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Sturmwellen im sicheren Hafen

Von WZ-Korrespondent Steffen Klatt

Wirtschaft

Gleichstand von Euro und Franken bereits in Reichweite. | Wirtschaft fürchtet Exporteinbrüche.


St. Gallen. Die Schweiz ist in Unruhe. Unaufhaltsam wertet der Franken gegenüber dem Dollar und Euro auf. Am Dienstag schien bereits die Parität zum Euro (ein Wechselkurs eins zu eins) in Reichweite: Ein Euro kostete nur 1,0070 Franken - trotz des Einschreitens der Nationalbank SNB.

Weil immer mehr Anleger die Währung als sicheren Hafen anlaufen, stehen die Zeichen auf Sturm. Am Mittwoch verschärfte die SNB ihren Kurs erneut - sie wirft die Geldpressen noch rascher an. Die Banken sollen bis zu 120 Milliarden Franken zu Tiefstzinsen ausleihen. Vor einer Woche hatte die SNB die Menge von 30 auf 80 Milliarden erhöht. Außerdem kauft sie bei den Banken Fremdwährungen auf und gibt ihnen dafür Franken - erstmals seit dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008.

Laufend Krisentreffen

Der Bundesrat hatte sich am Montag trotz Ferien zu einer Sondersitzung getroffen, an der auch SNB-Präsident Philipp Hildebrand teilnahm. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann lädt zum Runden Tisch mit Industriellen und Importeuren. Das Franken-Hoch bremst nämlich die Wirtschaft, wenn auch schwächer als erwartet.

So haben die Exporte im ersten Halbjahr noch um 4,3 Prozent zugelegt. Der Zuwachs wurde aber gegen Ende hin kleiner - und ist ungleich verteilt. Während die Exporte nach Asien um 14 Prozent zunahmen, stagnierten sie in Europa mit 0,9 Prozent fast. Das kommt der Uhren- und Metallindustrie sowie dem Maschinenbau zugute, die viel nach Asien exportieren. Die Chemie-Exporte hingegen sanken. Auch die Nahrungsmittelindustrie - etwa Käse und Schokolade - konnte weniger im Ausland verkaufen. Beim Nahrungsmittelkonzern Nestlé riss der Wechselkurs ein Loch in die Halbjahresbilanz. Zu konstanten Kursen hätten die Verkäufe um 7,5 Prozent zugenommen. So sank der Umsatz jedoch um 13 Prozent.. Der Reingewinn blieb praktisch stabil.

Der Schweizer Tourismus hält sich dagegen gut. Die Zahl der Übernachtungen von Ausländern stieg im ersten Halbjahr um 0,4 Prozent auf 1,9 Millionen. Doch auch hier das gleiche Bild: Gäste aus Europa bleiben zunehmend weg. Die Deutschen sind mit 497.000 Übernachtungen noch die größte Gruppe, ihre Übernachtungen sind jedoch um fast 8 Prozent gesunken. Dagegen kommen mehr Besucher aus Ländern wie Indien, China, Russland und den Golfstaaten.

Verbraucher erzürnt

Verärgert sind dagegen die Schweizer Verbraucher. Sie profitieren bisher kaum von der Frankenstärke - es sei denn als Touristen im Ausland oder beim Einkauf jenseits der Grenze. Im Land selbst bleiben die Preise für Importgüter konstant.

Deshalb tanken französischen Sprittouristen wieder lieber zuhause. Ein Kinderbuch, das in Deutschland 13 Euro kostet, wird in der Schweiz immer noch um 23 Franken verkauft. Die Importeure geben die Gewinne nicht weiter. Der Wirtschaftsminister prüft nun, warum der Preiswettbewerb nicht funktioniert.

Die Politik hat die Frankenstärke als größtes Problem entdeckt. Das Thema dürfte den beginnenden Wahlkampf beherrschen - noch vor Atomausstieg und Zuwanderung. Die Sozialdemokraten wollen den Franken sogar fest an den Euro anbinden. Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse fordert ebenso wie die wählerstärkste, rechtspopulistische Volkspartei, der Staat solle Steuern senken und den Atomausstieg stoppen, um so den Unternehmen Kosten zu ersparen.