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Geordnete Staatspleiten seit 1776 eine Baustelle

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
Wenn Säulen bröckeln, ist ein neues, tragfähiges Fundament nötig: siehe Akropolis, siehe Griechenland. corbis
© © © Ocean/Corbis

Für "geordnete" Pleite Griechenlands fehlt Rechtsrahmen. | Just ein deutscher IWF-Chef hat die Pläne schubladisiert.


Wien/Athen. Das Tabu ist gebrochen: Eine Staatspleite Griechenlands wird seit dem Vorstoß des deutschen Vizekanzlers Philipp Rösler (FDP) offen diskutiert - mit dem Zusatz, die Insolvenz solle "geordnet" erfolgen. Das suggeriert eine systematische Abwicklung wie bei Unternehmen, die zahlungsunfähig sind.

Genau daran hakt es aber: Es gibt kein Insolvenzrecht für Staaten. Dabei kann sich niemand darauf berufen, dass das Thema neu wäre: Adam Smith, der Vater der Nationalökonomie, hat 1776 festgestellt, dass es wichtig wäre, Regeln zu haben, wenn ein Staat seine Schulden nicht mehr begleichen kann.

Doch bei der Gründung der Eurozone war dieser Ernstfall schlicht nicht vorgesehen. Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Dabei kommen Staatspleiten viel häufiger vor, als man denkt - und zwar meist begleitend zu Währungs- und Finanzkrisen, wie die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff nachgewiesen haben. Gerade Griechenland sei von 1800 bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg "beinahe ständig im Zustand des default (des Zahlungsausfalls)" gewesen, schreiben die Autoren.

Politische Geburtsfehler

Anläufe zu Insolvenzregeln gab es allein in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte mehrfach: Besonders ausgefeilt war der Vorschlag, den die ehemalige Vizechefin des Währungsfonds (IWF), Anne Krueger, 2002 unter dem Eindruck der Lateinamerika-Krise vorlegte. Dabei hätte der IWF starke Befugnisse als Schiedsrichter erhalten sollen, was auf heftige Kritik stieß.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet unter der Ägide des deutschen IWF-Chefs Horst Köhler wurde der Vorschlag beiseite gewischt. Die Deutschen hätten den Vorschlag anfangs unterstützt, im Laufe der Zeit aber den Enthusiasmus verloren, sagt der Jurist Michael Waibel, der sich intensiv mit Staatspleiten beschäftigt hat.

Wie so oft in der aktuellen Debatte waren ordnungspolitische Argumente entscheidend: Ein geordnetes Verfahren würde staatlichen Schuldnern, die nicht verantwortungsvoll mit öffentlichen Geldern umgegangen sind, einen leichten Ausweg ermöglichen und sei unvereinbar mit der deutschen Stabilitätskultur.

Darin sieht Waibel den politischen Geburtsfehler des IWF-Modells: Die Insolvenzordnung sei so präsentiert worden, als profitiere nur der Schuldnerstaat. "Es kam nicht zur Geltung, dass die Durchsetzung von berechtigten Forderungen der Gläubiger erleichtert würde - etwa wenn gültige Schulden trotz gegebener Zahlungsfähigkeit nicht bedient werden."

Folgenreicher Irrtum

Da die Industriestaaten in der Vergangenheit zudem fälschlicherweise davon ausgingen, dass nur Entwicklungs- oder Schwellenländer pleitegehen, hatten sie kein Interesse, ihre Verhandlungsmacht durch klare Regeln zu beschneiden. Somit müssen Verhandlungen weiter chaotisch verlaufen, wenn sich ein Staat zahlungsunfähig erklärt.

Das Hauptproblem dabei: Selbst wenn sich ein Staat mit einem Großteil der Gläubiger auf eine Umschuldung einigt, kann eine Minderheit diesen Beschluss kippen. Meist spekulieren einzelne Investoren nämlich, vor Gerichten die Rückzahlung des gesamten Geldes erstreiten zu können - und sei es durch die Beschlagnahmung von öffentlichem Eigentum.

Die Aussicht, wie Argentinien nach der Pleite von 2002 wegen jahrzehntelanger Rechtsstreitigkeiten von den Finanzmärkten ausgeschlossen zu sein, führt wiederum dazu, dass viele Staaten die Pleite verschleppen - und der Schaden für alle immer größer wird. Deshalb will die EU ab 2013 bei allen Eurozonen-Schuldpapieren Kollektivklauseln einführen: Diese legen fest, dass eine Mehrheit der Gläubiger Beschlüsse über eine Umschuldung treffen kann, die für alle Beteiligten gelten.

Bisher spielen die zentrale Rolle bei Staatspleiten zwei informelle Clubs - oder "Nicht-Institutionen", wie sie EZB-Präsident Jean-Claude Trichet nennt. Beim "Pariser Club" treffen sich staatliche, im "Londoner Club" private Gläubiger, vornehmlich Banken. Das ist nicht nur höchst intransparent: "Da es keinen zentralen Verhandlungsort gibt, kann es zur Ungleichbehandlung von Gläubigern kommen", so Waibel.

Wunderdinge sollte man sich von einem staatlichen Insolvenzrecht allerdings nicht erhoffen - schließlich stößt auch jenes für Unternehmen bei großen Fällen an Grenzen, siehe General Motors. Ein Regelverfahren, das vor einem international besetzten Schiedsgericht verhandelt wird, könnte aber mehr Transparenz, bessere Koordination und Anreize für eine rasche Beilegung von Streitfällen bringen.