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In Grund und Boden

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Im Fokus stehen ärmste Länder wie Südsudan, Äthiopien, Ghana. | Ackerflächen werden ausgeweitet, aber immer mehr Menschen hungern. | Lebensmittelpreise stiegen seit 2010 erneut dramatisch.


Washington.

Das Leid des alten Mursi am Turkana-See in Äthiopien, der seine drei hungernden Enkel an sich drückt, lässt sich gut hinter anonymen Zahlen verstecken. Die gestiegenen Nahrungsmittelpreise erhöhen in den armen Ländern der Welt, vor allem in Afrika, den Hunger und haben die Zahl der Armen im Jahresvergleich um 44 Millionen Menschen steigen lassen. Soweit die kühlen Zahlen, die Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, in Washington kundtat.

Die Definition von arm ist für Europäer unvorstellbar: Mit maximal 1,25 Dollar (0,91 Euro) pro Tag auszukommen.

Die Lage hat sich verschlechtert und in der Weltbank neue Aktivität entfacht. In deren Eingangshalle der Washingtoner Zentrale hängt immerhin der Spruch: "Unsere Vision: eine Welt ohne Armut." Das UNO-Ziel, die Armut auf der Welt zu halbieren, wird in Afrika weit verfehlt. Die Armut in den Subsahara-Ländern hat sich seit 1981 auf mehr als 400 Millionen Menschen verdoppelt, der Hunger ist allgegenwärtig. In Ostafrika kann die Welt derzeit bei der größten Hungersnot der Geschichte zuschauen - diese betrifft zwölf Millionen Menschen.

Und das in einer Region, in der seit 1961 die Landwirtschaftsflächen von 148 auf 221 Millionen Hektar ausgeweitet wurden und die in internationalen Studien als globale Nahrungs-Ressource bezeichnet wird. Dass es diese Länder nicht einmal schaffen, die eigene Bevölkerung zu ernähren, ist für Mitarbeiter einschlägiger Nichtregierungsorganisationen kein Mirakel. Sie sehen ein Musterbeispiel für die zerstörerische Kraft fehlgeleiteter Märkte. Neben dem politischen Chaos und Bürgerkriegen wird dort auch noch auf Teufel komm raus spekuliert.

"Hohe Preise treffen Arme viel stärker"

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz prangert die starken Schwankungen der Nahrungsmittelpreise als "wesentliche Ursache der Ungleichheit der Welt" an. "Hohe Lebensmittelpreise treffen Arme viel stärker, weil diese keine Möglichkeit zum Ausgleichen haben." Die Überlegung war einfach: 2007 und 2008 stiegen die Lebensmittelpreise wie Raketen, das entfachte das Interesse an Ackerland. Die Folgen sind dramatisch: Allein in Afrika wurden seit 2009 Agrarflächen im Ausmaß von 60 Millionen Hektar an ausländische Investoren verkauft - das entspricht etwa der Fläche von Frankreich.

Nun steigen die Agrarpreise erneut - und der Landkauf geht munter weiter. Emergent Asset Management, ein Londoner Investmentfonds, versprach im Juli für einen neu aufgelegten "Farmland-Fonds" (Investments in Afrika) eine Rendite von 270 Prozent in fünf Jahren.

Das Interesse von Finanzinvestoren, die keine Ahnung von Landwirtschaft haben, führt zu gespenstischen Situationen. Im Weltbank-Report "Rising Global Interest in Farmland" heißt es: "Zwischen 2004 und 2009 wurden in Mosambik 2,7 Millionen Hektar Ackerfläche transferiert. 2009 ergab eine Prüfung, dass von diesem transferierten Land 50 Prozent nur in geringem Ausmaß oder gar nicht bewirtschaftet wurden."

Afrikanische Länder, die an sich mehr als genug Fläche zur Verfügung haben, um die lokale Bevölkerung zu versorgen, werden somit zu Lebensmittelimporteuren. Verschärft wird diese Entwicklung, weil viele lokale Funktionäre in diesen Ländern korrupt sind. "Unklare Eigentumsverhältnisse, Schmiergeld und der Renditehunger westlicher Investoren gehen oft eine unheilige Allianz ein", stellte in diesem Zusammenhang das Oakland Institute fest, ein unabhängiger politischer Think-Tank aus den USA.

Und auch die Weltbank räumt ein: "In den meisten Fällen von Landkäufen in Afrika blieben die erwarteten Arbeitsplätze und die Investitionen sehr niedrig." Dabei muss sich die Weltbank selbst einige Vorwürfe gefallen lassen. Denn die Weltbank fördert Auslandsinvestitionen, vor allem in schwach entwickelten Ländern - und von denen gibt es in Afrika genug. Joan Baxter vom Oakland Institute: "Der Investitionsarm der Weltbank, die International Development Association, unterstützt Promotionstouren für afrikanisches Agrarland im Westen finanziell großzügig. Und die Weltbank-Versicherung Miga garantiert für Risken solcher Investitionen." Damit verschärfe die Weltbank die Hunger- und Armutssituation in Afrika noch - auch wenn sie das eigentlich gar nicht so konzipierte.

Der Südsudan wurde schon aufgekauft

Ein gutes Beispiel ist auch das jüngste Land der Welt, der Südsudan. Das nach dem jahrelangen Krieg ausgeblutete Land ist bitterarm, aber reich an Ressourcen. Jetzt, mit der Anerkennung, stellt sich heraus, dass Investoren aus Europa, Amerika und Asien bereits zugeschlagen haben: Neun Prozent der Landmasse des Südsudans sind schon verkauft. Ein indischer Agrobusiness-Konzern will insgesamt 500 Millionen Dollar in 370.000 Hektar investieren. Ein US-Handelskonzern hat eine Million Hektar im Südsudan um 25.000 Dollar pro Jahr geleast - für die nächsten 99 Jahre.

Selbst wenn das Land nicht zu Spekulationszwecken erworben wurde, sondern um landwirtschaftliche Rohstoffe anzubauen, sind die Renditen sehr hoch - und das internationale Interesse ist dementsprechend groß. Eigentlich würden die Agrarflächen dringend benötigt, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, doch meist wird für den Export in Industriestaaten produziert. Zuckerrohr, das zu Biodiesel verarbeitet wird, wird nicht einmal als Nahrung genutzt. Soja ist immerhin ein Lebensmittel, es wird häufig nach China exportiert.

Den größten Raubbau allerdings gibt es bei Palmöl. Dieses deckt ein Drittel der pflanzlichen Fettversorgung der Welt und wird bisher vor allem in Südostasien und Südamerika angebaut. Große Urwaldflächen werden für Palmöl gerodet, die CO2-Bilanz des Rohstoffes ist entsprechend katastrophal. Nun wird Palmöl zunehmend auch in Afrika angebaut, nachdem es in Indonesien und Brasilien immer stärkeren Protest gegen die Rodung der Urwälder gibt.
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Schon mehr als eine Milliarde hungern

Spekulation und schonungsloser Abbau der Ressourcen haben die Zahl der hungernden Menschen seit 2008 von 830 Millionen auf erstmals in der Menschheitsgeschichte mehr als eine Milliarde gehievt. Das globale Immobiliengeschäft mit Agrarland wird auf rund 50 Milliarden Dollar geschätzt. Angesichts der niedrigen Bodenpreise ein hoher Wert, findet auch die Weltbank. In Äthiopien ist erst im Juli - als dort schon Menschen verhungerten - ein großer Land-Deal perfekt gemacht worden: Um1 Dollar pro Acre (0,4 Hektar) wurden insgesamt 2,83 Millionen Hektar auf 100 Jahre geleast. Von einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die von Agro-Händlern und Finanzinvestoren gebildet wurde.

In deren Hand liegt es auch - nach Angaben der 20 größten Industrienationen (G20) -, die Bodenpreise für Agrarflächen weiter steigen zu lassen, denn die Händler und Investoren kontrollieren auch den weltweiten Grundnahrungsmittelmarkt. Je höher die Preise, desto wertvoller der Acker. Die G20 dürften in Kürze eine striktere Regulierung von Finanzderivaten auf Nahrungsmittel in Angriff nehmen.

Das World Development Movement, ein sozialer Think-Tank, errechnete für ein G20-Papier, dass Finanzspekulanten 60 Prozent des nahrhaften Marktvolumens kontrollieren. Vor 15 Jahren lag dieser Wert bei 12 Prozent. Die wenig transparenten Finanzprodukte verdoppelten sich in fünf Jahren von 65 auf 126 Milliarden Dollar. In Grund und Boden wollen sich die investierenden Gesellschaften aber nicht schämen. Die Chicago Mercantile Exchange stellte nur lapidar fest, dass der Einfluss der Finanzinvestoren auf Rohstoffpreise gering sei.
Na dann - Mahlzeit.