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"Dasselbe Muster wie vor der Krise"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Harm Bandholz sieht Europa dank der Reformen besser aufgestellt als die USA.


"Wiener Zeitung":In ihrer aktuellen Prognose sieht die OECD das Wirtschaftswachstum in den USA bei 2,4 Prozent für 2012. Eine "ermutigende" Entwicklung, wie die OECD meint. Teilen Sie diese Einschätzung?

Harm Bandholz: Wir kommen in unserer Prognose auf dieselben Zahlen. Aber ich würde sagen, dieses Wachstum ist nicht ermutigend, sondern vielmehr enttäuschend. Nach einer so schweren Rezession müsste das US-Wirtschaftswachstum über dem Potenzialwachstum von drei Prozent liegen. Es müssten Produktionsausfälle von der Krise nachgeholt werden. Zweitens darf man nicht vergessen, dass der Staat die US-Wirtschaft noch immer massiv stützt, sowohl über die Fiskal- und die Geldpolitik. Zweieinhalb Prozent Wachstum ist beleibe nicht ermutigend.

Woran hakt es?

In den letzten Dekaden hat man sich nicht bemüht, die Wirtschaft auf gesunde Beine zu stellen. Stattdessen hat man einen beispiellosen Anstieg der Verschuldung zugelassen.

Das begann nicht beim Staat, sondern im privaten Haushalt und im Immobilien-Markt. In letzter Instanz, als der Privatsektor keinen Zugang mehr zu Krediten hatte, ist der Staat eingesprungen mit erheblichen Defiziten. Gleiches gilt für die Geldpolitik - sobald ein Problem da war, ist der Staat eingesprungen. Vergessen wurde aber, die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung zu stellen. Die Infrastruktur, die Ausbildung, all das bröckelt in der Zwischenzeit in den USA weg.

Oft heißt es, die USA können sich solche Maßnahmen im Gegensatz zu Europa leisten, weil der Dollar die globale Leitwährung ist. Die Staatsverschuldung der USA sei anders zu bewerten, als die der Eurozone.

Ja, weil die Staatsverschuldung in den USA ungleich höher ist. Der Währungsfonds geht in der Eurozone von einem laufenden Defizit von 3,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, in der USA werden es etwa 8 Prozent des BIP sein. Natürlich, dass der Dollar die Leitwährung ist, kann helfen, für eine gewisse Zeit die Folgen der Verschuldung abzumildern. Denn damit verfügt die US-Notenbank Fed über einen größeren Spielraum und kann Zinsen niedrig halten, weil sie ohne Rücksicht auf Märkte und Staatsanleihen eingreifen kann. Genau das hat sie auch getan. Die Fed ist mittlerweile größter Einzelgläubiger der US-Schulden mit gut 15 Prozent aller Staatsanleihen. Das ist ein Teil von kurzfristigen Sofortmaßnahmen, aber nichts, was langfristig positiv ist.

Trotzdem, in Europa beneiden viele die USA für die Refinanzierung.

Es stimmt zehnjährige Renditen sind quasi auf einem Allzeit-Tief. Seit dem Jahr 2000 ist die Staatsverschuldung durch die Decke gegangen und die Zinsen sind dabei unverändert geblieben. Dabei ist das einzige, was die Politiker zum Umdenken bewegen würde, wenn die laufende Zinsbelastung nach oben geht. Was weh tut, ist, wenn man irgendwo anders etwas einsparen müsste, weil kein Geld da ist. Aber das ist etwas, was die Fed im Moment verhindert. Der Nachteil ist, dass so kein Reformanreiz vorhanden ist. Wir haben gesehen, dass der einzige Mechanismus über notwendige Reformen nachzudenken, der externe Druck der Finanzmärkte ist. Auch in Europa fingen die Reformen erst an, als die langfristigen Zinsen nach oben gegangen sind. Das ist etwas, was in den USA überhaupt nicht der Fall ist.

Das heißt, die USA haben in den nächsten Jahren keine Probleme.

Da hilft die Krise. Im Moment gibt es sehr viel Liquidität in den Märkten. Da stellt sich die Frage, wo das Geld hingeparkt wird. Mitte der 2000er Jahre - ein, zwei Jahre bevor die Krise begonnen hat - haben einige Länder schon ernsthaft darüber nachgedacht, ihre Bindung zum Dollar zu lösen - sowohl China als auch die erdölexportierenden Länder. Aber mit der Krise wird der sichere Hafen gesucht, und das ist derzeit der Dollar. Und im theoretischen Ernstfall, dass die USA ihre Schulden nicht bezahlen könnten, würde die Notenbank wohl einspringen. Das gibt Investoren Vertrauen. Mittelfristig muss der Dollar natürlich mit so einer Politik abwerten und die Inflationsraten gehen hinauf. Ewig wird es trotzdem nicht so weitergehen. In Europa ist man bereit, kurzfristig einen Preis zu zahlen, damit es mittelfristig besser wird. In den USA ist es genau andersrum.

Die Arbeitsmarktdaten der USA gelten als vielversprechend. Die Zahl der Beschäftigten steigt, die Arbeitslosenrate geht zurück.

Aber nur am Papier. Bei den Beschäftigten ist es so, dass sich der Netto-Anstieg der Beschäftigten verbessert hat. Das liegt daran, dass die Zahl der Entlassungen zurückgegangen ist. Das führt dazu, dass sich der Beschäftigungszuwachs verbessert. Es ist ein Unterschied, ob sich der Arbeitsmarkt verbessert, weil die Unternehmen optimistischer sind und mehr Leute einstellen, oder ob sie einfach so viele Mitarbeiter entlassen haben, dass sie sich schon gesund geschrumpft haben. Das ist aber genau der Fall in den USA.

Als arbeitslos gelten wiederum Leute, die in der Statistik als arbeitssuchend erfasst werden. Da sind aber sehr viele herausgefallen. Die Erwerbsquote ist in den USA so niedrig wie Anfang der 80er Jahre, als noch kaum Frauen am Arbeitsmarkt waren. Jetzt sind wir wieder auf dem gleichen Niveau. Das liegt zum Teil daran, dass die Babyboomer jetzt in Rente gehen. Aber es liegt auch daran, dass viele frustrierte Arbeitslose aufhören, nach Arbeit zu suchen. Wenn diese mitgezählt werden würden, dann wäre die Arbeitslosenquote in den USA bei mindestens 10 Prozent, nicht bei den offiziellen 8 Prozent. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch deutlich höher. Das ist der Grund warum Fed-Chef Ben Bernanke sich wenig beeindruckt von den so verbesserten Daten am US-Arbeitsmarkt zeigt und unbeirrt an seiner Politik festhält. Es sind einfach weniger Entlassungen und weniger aktiv Arbeitssuchende.

Der Binnenkonsum macht noch immer 70 Prozent des BIP aus. Wie sieht es aktuell aus mit der Privatverschuldung?

Die ist während der Krise statistisch zurückgegangen. Auch hier vor allem wegen der Abschreibungen am Papier, weil die Menschen ihre Schulden, vor allem ihre Hypotheken, nicht mehr bedienen konnten. So verschwinden Schulden. Aber jetzt sind in den letzten Monaten die Kredite, vor allem Kreditkarten, Studentenkredite, Autokredite wieder massiv angestiegen. Und zwar stärker, als die Hypotheken zurückgegangen sind. Das Ergebnis: Die Gesamtverschuldung der Haushalte im 4. Quartal 2011 hat wieder leicht zugelegt. Interessanterweise wird das von Politik und Fed als positiv dargestellt wird, weil das den privaten Konsum stützt. Langfristig muss man sich natürlich fragen, ob das nachhaltig ist. Die Verschuldungsquote ist noch relativ hoch und schon fällt man in dasselbe Verhaltensmuster wie vor der Krise zurück.

Im November sind Wahlen. Worin unterscheiden sich die zwei Wirtschaftsprogramme der Präsidentschaftskandidaten?

Ich glaube, man wird keinen Unterschied sehen, da keine der beiden Parteien über die notwendige Mehrheit (die "filibuster majority" - 60 der 100 Sitze) im Senat verfügt. Die Patt-Situation wird bleiben. Dabei müssen sich die Parteien, Wahl hin oder her, zusammenraufen, weil zu Jahresende die temporären Tax-Cuts der Regierung von George W. Bush auslaufen. Wenn sich die Parteien nicht einigen - im Zeitfenster zwischen Wahl-Ergebnis im November und dem neuen Jahr - dann gehen die Steuern hoch, die Staatsausgaben zurück und die USA sind in der ersten Jahreshälfte in einer Rezession.

Harm Bandholz
Der Hamburger lebt seit 2007 in New York und ist dort als Chief Economic Analyst der Unicredit tätig. Zuvor arbeitete er am deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo. Er war auf Einladung der Außenwirtschaft Österreich (AWO Horizonte) in Wien.