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Budgetdisziplin allein wäre zur Eurorettung zu wenig

Von Wolfgang Tucek und Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Experten vermissen Wachstumsimpulse, EZB-Beteiligung und Fahrplan in Richtung Eurobonds.
| Sozialkommissar Andor: "Führt Eurobonds ein und aktiviert die EZB."


Brüssel. Die positiven Erwartungen an das Euro-Rettungspaket beim EU-Gipfel Ende der Woche bleiben intakt - trotz der dröhnenden Abstufungsdrohung der US-Ratingagentur Standard&Poor’s. Die Ideen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy fanden auf den Märkten vorerst Anklang, die Zinsen für Euro-Staatsanleihen sanken deutlich. Allerdings beschränken sich die Ideen von "Merkozy", wie das Duo scherzhaft genannt wird, fast ausschließlich auf Mechanismen zur Einhaltung der Budgetdisziplin und von strikten Sparvorgaben. Dafür ernten sie harsche Kritik - ausgerechnet von einem EU-Kommissar: "Automatische Sanktionen sind ein Witz", wetterte Laszlo Andor über den Kurznachrichtendienst Twitter: Eine Fiskalunion brauche eine "gemeinsame, demokratische Entscheidungsfindung, welche auf Herausforderungen reagieren kann und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage managen kann", schrieb der Sozialkommissar, der selbst Ökonom ist und früher Vorstandsdirektor der Osteuropabank war. "Eine Fiskalunion wird die Einheitswährung nicht retten, eine Schuldenunion ist notwendig. Führt Eurobonds ein und aktiviert die EZB", forderte der Ungar.

Zwar klingt die Rüge aus der EU-Kommission einigermaßen überraschend. Inhaltlich kann sie Wirtschaftswissenschafter Janis A. Emmanouilidis vom Brüsseler Think-Tank EPC aber nachempfinden, sagt er zur "Wiener Zeitung".

Für einen erfolgreichen Gipfel müssten drei Ziele erreicht werden: Erstens müsse es einen deutlichen Schritt in Richtung Fiskal- und Wirtschaftsunion geben, wofür eine Änderung des Lissabonner Vertrags nötig ist. Unter diesem Titel hatten Merkel und Sarkozy eine verbindliche einheitliche Schuldenbremse für alle Euroländer und deren Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angekündigt. Dazu könnten sich womöglich sogar alle 27 EU-Länder bereiterklären.

Doch zweitens müsse es ein Signal für die längerfristige Bereitschaft zur Vergemeinschaftung von Schulden geben - also Eurobonds, "wie auch immer man sie nennen will". Ob sich der EU-Gipfel dazu durchringen kann, ist laut Emmanouilidis nicht sicher. Schließlich hatten die beiden Spitzenpolitiker Deutschlands und Frankreichs Eurobonds "derzeit" dezidiert abgelehnt. Merkel wieder einmal, Sarkozy so deutlich wie noch nie.

"1,5 bis 2,5 Billionen nötig"

Und "drittens kann in der jetzigen Situation nur noch die Europäische Zentralbank (EZB) helfen, indem sie zumindest temporär als lender of last ressort agiert". Dazu müsste sie bei Bedarf großflächig Staatsanleihen von schwankenden Euroländern aufkaufen - also de facto Geld drucken. Zwar gehen manche EU-Experten in diesem Fall von einer drohenden Inflationsrate von bis zu fünf oder sogar sieben Prozent aus - was aber immer noch viel besser sei als der Kollaps des Euro.

Der EU-Gipfel könne den EZB-Einsatz zwar nicht entscheiden, erklärt Emmanouilidis. Er dürfe aber auch keine Zeichen setzen, welche die EZB daran hindern, noch entschiedener als bisher Anleihen zu kaufen. Denn schließlich wären an die 1,5 bis 2,5 Billionen Euro für ein wirklich ausreichend großes Liquiditätsnetz nötig. Diese Größenordnung sollte den Märkten als Signal genügen, um zu zeigen, dass man über genug Mittel verfügt, um jede Situation zu beruhigen, "wenn sie außer Rand und Band gerät".

Wenn man sich also den Umfang des Eurorettungsschirms EFSF und mögliche Hebel ansehe (geschätzte 750 Millionen Euro), sei ein EZB-Rettungspaket über eine Billion Euro "wahrscheinlich eine vernünftige Größe". "Das Zeichen wäre wichtig, dass die EZB bereit ist, die Mittel zur Verfügung zu stellen und über das (laufende Anleihenkaufprogramm) Security Markets Programme hinauszugehen, in dessen Rahmen sie bisher mehr als 200 Milliarden Euro Staatsanleihen am Sekundärmarkt aufgekauft hat." Dann stelle sich auch nicht mehr die Frage, ob eventuell 1,5 Billionen von der Zentralbank nötig seien - wenn es Einigkeit in der EZB über die Richtung gebe, sei sie dazu problemlos in der Lage. Sie könnte auch dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Geld zur Verfügung stellen, der es dann weiter an bedürftige Euroländer leitet.

Diesen Spekulationen erteilte US-Finanzminister Timothy Geithner am Dienstag allerdings einen Dämpfer: "Wir werden den IWF weiter unterstützen", so Geithner bei seinem Besuch in Berlin. Die Berichte über die Rolle der US-Notenbank seien aber nicht korrekt. Es war spekuliert worden, dass die Federal Reserve helfen könnte, IWF-Mittel für Euro-Hilfsprogramme aufzustocken.

An Souveränität eingebüßt

Für eine Auslegungssache hält EPC-Experte Emmanouilidis die Debatte über den Verlust der nationalen Budgethoheit im Zuge der angestrebten Verfassungsänderung. Denn de facto müssten die Euroländer durch die Eingriffsmöglichkeit des EuGH natürlich Kompetenzen abgeben. Doch "bei der nationalen Souveränität denken wir in Kategorien, über die wir bereits hinaus sind: Dass letztendlich das Budget von nationalen Parlamenten verabschiedet wird, daran wird man nichts ändern. Doch zwischen der rechtlichen und der De-facto-Souveränität gibt es mittlerweile Unterschiede, und das wird künftig noch stärker der Fall sein." Als Beispiele nennt Emmanouilidis Länder, welche bereits nur noch mit Notkrediten am Leben erhalten werden, wie Griechenland, Portugal und Irland. "Die haben sowieso einen großen Teil ihrer Souveränität eingebüßt, weil die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF sie regelmäßig kontrolliert oder gleich permanent vor Ort ist, wie demnächst in Athen."

Ob die Wende in der Eurokrise geschafft wird, ist laut Emmanouilidis nicht sicher: "Die letzten Monate haben uns gelehrt, dass es den Moment nicht gibt, in dem alles gelöst ist. Es wird ein Ergebnis geben, doch die Krise wird anhalten. Die offene Frage ist, ob wir übers Schlimmste hinweg sind." Einen Eklat, welcher den Euro in seiner Existenz bedrohe, werde es aber wohl nicht geben. "Wir sind dabei, konstruktive Lösungen zu finden. Ob die ausreichen, ob nachgebessert werden muss, ob es Probleme bei der Umsetzung gibt: Wir werden sehen."

Wissen: Die Vorschläge von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy zielen fast ausschließlich auf mehr Budgetdisziplin ab: Für Länder, die die Defizitgrenze nicht einhalten, wollen sie automatische Sanktionen, die nur eine qualifizierte Mehrheit abblocken kann. Alle 17 Euro-Länder sollen eine Schuldenbremse in die Verfassung aufnehmen, deren Wirksamkeit der Europäische Gerichtshof überprüfen soll. Der Schuldenschnitt für private Gläubiger wie im Fall von Griechenland soll eine Einmaligkeit bleiben. In Stein gemeißelt ist dies aber nicht – die Eurozone soll sich künftig am Vorbild des Internationalen Währungsfonds orientieren. Das könnte bedeuten, dass Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses) in die Anleihenkaufverträge aufgenommen werden. Der permanente Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll von 2013 auf 2012 vorgezogen werden – und Entscheidungen sollen nicht mehr einstimmig getroffen werden müssen, sondern mit einer qualifizierten Mehrheit von 85 Prozent. Die Staats- und Regierungschefs sollen sich monatlich treffen, um sich über ökonomische Themen wie Wachstum, Arbeitslosigkeit oder Arbeitsrecht abzustimmen ("Wirtschaftsregierung"). Zur Rolle der EZB äußerten sich Merkel und Sarkozy ausdrücklich nicht. Eurobonds seien "in keinem Fall eine Lösung für die Krise", sagte Sarkozy – zumindest sei es dafür zu früh, solange die Einhaltung der Defizitkriterien nicht gewährleistet sei.