Wien. (rb) Die Zeiten sind vorbei, als Ethanol- und Biodieselhersteller Exoten waren. Innerhalb der vergangenen Jahre hat die Produktion der alternativen Treibstoffe nämlich stark angezogen. So hat sich die weltweit produzierte Ethanolmenge zwischen 2005 und 2010 verdoppelt, Biodieselmenge sogar vervierfacht.
Die steigende Produktion von Sprit hatte zur Folge, dass die Preise für Mais, Weizen und Zuckerrohr stark anstiegen, weil diese Agrar-Rohstoffe knapp geworden sind. Trotz der hohen Preise lohnt es sich für die Hersteller aber, Lebensmittel in den Tank zu füllen, statt sie auf die Teller der Konsumenten zu legen. Der Grund dafür sind die steigenden Treibstoffpreise. Mit einem Ende des Biotreibstoffbooms ist deshalb kaum zu rechnen.
Zu diesem Schluss kommen auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die Welternährungsorganisation FAO. Sie schätzen, dass im Jahr 2020 die weltweit produzierte Ethanolmenge bei 160 Milliarden Litern und die Biodieselproduktion bei mehr als 40 Milliarden Litern liegen wird.
"Industriestaaten sollen ihre Pläne überdenken"
Angesichts dieser Prognosen und der jetzt schon knappen Lebensmittelversorgung und der damit verbundenen hohen Preise forderte die FAO im heurigen März die Industriestaaten auf, ihre Biokraftstoffpläne zu überdenken. Es bestehe die Gefahr, dass Grundnahrungsmittel wie Mais oder Weizen knapp würden, warnte der damalige FAO-Chef Jacques Diouf: "Mehr erneuerbare Energien zu nutzen bedeutet nicht, dass man mehr Biotreibstoffe herstellen muss."
Dieser Meinung ist auch der langjährige Chef des weltgrößten Lebensmittelhersteller Nestlé, Peter Brabeck-Letmathe. "Wir haben durch die Biotreibstoffe hunderte Millionen Menschen wieder in die extreme Armut geschickt", sagte der gebürtige Österreicher kürzlich in der "Frankfurter Rundschau". Brabeck-Letmathe hält es für "ein Unding, dass heute mehr als die Hälfte des Mais in den USA und ein Fünftel der weltweiten Zuckerernte in Biotreibstoffe umgesetzt wird, während es gleichzeitig nicht genügend Lebensmittel gibt, um die Menschheit zu ernähren".
Mehr US-Mais für Tanks als für Tierfütterung
So wurden alleine in den USA zwischen 1. September 2010 und 31. August 2011 an die 5,05 Millionen Scheffel Mais - das entspricht 128 Millionen Tonnen - für die Herstellung von Ethanol verwendet. Damit wurde in den USA erstmals mehr Mais verspritet als an Tiere verfüttert.
Der Trend, Mais, Weizen und Zucker zu verheizen, belastet aber nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Bauern. Die US-Landwirte beschweren sich über die steigenden Kosten und fürchten gar weitere Preisexplosionen. "Ethanolproduzenten können Vieh- und Hühnerhalter immer überbieten, weil die Treibstoffindustrie per Gesetz verpflichtet ist, Ethanol zu kaufen", meint Bill Roenigk vom National Chicken Council, einem Lobbyverband der Hühnerzüchter.
Biotreibstoff steht aber nicht nur wegen der hohen Lebensmittelpreise unter Beschuss. Laut jüngsten Erkenntnissen stellt er auch ökologisch keine wirklich gute Treibstoffalternative dar. Al Gore, Ex-Vize-Präsident der USA und preisgekrönter Klimaschutz-Vorkämpfer, ist aus diesem Grund ins Lager der Biospritgegner gewechselt.