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Das Umfrage-Dilemma der Politiker

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Was das Volk so denkt, ist | der Politik herzlich wenig wert.


Wien. Ist die SPÖ noch die Nummer eins? Wie stehen HC Straches Chancen, Erster zu werden? Auf wie viel Prozent kommt die ÖVP noch? Spüren die Grünen Rückenwind? Ist das BZÖ noch vorhanden? Die obligate Sonntagsfrage - "Wem würden Sie am nächsten Sonntag bei einer Nationalratswahl Ihre Stimme geben?" - ist zum Ritual geworden.

Auch wenn es den Lesern wenig bringt, werfen sich etliche Zeitungen kräftig ins Zeug: Das Magazin "profil" lässt Karmasin allmonatlich das politische Meinungsklima erheben. "Österreich" verlässt sich auf Gallup. Der "Standard" setzt auf das Market-Institut. Die "Krone" bevorzugt Imas. Wolfgang Bachmayers OGM-Institut steht dem "Kurier", der "Kleinen Zeitung" und der Gratispostille "Heute" gern zu Diensten.

Die Umfragen bescheren den Meinungsforschern zwar kaum Bares, weil die Medien als Auftraggeber dafür wenig bis gar nichts zu blechen pflegen, aber zumindest regelmäßige Publizität. Je öfter sie in den Zeitungen stehen - so das Kalkül -, umso eher wecken sie das Interesse jener, die für Meinungsumfragen gerne zu zahlen bereit sind - wie etwa Firmen oder Verbände.

Die heimischen Politiker hingegen, die durchaus Interesse haben müssten, was denn die Bürger so alles denken, behandeln die einschlägigen Institute ziemlich stiefmütterlich: So etwa gab die Bundesregierung für Umfragen in einem Jahr weit weniger als eine Million Euro aus. Bei den durchwegs ohne Ausschreibung vergebenen Aufträgen ging es beispielsweise um Korruption in Österreich, die Arbeitsabläufe in Finanzämtern, die Einstellung der Bevölkerung zur EU und das Image der Landwirtschaft.

Doch nur relativ wenige Ergebnisse der Studien wurden in Pressekonferenzen medial verbraten, das Gros der Resultate indes diente internen Zwecken und blieb unter Verschluss. Am meisten gab Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner für Meinungsforschung aus, dessen Ministerium ähnlich wie drei weitere VP-geführte Ressorts eine Präferenz für GfK Austria haben dürfte. Das rot punzierte Ifes-Institut kommt naturgemäß in der linken Reichshälfte besser an. Wolfgang Bachmayers OGM-Institut und der TV-Politologe Peter Filzmaier hingegen fanden sowohl bei Schwarz und Rot Beachtung. Die drei Linzer Institute Imas, Market und Spectra erhielten lediglich Miniorders. Die geringste Summe ließ Kanzler Werner Faymann springen, der sich nur für das Meinungsklima in der Kärntner Ortstafelfrage interessiert hat.

"Politik am besten vergessen"

Die Parteien sind diesbezüglich zwar etwas aufgeschlossener, weil sie regelmäßig etwa das Image ihrer Spitzenleute testen oder das Meinungsklima zu bestimmten Sachfragen kennenlernen möchten, doch die knappen Kassen zwingen auch sie zu überraschender Bescheidenheit.

Dass die Politik beziehungsweise die Parteien knausrige Auftraggeber sind - "die kann man getrost vergessen" (ein Linzer Meinungsforscher) -, bekam ein Anbieter schmerzlich zu spüren: Die beiden ORF-Wahlpropheten Günther Ogris und Christoph Hofinger, die 1996 das Sora-Institut gegründet haben, schlitterten im vergangenen Juli in die Insolvenz. Das unter anderem auf Hochrechnungen und Wählerstromanalysen spezialisierte Duo scheint aber noch einmal die Kurve kratzen zu können. Die Mitarbeiterzahl wurde halbiert, die Gläubiger dürfen mit einer Quote von 30 Prozent rechnen. Hofinger, bei dem die klassischen Umfragen nur 10 Prozent des Umsatzes ausmachen - "das ist ein hartes Brot" -, will künftig verstärkt auf Sozialforschungsprojekte setzen.

Während Wolfgang Bachmayer vom OGM-Institut, sein selbständig gewordener Ex-Mitarbeiter Peter Hayek oder Peter Filzmaier, Chef des Instituts für Strategieanalysen (ISA), ebenfalls auf die Politik fokussiert sind, konzentrieren sich die beiden Branchengrößen GfK Austria und ACNielsen lieber auf die Wirtschaft: Peter Damisch etwa, Chef von GfK Austria, lebt vom Who is Who der österreichischen Top-Firmen, die von A wie Allianz Elementar bis Z wie Zürich Versicherung reichen. Auch Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung oder Nationalbank nehmen die Dienste der 160 Mitarbeiter zählenden Firma gerne in Anspruch.

GfK Austria gehört zu einer internationalen Gruppe mit mehr als 150 Unternehmen beziehungsweise Beteiligungen sowie 10.000 Beschäftigten in 100 Ländern. Sie hat in Zentral- und Osteuropa ein Netzwerk aus 20 Tochterunternehmen in 19 Ländern aufgebaut. ACNielsen mit Sitz in New York ist ebenfalls einer der weltweit führenden Marktforschungs-Big-Player. Bernd Fletschok, Chef der Österreich-Niederlassung, hat jedoch mit Politik nichts am Hut. Seine Firma befasst sich bevorzugt mit Kundenbindung, Markensteuerung, Preisstrategien, Wettbewerbsanalysen, Produkteinführungen und dem Konsumentenverhalten.

Die seit kurzem von Sophie Karmasin geführte Gallup-/Karmasin-Gruppe (60 Mitarbeiter und 450 freiberufliche Interviewer) sowie zwei in Linz beheimatete Institute legen auf Präsenz im Ausland ebenfalls großen Wert: Imas-Boss Ansgar Löhner etwa gründete im Dezember 2010 das internationale Netzwerk RedRay Research, sodass seine Firma via Töchter und Partner bereits in rund 25 Ländern präsent ist; der neue Spectra-Chef Peter Bruckmüller wiederum kann dank etlicher Partnerinstitute auf zahlreiche Studien in 13 osteuropäischen Staaten verweisen.

Viele Watschen für Politiker

Wie es sich für Full-Service-Anbieter gehört, liefern die Meinungsforscher neben Studien zu weltbewegenden Themen wie Doping, Schönheits-OPs oder Zölibat auch laufend Untersuchungen, die für die Politik von Interesse sein sollten: Das regelmäßige Wirtschaftsbarometer (von Spectra), der etablierte Arbeitsklimaindex (Ifes) oder die monatliche Wirtschaftsklima-Erhebung (GfK Austria) gehören ebenso dazu wie solche, deren Resultate oft für Ernüchterung sorgen.

Werner Beutelmeyer, Chef des Linzer Market-Instituts, ging kürzlich der Frage "Welche Partei hat die meisten schwarzen Schafe?" nach - Fazit: mehr als die Hälfte der Befragten vertraten die Ansicht, dass FPÖ und ÖVP am stärksten in Affären und Korruptionsfälle verwickelt seien. Imas wiederum veröffentlichte eine Umfrage über politische Moral, deren Résumé lautete: "Keine Partei hat eine reine Weste." Imas attesierte der Politprominenz "wenig USP", also kaum politische Monopoleigenschaften, aber zugleich eine "mangelnde Persönlichkeitswirkung". So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass Österreichs Politiker von den Meinungsforschern am liebsten nichts wissen wollen.

Branchentrend: Online statt Telefon

In Österreich wurden 2009 laut einer Studie des Esomar-Instituts in Amsterdam 112 Millionen Euro für Marktforschung ausgegeben. Mit einem Pro-Kopf-Wert von 18,8 Euro liegt die Republik weit hinter Europas Top 3, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, wo mehr als doppelt so viel aufgewendet wurde. Im Vergleich zu den Werbeausgaben betragen die Aufwendungen für Marktforschung hierzulande nur 3,6 Prozent (in Frankreich 16 Prozent).

In Österreichs Marktforschungsbranche arbeiten rund 1700 Vollzeit-Mitarbeiter, 300 Teilzeit-Beschäftigte und geschätzte 8000 Interviewer, die im Jahr 1,7 Millionen persönliche Interviews schaffen, zu denen noch 3,7 Millionen Telefon-Interviews kommen. Die wichtigsten Auftraggeber der rund 50 ernst zu nehmenden heimischen Institute sind die Konsumgüterindustrie, Banken und Versicherer, Medien und Verlage sowie die Gebrauchsgüterindustrie. Öffentliche Auftraggeber rangieren mit nur vier Millionen Euro unter ferner liefen.

Der Trend zu Online-Umfragen, die andere Methoden überholen, ist nicht mehr aufzuhalten: Marktforschung spielt sich in Deutschland laut einer aktuellen Studie bereits zu 38 Prozent im Web ab, Telefoninterviews kommen auf 35 Prozent, Face-to-face-Interviews auf nur noch 21 Prozent. In Österreich wird der Anteil der Online-Interviews von derzeit 36 Prozent binnen fünf Jahren auf 51 Prozent emporschnellen. Marketagent.com ist das führende Online-Research-Institut des Landes. Firmenchef Thomas Schwabl beschäftigt 25 Mitarbeiter, die pro Jahr 600 Online-Studien und 700.000 Interviews durchführen. Die Firma verfügt über ein Panel mit 230.000 Teilnehmern und Auslandsbüros in Zürich, München und Marburg.