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Der Aufstand der Aktionäre

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Wirtschaft

Manager des Versicherungsriesen Aviva und der Barclays Bank müssen gehen.


London. Londoner Aktionärsversammlungen pflegen sonst wenig Aufsehen zu erregen. Sehr selten stört eine missmutige Stimme die zur Schau getragene Einigkeit. Aber das hat sich in diesem Mai geändert. Von einem "Frühling der Aktionäre" ist plötzlich die Rede. Gleich mehrere Generaldirektoren mächtiger Konzerne hat dieser Wandel in den letzten Tagen das Amt gekostet. Erst musste der Chef des Arzneimittelkonzerns AstraZeneca, David Brennan, den Hut nehmen. Dann wurde Sly Bailey, die Generaldirektorin des Druckunternehmens Trinity Mirror, abserviert.

Beim Versicherungsriesen Aviva traf es Andrew Moss, den Geschäftsführer. Bei Barclays Bank die Verantwortliche für die Top-Gehälter, Alison Carnwath. Dass Generaldirektor Bob Diamond die Bank im Vorjahr ungerührt um 17 Millionen Pfund erleichterte, war für die Aktieninhaber nicht länger tolerabel. Das hatte Carnwath so nicht vorausgesehen.

Bei William Hill, dem größten Wettkonzern der Welt, entging dessen Chef Ralph Topping um Haaresbreite dem gleichen Schicksal. 49,9 Prozent der Aktionäre begehrten gegen seine und seiner Kollegen Bezahlung auf. Auch bei der Grubenfirma Xstrata, beim Gaslieferanten Centrica, bei der Autohaus-Kette Pendragon und beim Nahrungsmittel-Konzern Premier Foods krachte es im Gebälk. Bei der weltgrößten Werbefirma WPP muss deren Boss Sir Martin Sorrell im kommenden Monat Schlimmes befürchten. Seine Gesamtbezüge 2011 sollen 13 Millionen Pfund betragen haben.

Triumph des freien Marktes oder Kurzzeitphänomen?

Die Rekordeinnahmen ihrer Spitzenmanager haben die Aktionäre im Finanzzentrum Europas zur Weißglut getrieben. In einer Zeit, in der die meisten Briten ihre Kaufkraft schrumpfen sehen, haben Manager wie Diamond oder Sorrell sich, was ihre Gehälter, Boni und "goldenen Renten" betrifft, als besonders arrogant erwiesen. Zugleich haben viele Unternehmen in den letzten fünf Jahren nur magere Erträge abgeworfen. William Hills operative Gewinne zum Beispiel verzeichnen derzeit überhaupt kein Wachstum. Das Einkommen Ralph Toppings aber wuchs allein im Vorjahr um 56 Prozent.

Mit solcher Unverhältnismäßigkeit der Entlohnung wollen britische Kleinaktionäre ebenso wenig identifiziert werden wie die um ihren Ruf fürchtenden "Großen" - die einflussreichen Versicherungsgesellschaften, Rentenfonds und Investoren. Unterstützt wird die Rebellion von Aktionärsgruppen, die karitativen Organisationen, grünen Verbänden oder den Gewerkschaften nahestehen. Der Gewerkschaftsbund TUC dringt darauf, dass Arbeiter in die Ausschüsse zur Gehaltsfestsetzung in Großkonzernen berufen werden. So könnte man "eine dringend benötigte Dosis Vernunft" in die Chefetagen tragen.

Selbst der liberaldemokratische Wirtschaftsminister Vince Cable sieht die Zeit zum Handeln gekommen. Um den Druck auf die Manager zu verstärken, hat Cable angekündigt, dass er Aktionärs-Entscheidungen zur Vergütung verbindlich machen will. Bisher hatten solche Beschlüsse bloß beratende Wirkung. "Die Aktionäre", meint Cable, "beginnen ihre Muskeln spielen zu lassen. Aber das wird langfristig nur Wirkung haben, wenn sie zur Überzeugung kommen, dass ihre Stimmen auch etwas zählen."

Für Simon Walker vom britischen Managerverband ist dieser "Frühling der Aktionäre" ein Ausdruck der "Selbsterneuerung des Kapitalismus" - ein Triumph des "freien Marktes" also. Wahrscheinlich nur "ein Kurzzeitphänomen" ist der Aufstand hingegen für Simon English, Kommentator des "Independent". Cable könne "so viel Dampf ablassen", wie er wolle: Wenn die Rezession zu Ende gehe, "wird weiter so schön abgesahnt werden wie bisher".