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Die Fusionswelle schwappt wieder

Von Peter Muzik

Wirtschaft

2012 könnte ein Jahr der Super-Deals werden.


EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia hat kürzlich die Prognose riskiert, dass er mit einer riesigen Welle von Unternehmensübernahmen rechne: Zum einen seien Chinas Wirtschaftsstrategen fest entschlossen, sich auf einer weltweiten Einkaufstour in Szene zu setzen. Großkonzerne sitzen auf beachtlichen Finanzreserven - und obendrein ist die Bewertung von Übernahme-Kandidaten meist sehr lukrativ.

Almunias Optimismus kommt überraschend: 2011 hat es bei "Mergers & Acquisitions" (Fusionen und Übernahmen) einen deutlichen Rückschlag gegeben. Laut Thomson Reuters wurden im Vorjahr weltweit 41.348 Unternehmen ver- bzw. gekauft. Dabei haben 2,5 Billionen Dollar die Besitzer gewechselt. Das Volumen ist zwar um sieben Prozent gestiegen - doch im Vergleich zum Rekordjahr 2007 war es schwach: Damals sind 46.678 Übernahmen im Gesamtwert von 4,14 Billionen Dollar realisiert worden.

Als Hürden hatten sich zuletzt der zunehmende Nationalismus und Protektionismus entpuppt: Das Zusammenrücken der New York Stock Exchange etwa mit der Frankfurter Börse - mit dem Ziel, sich gegen die asiatische Konkurrenz behaupten zu können - ist am "No" aus Brüssel gescheitert. Just Almunia ging die potenzielle Marktpower des Duos im Derivatehandel gegen den Strich. Sein Widerstand freute die französischen und britischen Börsianer, die eine deutsche Übermacht befürchtet hatten. Doch auch das Techtelmechtel der London Stock Exchange mit Kanadas TMX Group wurde Mitte des Vorjahres offiziell für beendet erklärt, weil der Plan, zur Nummer eins bei Rohstoffaktien zu werden, nicht die Unterstützung der Shareholder erhalten hatte. Schließlich ist aus dem Flirt der australischen Börse ASX mit jener in Singapur vor etwa einem Jahr wegen massiver Widerstände seitens der Politik in Canberra nichts geworden. Für Duncan Niederauer, Boss der NYSE Euronext, ist "die Zeit der großen Deals in unserem Business vorbei".

Viele Troubles bei Megadeals

Strenge Regulatoren und Antitrust-Spielregeln vereitelten auch in anderen Branchen Großtransaktionen: Bestes Beispiel ist der im März 2011 von der amerikanischen AT & T beabsichtigte 39-Milliarden-Dollar-Takeover des US-Ablegers von T-Mobile. Seit Dezember ist die Angelegenheit Geschichte. Die Deutschen durften sich zumindest über die vorab vereinbarte Ausfallszahlung von drei Milliarden Dollar freuen.

Die Verunsicherung durch die Finanz- und Schuldenkrise wirkte sich insbesonders im letzten Quartal 2011 negativ aus: Dass Mergers leicht platzen können, ist hinlänglich bekannt - aber dass gleich so viele scheiterten, war neu. Etlichen CEOs ist es ergangen wie Nick Buckles, dem Boss der britischen Security Group G4S, die um 8,3 Millionen Dollar den dänischen Putz-Konzern ISS inhalieren wollte. Viele seiner Aktionäre hatten aus Angst vor dem Riesen-Deal ihre Papiere verkauft und einen Kurssturz verursacht. Buckles musste klein beigeben: Er habe den "Markt falsch eingeschätzt". In Wahrheit konnte er die Shareholder nicht von dem riskanten Zukauf überzeugen.

Wie mühsam es geworden ist, sich per spektakulären Zukäufen zu vergrößern, musste auch der kanadische Pharmariese Valeant erfahren: Valeant-CEO Michael Pearson hatte im Vorjahr zunächst die feindliche Übernahme des US-Mitbewerbers Cephalon um 5,7 Milliarden Dollar angepeilt - scheiterte jedoch, weil diesem das Angebot zu mickrig erschien. Dann blitzte er bei der schwedischen Meda ab, die ihm vier Milliarden wert gewesen wäre, und auch bei US-Mitbewerber Medicis war er nicht willkommen. Dann ging der weitaus bescheidenere Versuch, sich die amerikanische ISTA Pharmaceuticals um 353 Millionen Dollar einzuverleiben, schief. Schließlich musste sich Pearson mit kleineren Fischen begnügen: Drei Akquisitionen in Litauen, Australien, Kanada kosteten insgesamt eine Milliarde.

Der Wendepunkt ist erreicht

Die Voraussetzungen für Deals wären ausgezeichnet: Einerseits sitzen expansive Big Player laut Citigroup auf einem Riesenberg von geschätzten 4,2 Billionen Dollar, die für Zukäufe zur Verfügung stünden. Anderseits sind zahlreiche Unternehmen dank der Depression an den Aktienmärkten billiger geworden. Die niedrigen Zinsen würden eine Fremdfinanzierung von Transaktionen günstig gestalten. Und siehe da: Im Februar stieg der Wert der Übernahmen gegenüber dem Jänner bereits um 24 Prozent. Im Vergleich zum Oktober, als der absolute Tiefpunkt erreicht war, betrug das Plus sogar 61 Prozent.

Die involvierten Investmentbanken (die weltweite Nummer eins ist Goldman Sachs) sind zwar in mehr Geschäftsfälle involviert als vor der Krise, doch die Erfolgsrate lässt seit dem Vorjahr zu wünschen übrig. Laut Investmentment-Banker Robert Baird wird nur jeder zweite Deal tatsächlich realisiert. Die ersten Signale für eine Trendumkehr zeichnen sich allerdings ab: Die unlängst angekündigte Fusion der eidgenössischen Glencore International AG, des weltweit größten Rohstoffhändlers, mit dem ebenfalls in der Schweiz beheimateten Bergbaukonzern Xstrata würde mit 80 Milliarden Dollar Volumen nahtlos an frühere Rekord-Transaktionen anschließen.

Der Schweizer Pharma-Riese Roche kämpft gerade um den US-Diagnostik-Spezialisten Illumina und hat unlängst sein Angebot um 15 Prozent auf 6,7 Milliarden Dollar hochgeschraubt. Die Illumina-Aktionäre sind schon jetzt die Sieger: Der Kurs stieg bereits mehr als 100 Prozent.

Sobald sich der Ausblick wieder aufhellt und die Verunsicherung in den Chefetagen abnimmt, ist EU-Kommissar Almunia überzeugt, würden viele Bosse, die derzeit notgedrungen auf Konsolidierung setzen, auf unbändige Expansion schwören. Damit werden die brancheninternen Übernahmen steigen und sich die zuletzt verhalten agierenden Private-Equity-Gesellschaften stärker bemerkbar machen. Als Tempomacher am weltweiten M&A-Markt halten allerdings die Chinesen seit geraumer Zeit alle in Atem.

Die Volksrepublik hat ihre jährlichen Direktinvestitionen im Ausland von 27 Milliarden (2007) auf 60 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr gesteigert (siehe Kasten). Mit einem kumulierten Volumen von 322 Milliarden ist sie nach den USA, Deutschland und Frankreich bereits viertgrößter Investor. Die Finanzströme chinesischer Konzerne, die mit Rückendeckung der Regierung rechnen dürfen, fließen primär via Hongkong und die Steuerparadiese British Virgin Islands und Cayman Island in alle Welt. Immer stärker auch nach Europa, wo sich bereits 1000 Betriebe aus dem Reich der Mitte engagiert haben. Österreichs Flugzeugzulieferer FACC etwa gehört mehrheitlich der Xi’an Aircraft Industry Group in Xian, der steirische Motorenbauer ATB wurde im Vorjahr von der chinesischen Wolong-Gruppe übernommen.

Die Chinesen haben sich unter anderem eine tschechische Zigarettenfabrik, einen deutschen Pumpenhersteller, einen italienischen Motorrad-Produzenten, einen niederländischen Pharmabetrieb und eine britische Holzfirma gesichert - und werden noch einen Zahn zulegen: In den kommenden acht Jahren, schätzt Alex Cho von der Consultingagentur Intertrust, werden sie für Zukäufe in Übersee weit mehr als eine Billion Dollar lockermachen.

Die Volksrepublik tritt seit Jahren als Firmenaufkäuferin auf: Ihr 2007 gegründeter Staatsfonds, die China Investment Corporation (CIC), verwaltet einen Großteil der Währungsreserven und ist daher prall gefüllt. Die CIC, die unter anderem ein paar Prozent an der US-Investmentbank Morgan Stanley oder am hyperaktiven Finanzinvestor Blackstone hält, hat seit 2008 mehrmals mit ein paar hundert Millionen Dollar zugeschlagen, um (eher bescheidene) Beteiligungen an interessanten Unternehmen einzugehen. Ihr Portfolio reicht von Öl und Gas über Immobilien bis zu Investmentgesellschaften in etlichen Ländern, darunter die USA, Großbritannien, Russland oder Brasilien. Eine Reihe anderer China-Konzerne wie Sinopec, CNPC, CNOOC oder Sinochem ist – teils mit etlichen Dollar-Milliarden – bei hunderten ausländischen Betrieben eingestiegen.

Dabei standen Rohstoffe, Eisen und Stahl, Automotive, Energie und Landwirtschaft im Vordergrund. Die Engagements erfolgten in mehr als 50 Ländern auf allen Kontinenten – von Australien bis Schweden, vom Sudan bis Brasilien, bevorzugt aber in Asien. Der Super-Coup war 2008 der Erwerb einer 12-prozentigen Beteiligung am anglo-australischen Aluminium-Riesen Rio Tinto durch die Staatsfirma Chinalco um 14 Milliarden Dollar. Ein Jahr später ist sie freilich beim Versuch, ihren Anteil um 19,5 Milliarden zu verdoppeln, gescheitert. Bei Chinas größten Transaktionen ging es um Firmen wie die Ford-Tochter Volvo, die argentinischen Ölfirmen Occidental und Bridas, weiters um ConocoPhillips sowie Singapore Petroleum, Kupferminen in Sambia, einen Gaslieferanten in Kasachstan oder das Erdöl-Geschäft im Irak, Niger oder in Syrien.

2011 haben die Chinesen laut Pricewaterhouse-Coopers weltweit 207 Unternehmen aufgekauft und 16 Milliarden-Deals gelandet. Mehrfach sind sie abgeblitzt, zwei Mal in Kanada: So scheiterte PetroChina bei Encana – und Minmetals Resources misslang die Übernahme des Kupferproduzenten Equinox Minerals, der ihr 6,3 Milliarden Dollar wert gewesen wäre.