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Tiefe Risse in die Erde bohren - aber nur für 80 Jahre

Von Eva Stanzl

Wirtschaft

Schiefergas würde Erdgasvorkommen in Europa verdrei- oder vervierfachen.


Wien.OMV-Chef Gerhard Roiss will im Weinviertel vorhandene Schiefergas-Vorräte gewinnen, sofern es "ökologisch vertretbar" sei, wie er betont. Sein Forscherteam arbeitet intensiv an einem umweltfreundlichen Verfahren zur Förderung des begehrten Rohstoffs aus den Tiefen der Erde. Die Vorkommen könnten Österreichs Jahresverbrauch von acht Milliarden Kubikmetern Gas für mindestens 20 Jahre decken.

Kritiker des derzeit angewendeten "Fracking"-Verfahrens zur Gewinnung von Schiefergas befürchten, dass dabei teils hochgiftige Inhaltsstoffe austreten und das Grundwasser verseuchen könnten. Im US-Bundesstaat Pennsylvania wurde dies im April dieses Jahres bittere Realität, als Hektoliter von mit Chemikalien versetztem Wasser aus einer Gas-Pipeline nach oben drangen. "Der Worst Case ist schlimm, aber es ist kein Atomkraftwerk. Man kann die Schäden mit vertretbaren Methoden wiedergutmachen", entwarnt wiederum Ingo Kapp vom deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam.

Woher kommt dieser derzeit begehrte Rohstoff? Schiefergas ist entstanden wie jedes andere Erdgas. In ehemals organischen Ablagerungen wird es zuerst zu Kohle. Durch Zersetzungsprozesse bildet sich im Muttergestein der Schieferformationen dann Gas, das nach einer Weile auf Wanderschaft geht und sich in meist porösen Sandsteinstrukturen sammelt. Dort ist es unter hohem Druck vorhanden. Bohrt man hinein, tritt es aus. Das Schiefergas ist allerdings noch nicht so weit: Es hat den porösen Sandstein noch nicht erreicht, sondern sitzt fest im Muttergestein und kann daher nur durch horizontale Bohrungen direkt in das Gestein gewonnen werden. Über Rohre werden Wasser und Sand mit hohem Druck hinabgeleitet, was Spalten im Muttergestein erzeugt und dieses aufpresst und offen hält. Es bilden sich Risse oder "Fracks" (to fracture = aufbrechen, aufreißen).

Mit dem Einleiten des Wassers beginnt auch die Biologie in den Tiefen zu wachsen. Das würde die Rohre blockieren - würden dem Wasser-Sand-Gemisch nicht Biozide zugesetzt. Derzeit werden Chlor und Pestizid-ähnliche Substanzen verwendet, wie sie auch in Chemikalien zum Reinigen von Schwimmbädern enthalten sind.

"Die wirklichen Gefahren liegen aber nicht in der chemischen Flüssigkeit, die in das Gestein hineingelassen wird. Sondern sie liegen in dem, was hinterher aus der Erde herauskommt", erklärt Kapp. Gut die Hälfte des Wassers, das nach unten geleitet wird, kommt aufgrund des hohen Drucks wieder zurück: "Der Rückfluss ist gefährliches Formationswasser. Es kommt aus Tiefen, in denen es kein Trinkwasser gibt, sondern Salzlaugen, Kohlenwasserstoff- und Benzolverbindungen oder radioaktive Salze." Bei einem Unfall würden sich lebensfeindliche Substanzen als Kloake über das Land ergießen. Aufgrund der Toxizität dieser Substanzen machen die Biozide, die hineinfließen, dem Erdinneren wenig aus: Das Umfeld ist noch giftiger.

Verteilungsspiel bleibt gleich

Der toxische Rückfluss muss also aufgefangen werden. Herbert Hofstätter von der Montanuni Leoben sieht Fortschritte: "Wir können heute 100 Prozent des Materials, das herauskommt, an Ort und Stelle in die Erde zurückleiten."

Die Tatsache, dass in Pennsylvania dennoch ein schwerer Fracking-Unfall passiert ist, begründet Hofstätter unter anderem mit der geringen Tiefe vieler US-Vorkommen von nur einigen 100 Meter. Anders als bei Bohrungen im Weinviertel, die 4000 bis 6000 Meter hinunter führen müssten, können bei den US-Bohrungen durchaus Risse erzeugt werden, die bis an die Oberfläche reichen. "Zudem ist die Überwachung der Arbeiten weniger seriös", warnt der Geoforscher. Im Unterschied zu Österreich, wo der Bund einen Abbau genehmigen muss, könne in den Vereinigten Staaten jeder auf seinem eigenen Grundstück bohren, wonach er will.

Hofstätter betont, dass mittlerweile biologisch abbaubare Polymere statt den giftigen Bioziden in die Erde fließen könnten, "man muss es nur tun. Europa hat hier strengere Umwelt-Vorschriften als die USA." Kritisch bleibt die Grundwasser-Gefährdung dennoch in den obersten 100 Metern, allerdings bestünde diese Gefahr bei konventionellen Erdgas-Bohrungen in ähnlicher Weise.

Die Gewinnung von Schiefergas würde die Erdgasvorkommen in Europa verdrei- oder vervierfachen, sagt Ingo Kapp: "Wir würden damit unsere Gas-Rückgänge aufhalten, blieben aber von Russland abhängig und würden das Verteilungsspiel und die Energiepolitik nicht ändern." Schiefergas sei zwar klimaschonender als Kohle, aber immer noch fossiler Energieträger. "Weltweit werden wir nicht vor 60 bis 80 Jahren mit fossilen Energieträgern aufhören können, derzeit steigt sogar der Verbrauch aufgrund des wachsenden Bedarfs in China. In der Zeit wird Schiefergas eine merkliche Ressource sein, aber nicht darüber hinaus."