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Das Versprechen vom einfachen Reichtum

Von Julian Mayr und Julian Kern

Wirtschaft
© stock.adobe.com / Tijana

Über TikTok, Instagram und Co. locken Online-Finanzakademien mit spekulativen Anlageformen und hohen Renditen.


Eine Rolex am Handgelenk tragen, mit einem Lamborghini oder Ferrari vorfahren, luxuriös urlauben in Dubai, Miami oder auf den Malediven. Finanziell unabhängig und gleichzeitig nicht an einen Ort oder an fixe Arbeitszeiten gebunden sein. Alles, was es braucht, ist ein internetfähiges Endgerät. Ein Smartphone, wenige Klicks und die richtige Einstellung, in einschlägigen Kreisen schlicht Mindset, reichen, um reich zu werden. So und ähnlich lauten Versprechen sogenannter Finfluencer (Finanz-Influencer) und Online-Finanzakademien. Auf sozialen Medien werben sie für hochriskante Formen der Geldanlage und die Möglichkeit, dem herkömmlichen System täglichen Schuftens von 9 bis 17 Uhr zu entfliehen. 

Jemand, der an dieses große Versprechen seit etwas mehr als einem Jahr glaubt, ist Marco. Sein Name wurde auf Wunsch geändert. Der 23-Jährige war in der Automobilbranche tätig, einem Schichtbetrieb. Nichts, das ein junger Erwachsener für den Rest seines Lebens machen möchte, wie er gesteht. Ein Arbeitsunfall stößt Marco in ein tiefes Loch, sein großes Hobby, das Fahrradfahren, muss er aufgeben. Ebenso den Traum einer Profikarriere. Er beginnt, sich nach Alternativen umzuschauen: "Ich wollte nicht mehr ‚nine to five‘ arbeiten, habe mir viel Verschiedenes angehört und dann das gefunden, was ich jetzt hauptberuflich mache."

"Die Schule des 21. Jahrhunderts"

Marco landete zunächst bei der IM Mastery Academy, einem globalen Strukturvertrieb mit Sitz in New York. Mit laut Eigenangaben mehr als 400.000 Mitgliedern ist er der wohl Größte seiner Art, jedoch längst nicht der einzige. Gemein ist vielen solchen Finanzakademien das Anbieten von Kursen, meist in Form von kurzen Videos, gegen eine monatliche Gebühr; im Falle von IM Mastery bis zu 250 Euro. Quereinsteiger sollen darin Crashkurse in Sachen Aktien-, Krypto- und Finanzmärkten erhalten. Marco etwa hat mit einer halben Stunde täglich die Grundlagen des Devisen-Handels erlernt. Darauf aufbauend können sich zahlende Mitglieder in fortgeschrittenere Inhalte stürzen.

Die IM sieht sich selbst als eine "Schule des 21. Jahrhunderts", in der jemand von der Grund- bis zur Oberstufe alle relevanten Inhalte erlernt, um ein finanziell unabhängiges Leben nach eigenen Wünschen zu führen. Das konventionelle Schulsystem kläre hingegen kaum auf über die Funktionsweisen der Finanz- und Aktienmärkte und wie man sich diese zunutze machen könne, ist ein in Werbevideos des Unternehmens vorgebrachtes Argument. 

Ein Ansatz, der laut Wirtschaftspsychologin Julia Pitters durchaus zieht: "Finanzthemen sind sehr komplex und deshalb sagen viele Menschen, dass sie wenig Ahnung davon haben. Da fehlt es auch an Bildung in der Schule." Gerade junge Menschen haben einer 2021 durchgeführten Befragung zufolge Schwierigkeiten bei Finanzthemen. Mehr als 60 Prozent der Befragten 14- bis 20-Jährigen gaben an, wenig bis gar keine Finanzbildung zu haben.

Gerade das sei in Zeiten der Teuerung und der multiplen Krisen aber wichtig, nicht nur, weil die Pandemie dazu geführt hat, dass sich vor allem junge Menschen vermehrt mit alternativen Anlageformen auseinandergesetzt haben, meint die Wirtschaftspsychologin, "Finanzthemen betreffen uns alle und sie sind existenziell. Es besteht da natürlich der Wunsch, hier keine Fehler zu machen. Wenn dann jemand kommt, der sagt, dass er die ultimative Lösung hat und dir sagen kann, was du zu tun hast, um reich zu werden, dann ist das sehr verlockend."

"Wenn dann jemand kommt, der sagt, dass er die Prime-Lösung hat und dir sagen kann, was du zu tun hast, um reich zu werden, dann ist das sehr verlockend", sagt Wirtschaftspsychologin Julia Pitters über das Geschäftsmodell der Finfluencer.
© Julian Mayr

Bei Finanzakademien geht diese Verheißung oft Hand in Hand mit dem Versprechen einer flexibleren Zeiteinteilung. "Das Problem der Leute ist, dass sie in der Schule und in der Arbeit gelernt haben, acht Stunden zu arbeiten und erst danach zu gehen", sagt Marco. Er selbst arbeitet im Schnitt vier Stunden am Tag, manchmal auch zwölf, je nachdem wie er die Prioritäten setzt. Er kann sich seine Arbeit selbst einteilen. "Heißt aber auch, wenn ich nichts mache, verdiene ich auch kein Geld."

Inszenierte Lebensrealitäten

Auf seine neue berufliche Laufbahn gekommen ist der 23-Jährige über TikTok. Dass gerade dort und auf anderen bild- und wirkmächtigen Sozialen Medien um die Gunst potenzieller Mitglieder geworben wird, ist für Pitters wenig überraschend. Während es für ältere Generationen normal gewesen sei, Informationen aus limitierten Quellen, etwa von Bankberatern oder aus etablierten Medien, zu beziehen, spielen für die jüngeren Generationen Influencer eine größere Rolle. Das ist nicht per se problematisch. "Hier besteht aber die Gefahr, dass man auch auf Fake-News oder nicht sehr kompetente Personen reinfällt, diesen Geld anvertraut und dementsprechend schlecht aussteigt", warnt die Wirtschaftspsychologin.

Methodisch setzen die Finfluencer dabei vor allem auf die Sehnsucht nach Luxus und Status. Dabei zeigen oder inszenieren sie oft Lebensrealitäten, die für viele schlicht unerreichbar sind. Ob Bündel voller Dollarnoten auf Tischen in teuren Penthouse-Wohnungen in den Emiraten, oder Fahrten mit Luxuskarossen und leicht bekleideten Frauen auf dem Beifahrersitz. "Wenn ich solche Idole habe, die einen tollen Lifestyle symbolisieren, möchte ich da auch hinkommen. Wenn dann auch noch ein günstiges Seminar angeboten wird, in dem ich lernen kann, genau so zu sein, dann ist das schon eine große Verlockung", sagt Pitters. 

Nicht nur im Internet zeigen sich die führenden Köpfe oder Chairman - wie sie sich nach Überschreiten bestimmter Einkommensschwellen nennen dürfen - in Inspirationsvideos- und Beiträgen in schicken Anzügen, mit teurem Schmuck und schnellen Autos. Neben gemeinsamen Referaten, Arbeitstreffen oder Urlauben, lädt IM auch zu größeren Kongressen. Erst im Herbst trafen sich mehrere tausend Gleichgesinnte in Zürich. Mit dabei war auch IM-Geschäftsführer Chris Terry.

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Ein Zusammenschnitt aus den besten Szenen zeigt ausgelassene Stimmung, frenetisches Jubeln und begeisterte Gesichter. "Wenn ich es schaffe, viele Menschen an einem Ort zu versammeln, ist es einfach, dieses Knöpfchen zu drücken und alle in eine positive Stimmung, diese Masseneuphorie zu versetzen, indem ich viele Tricks aus der Psychologie anwende. ‚Wir sind ein exklusiver Kreis, wir sind die Einzigen, die klüger sind als die da draußen‘", erklärt Pitters die Wirkung solcher Events. Damit werde eine In-Group aufgebaut, die sich vom Rest abgrenze: "Dafür sind Menschen sehr empfänglich."

Keine Angst vor dem Risiko

Marco ist mittlerweile nicht mehr bei IM Mastery Academy, sondern Mitglied von iGenius. Das Geschäftsprinzip ist im Grunde dasselbe, die Unterschiede sind laut ihm gering. iGenius erlaube es ihm im Gegensatz zu IM aber, unabhängig von der Firma zu agieren.

Neben den Online-Kursen bauen beide Unternehmen auf ein mehrstufiges Vergütungssystem für das Gewinnen neuer Kunden. Aufgenommen werden nur diejenigen, die von Mitgliedern empfohlen werden. Beim Anwerben von neuen Kunden verdienen Bestehende durch Provisionen mit. Die belgische Finanzaufsicht stellte im Zusammenhang mit IM Merkmale eines Pyramidensystems fest. Das wäre laut österreichischer und deutscher Gesetzgebung illegal. Mehrere Aufsichtsbehörden warnen vor der Firma mit US-Sitz. Verboten ist diese bis dato jedoch nicht.

Auch Marco betreibt dieses sogenannte Network Marketing, wirbt über Instagram selbst potenzielle Kunden an. Ansonsten verdient er sein Geld mit dem Handel von Devisen und Kryptowährungen. Diese fallen unter die sogenannten Contract-for-Difference-Geschäfte (CFD), wie Christian Prannter erklärt: "Das sind hochspekulative Finanzprodukte, Wetten auf die Preisentwicklung eines bestimmten Wertes, Indizes oder einer Kryptoveranlagung", so der AK-Konsumentenschützer im Bereich Finanzdienstleistungen. 

AK-Konsumentenschützer Christian Prantner rät zu einem schrittweisen Einstieg in den Finanz- und Kapitalmarkt.
© Julian Mayr

In seinem Instagram-Profil wirbt Marco mit einer "glasklaren Struktur", um Risiken zu vermeiden. Auf Nachfrage gesteht er, dass überall ein Risiko bestehe. Angst macht Marco das aber nicht, denn er lebe nur einmal und habe nichts zu verlieren. Eine normale Arbeit biete schließlich auch keine Sicherheit. 18.000 bis 25.000 Euro brutto verdient Marco pro Jahr, damit gehört er aber zur Minderheit.

Die Arbeiterkammer hat Spekulations- und Investmentplattformen im Internet unter die Lupe genommen und herausgefunden, dass die meisten Nutzer Verluste machen. "Im Schnitt 67 bis 84 Prozent, also mindestens drei Viertel der Kunden verlieren mit diesen spekulativen Instrumenten Geld", sagt Prantner. Nach europäischem Recht müssen die Plattformen auf ihren Webseiten offenlegen, wie verlustreich die Geschäfte ihrer Mitglieder sind. Im Falle von IM Mastery Academy zeichnet sich ein ernüchterndes Bild. Zwei Drittel der Mitglieder in den USA erwirtschaften 2021 Einkünfte von unter 500 Dollar - für das gesamte Jahr.

Investmentfonds statt Sparbuch

Das Versprechen von finanzieller Unabhängigkeit, das sich für Marco zumindest ein stückweit bewahrheitet hat, bleibt für viele also unerreichbar. Laut Christian Prantner ist es aber legitim, den Schritt in den Kapitalmarkt und die Welt der Wertpapiere zu wagen. "Es spricht nichts dagegen, statt dem Sparbuch einen Investmentfonds oder einen ETF-Sparplan auszusuchen", so der AK-Experte.

Der Einstieg sollte aber sukzessive erfolgen und Einsteigern sei geraten, anfangs mit kleineren Beträgen zu experimentieren. Spekulationsgeschäfte, Futures, Optionen und Derivate sollten nur das Pünktchen auf dem I und kein Basisprodukt sein, meint Prantner. Vorsicht sei zudem geboten, wenn von Anbietern und Personen Druck ausgeübt, Privatdaten angefordert und hohe Gewinnversprechen gemacht würden. Das sei alles, was über zehn Prozent Gewinn hinausgeht, so Prantner: "Da gilt die gute alte Weisheit: eine hohe Rendite geht einher mit hohem Risiko."

  • <b>Forex-Handel</b> - auch Devisenhandel oder Foreign-Exchange-Trading (FX-Trading) - ist die Umrechnung von einer Währung in eine andere. Beim Währungshandel tauschen Privatkunden, Unternehmen und Organisationen weltweit unterschiedliche Währungen. Die erste Währung des Paars nennt man beim Forex-Trading Basiswährung und die zweite Kurswährung. Trader spekulieren auf genau diese Kursveränderung. Experten raten dazu, dieses spekulative Finanzinstrument nur als erfahrene Privatanlegerin und erfahrener Anleger zu nutzen.

  • Beim <b>Krypto-Trading</b> spricht man vom Handel, Kauf und Verkauf verschiedener Kryptowährungen oder die Umwandlung von Fiat-Währungen wie dem Euro in Kryptowährungen. Das Krypto-Trading weist Ähnlichkeiten mit dem Devisenhandel (Forex) auf und aufgrund der starken Volatilität raten Experten auch hier zur Vorsicht beim Handel für Unerfahrene. Es wird empfohlen, nur den Betrag zu investieren, den man auch bereit ist, vollständig zu verlieren.

  • Unter dem Begriff <b>Network-Marketing</b> - auch mehrstufiges Vergütungssystem - versteht man eine Spezialform des Direktvertriebs. Im konkreten Fall werden potenzielle Kunden angehalten, nicht nur selbst weitere Kunden (für Mitgliedschaften in einer Online-Academy inklusive dem Zugang zu Lernvideos) anzuwerben, sondern diese auch zu animieren, selbst Vertriebspartner zu werden. In weiterer Folge profitieren diese durch das Anwerben neuer Kunden, indem Provisionen für diejenigen vergütet werden, die die Person akquiriert haben.