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Ein Moloch ohne Kleingeld, mit vielen Geduldsproben

Von Bettina Figl aus Buenos Aires

Wirtschaft
Ein aufgemotzter Schulbus und eine von vielen Warteschlangen in der Stadt: Vor dieser Schule werden Kinder nur persönlich an ihre Eltern übergeben, denn die Angst vor Kidnapping ist omnipräsent.

Wirtschaft und Inflation wachsen, und Europäer entdecken Jobs in Buenos Aires.


Buenos Aires. Ohne paciencia, also Geduld, geht in Buenos Aires gar nichts. Überall in der Stadt stehen die Porteños, wie die Einwohner der drittgrößten Stadt Südamerikas genannt werden, Schlange: um ihre Kinder von der Schule abzuholen. Um Geld abzuheben. Um der Reihe nach in den Colectivo, den lokalen Bus, einzusteigen. Die Warteschlangen vor den Bussen prägen das Stadtbild am stärksten, sind sie doch das wichtigste Verkehrsmittel in der 13-Millionen-Einwohner-Stadt.

Doch um ein Busticket zu kaufen, braucht man Münzen. Das wäre an sich keine große Sache, gäbe es nicht die Kleingeldkrise: Egal wo man bezahlt, man bekommt nur Scheine zurück. Oft rücken nicht einmal Banken Münzen heraus. Und am Busbahnhof stellen sich Menschen in langen Schlangen an, um Kleingeld zu kaufen: Für 110 Pesos in Scheinen bekommt man 100 Pesos in Münzen.

Um dieses Problem zu umgehen, gibt es seit kurzem ein Chipkartensystem, eingeführt von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner - in Argentinien wird sie salopp "Cristina" genannt.

Doch dieses gilt nicht für alle Busse, sind diese doch privatisiert und kochen ihr eigenes Süppchen. Gegen ein Busunternehmen wird sogar wegen illegalem Münzhandel ermittelt. Und auch optisch gleicht kein Bus dem anderen: Mit allerlei Schnickschnack wie Unterbodenbeleuchtung aufgemotzt und tiefergelegt, brettern sie durch den Moloch, der selbst im Herbst noch vor Luftfeuchtigkeit dampft.

Geld ist in Argentinien nach wie vor ein sensibles Thema. So werden in der Avenida Florida, einer der beliebtesten Einkaufsstraßen der Stadt, mit dem Ruf: "Cambio, Cambio" die illegalen Wechselstuben angepriesen. Denn Pesos dürfen nicht eingeführt werden, und die teuren Gebühren in den offiziellen Wechselstuben wollen viele Menschen umgehen.

Einige Häuserblocks weiter sitzt Gabriel Matula hinter dem Steuer und ruft "Kilombo!", argentinischer Slang für "Chaos" - ein Wort, das die Porteños ständig in den Mund nehmen. Der 35-Jährige ist Grafikdesigner, der Vater Künstler, die Mutter Psychotherapeutin. Bei dem Kauf seiner Eigentumswohnung haben sie ihn finanziell unterstützt. Nichtsdestotrotz hat er Schulden, will sein Auto verkaufen und denkt ans Auswandern: "Im Vergleich zur Inflation sind die Gehälter gering." Das bestätigt auch Fernando Calla, denn während Gehälter und Kaufkraft steigen, schießt die Inflation rasant in die Höhe: "Gas und Elektrizität werden ab diesem Winter nicht mehr subventioniert und dreimal so teuer werden." Die Teuerung von Essen treffe die Menschen im Land am stärksten, erzählt er. Der 34-Jährige betreibt illegal eine Jugendherberge, in der Jugendliche aus Europa wohnen, die hier studieren oder arbeiten.

Spanier und Italiener lassen sich in Buenos Aires nieder

Immer mehr junge Europäer entscheiden sich für ein Leben in Argentinien - das Wetter ist besser, die Atmosphäre relaxter, und es gibt Jobs. Wie viele es sind, ist schwer zu beziffern: In den letzten fünf Jahren soll sich die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen auf 2000 pro Jahr (2011) verdoppelt haben, so das Migrationsministerium. Zusätzlich sollen etliche zwischen Argentinien und Uruguay hin- und herreisen, um ihr dreimonatiges Touristenvisum immer wieder zu verlängern. Bei den jungen Zuwanderern liegen die krisengebeutelten Spanier an der Spitze, gefolgt von Italienern - just jenes Volk, auf deren Wurzeln die Porteños so stolz sind.