Wiener Zeitung" erklären, werden sie heuer die Preise in ihren Unterkünften noch einmal um etwa 5 Prozent anheben. Die Preisfestsetzung sei eine Frage von Angebot und Nachfrage, begründen sie ihren Schritt. Die Nachfrage entwickelt sich dynamisch, daher steigen die Preise. Das gilt nicht nur für die Nächtigungen am Peloponnes. Ein gefüllter Souvlaki-Fleischspieß kostet bereits knapp 4 Euro, macherorts noch mehr. Die Inflationsrate betrug im vorigen Jahr in Griechenland im Schnitt 9,6 Prozent.

Etwas weniger Touristen ließen mehr Geld im Land

Im Kalenderjahr 2022 strömten insgesamt 27,83 Millionen Urlauber aus aller Welt nach Griechenland, davon alleine aus Deutschland 4,35 Millionen. Aus Österreich stammten noch einmal mehr als eine halbe Million Hellas-Reisende, ähnlich viele kamen aus der Schweiz hinzu. Unterm Strich sind dies zwar 11,2 Prozent weniger als im Rekordjahr 2019. Zugleich betrugen die Direkterlöse im griechischen Tourismussektor im abgelaufenen Jahr jedoch stattliche 17,63 Milliarden Euro, um nur 3 Prozent weniger als die 18,2 Milliarden Euro im Jahr 2019. Die Pro-Kopf-Ausgaben der Urlauber stiegen von 564 Euro im Jahr 2019 auf 619 Euro im Vorjahr. Dies bedeutet einen Anstieg um 9,7 Prozent. Fazit: Griechenland hatte 2022 zwar etwas weniger Touristen als 2019, die jedoch jeweils deutlich mehr als zuvor für ihren Urlaub in Hellas ausgaben.

Der Start in die neue Saison ist zudem verheißungsvoll verlaufen. "Zu Ostern waren 30 Prozent aller Hotels geöffnet, das sind rund 3.000 Unterkünfte. Die Belegungsraten beliefen sich auf 90 bis 100 Prozent", berichtete kürzlich Grigoris Tasios, der Präsident der Panhellenischen Hoteliersvereinigung (POX). "Im Incoming-Tourismus hatten wir in Nord-Griechenland Reisende aus den benachbarten Balkanländern, hauptsächlich Bulgaren und Rumänen. Die Athener Hotels waren zu 60 bis 70 Prozent von Ausländern belegt, viele Touristen kamen aus Westeuropa und Übersee."

Beobachter gehen angesichts des gelungenen Saisonstarts davon aus, dass die griechische Tourismusbranche heuer ein historisches Rekordjahr verbuchen wird. Ziel der hellenischen Touristiker ist es, im laufenden Jahr bei den Direkterlösen die Marke von 20 Milliarden Euro zu knacken. Gelänge dies, wäre das tatsächlich ein neuer historischer Rekord. Der griechische Tourismusminister Vassilis Kikilias sprüht jedenfalls vor Zuversicht: "Es sieht sehr gut aus. Dieses Jahr werden wir eine neue Bestmarke verbuchen."

Kikilias, von Amts wegen zwar ein Berufsoptimist, verweist auf die bisherigen Ankunftszahlen auf dem Athener Airport. Die Bilanz ist blendend: In den ersten vier Monaten des laufenden Jahres sind 4,52 Millionen Passagiere aus dem Ausland auf dem größten Flughafen in Hellas gelandet. Dies bedeutet ein Plus von 3,4 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum im letzten Vor-Corona-Jahr 2019.

Doch die Griechen denken schon viel weiter. Mittelfristig soll "die geografische und zeitliche Ausdehnung des griechischen Tourismus" erreicht werden. Das sieht jedenfalls der "Nationale Plan für den griechischen Tourismus 2030" vor, den der Griechische Verband der Touristikunternehmen (SETE) zuletzt präsentiert hat.

Will heißen: Ganz Griechenland soll eine Destination für Urlauber aus aller Welt werden, beispielhaft auch der bisher touristisch deutlich vernachlässigte Norden Griechenlands. Dafür sollen insgesamt 36 Ziele in den landesweit 13 Regionen schwerpunktmäßig durch die Verbesserung und den Ausbau der Infrastruktur, die Digitalisierung, die Aufwertung des touristischen Angebots, den Umweltschutz sowie die Stärkung des Unternehmertums gefördert werden. Ferner soll Hellas ein Ganzjahresziel für Urlauber aus dem Ausland werden und sich nicht mehr nur auf die Sommermonate Juni bis August konzentrieren.

Eine der beliebtesten Destinationen für Österreicher

Klar ist, dass Griechenland bei den Österreichern zu einer der beliebtesten Urlaubsdestinationen zählt. Die Österreicherinnen und Österreicher wollen verreisen und brauchen mehr denn je eine Auszeit, heißt es in der Branche. "Der Buchungsauftakt zum Jahresstart ist so stark wie lange nicht mehr, die Neubuchungszahlen liegen deutlich über den Vorjahreswerten und teilweise über 2019", so Gottfried Math von der TUI-Österreich-Geschäftsführung.

Bei den Urlaubsländern der TUI-Gäste ist Griechenland unbestrittener Favorit, gefolgt von Spanien und der Türkei. Die Ziele rund ums Mittelmeer verzeichnen dabei Rekorde: Antalya, Kreta, Rhodos und Mallorca liegen auf den ersten Plätzen - alle vier Destinationen sind aktuell bereits über dem Vorkrisenniveau. In Griechenland sind seit März in manchen Orten die Hälfte der Kapazitäten gebucht. Die größten Inselkontingente bieten Kreta, Rhodos, Kos und Korfu.

Laut Umfrage in Österreich ist für 90 Prozent ein Urlaub am Meer die bevorzugte Reiseform, an der Spitze der Urlaubsmotive steht die Entspannung. 30 Prozent interessieren sich auch für eine Städtereise. 85 Prozent geben an, mit dem Flugzeug zu verreisen. Mehr als zwei Drittel bevorzugen eine Hotel- oder Clubanlage als Unterkunftsform. Wobei sich der Trend zu All-Inclusive fortsetzt: Mehr als die Hälfte der Urlauberinnen und Urlauber buchen aktuell ein All-Inclusive-Paket, heißt es bei TUI. Flexible Storno- und Umbuchungsmöglichkeiten haben jedoch an Bedeutung verloren. "Aktuell interessieren sich nur noch etwa die Hälfte der Befragten dafür, voriges Jahr waren es zwei Drittel", berichtet Math.

Fest steht: Griechenland, das sich im Frühjahr 2010 in den faktischen Staatsbankrott manövrierte, ist hochgradig vom Tourismus abhängig. Mykonos, Paros, Naxos, Santorin, Kreta, Korfu, Kos, Rhodos: In guten Jahren trägt allein die Reisebranche bis zu einem Viertel zu Hellas’ jährlicher Wirtschaftsleistung bei. Seit Jahrzehnten gilt der einheimische Tourismussektor als die "Schwerindustrie Griechenlands" schlechthin.

Personal wird händeringend gesucht

Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Der griechische Tourismussektor leidet nämlich unter einem eklatanten Personalmangel. Händeringend gesucht: Köche, Kellner, Zimmermädchen. Konkrete Zahlen hat eine Studie des Sete-Forschungsinstituts unter dem etwas sperrigen Titel "Beschäftigung und Personalmangel in den griechischen Hotels auf dem Höhepunkt der Sommersaison im Sommer 2022" geliefert. Die Erkenntnis dieser Studie: Insgesamt 60.225 Stellen blieben unbesetzt, alleine in den griechischen Hotels, wohlgemerkt. Die insgesamt 10.133 hellenischen Hotels aller Kategorien boten im Sommer des vorigen Jahres exakt 262.981 Stellen an, besetzen konnten sie letztlich lediglich 202.756 Stellen. Das entspricht einer Unterbesetzungsquote von 23 Prozent. Anders gesagt: Mehr als jede fünfte Stelle blieb frei.

Zahlenmäßig am größten war der Mangel an Zimmermädchen mit 7.360 unbesetzten Stellen, Köchen (6.062), Kellnern (5.164), Hilfskellnern (3.883), Rezeptionisten (3.460) sowie Baristi (2.729). Doch auch an anderen Stellen herrschte in den griechischen Hotels ein akuter Personalmangel: Es fehlten 2.054 Techniker, 1.443 Gärtner sowie 828 Lagerarbeiter. Und Besserung ist nicht in Sicht - dem Tourismusboom in Hellas und damit der steigenden Personalnachfrage sei Dank.

Der Grieche spart, bevor er zur Wahlurne schreitet

Stelios Mandonanakis (60), die Haare gescheitelt, freundlicher Blick, blitzsauberes Hemd, kann nicht klagen. Er führt die urige Taverne "Takis", einen Traditionsbetrieb, der bereits seit fünf Jahrzehnten in Athen besteht und vor acht Jahren auch hier im aufstrebenden Vouliagmeni seine Pforten geöffnet hat. Im Hintergrund sind griechische Volkslieder mit der Bouzouki, der berühmten Schalenhalslaute, zu hören. Gerade hat er ein deutsches Ehepaar bedient, aus Heilbronn, das für eine Hochzeit angereist ist und im "Takis" einkehrt. Die Sonne sinkt dem Horizont entgegen, ein laues Lüftchen weht.

"Bis Ende September, Mitte Oktober haben wir viel Arbeit. Diesmal wohl noch mehr als sonst", meint Mandonanakis. Viele Urlauber kommen aus dem Ausland, gewöhnlich hat das "Takis" zudem eine Menge griechischer Gäste, fügt er hinzu. "Nur jetzt nicht." Wieso? Augenzwinkernd gibt er die für Beobachter fernab von Hellas überraschende Antwort: "Wir haben in Griechenland am 21. Mai Parlamentswahlen."

Für das Geschäft, nicht nur in der Gastronomie, sei das durchaus eine eher durchwachsene Zeit, wie er aus Erfahrung wisse. Denn der Grieche, so Mandonanakis weiter, halte just vor einem Urnengang stets sein Geld zusammen. "Weil er nicht weiß, wie die Wahl ausgehen wird." Getreu dem Motto: Man weiß nie, was kommt. Mandonanakis lacht. Er steht auf, er muss weiterarbeiten. Wahlen hin, ungewisser Ausgang her: In Vouliagmeni, dem attraktiven Tropen-Ort am Mittelmeer, wird man damit leben können.