Zum Hauptinhalt springen

Wenn die Griechen zur Drachme zurückkehren

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Ein Gedankenspiel, neuerdings als "Szenario" bezeichnet.


Brüssel. Banken, Finanzministerien, Notenbanken - sie alle bereiten sich auf den Austritt Griechenlands aus der Eurozone vor. Das sorgte beim jüngsten EU-Wachstumsgipfel in Brüssel für einige Aufregung. Irrtümlicherweise, wie Beobachter meinen. Denn die Entscheidung darüber trifft jene Regierung in Athen, die sich nach den Wahlen im Juni zusammenfindet. Im Vorfeld prüfen alle Finanzinstitutionen, die mit Währungen und Währungshandel zu tun haben, was eine Umstellung auf die Drachme auslösen würde - das gebietet die kaufmännische Vorsicht.

Und so zeichnen Banken und Notenbanken "Grexit"-Szenarien. Sie prüfen ihre IT, was zu tun sei, um ein neues Währungspaar (Euro und Drachme) zu handeln. "Wir haben noch das alte IT-System, mit dem D-Mark, Franc und alle alten Währungen der Eurozone gehandelt wurden", so Erste-Bank-Sprecher Michael Mauritz. "Wir brauchen nur die Drachme-Parameter erneut einzugeben, das war’s. Die Kosten sind vernachlässigbar." Andere Banken, die ihre Systeme inzwischen erneuert haben, müssen ein Software-Tool kaufen, dann funktioniert’s auch. "Das geht übers Wochenende", ist aus der Bank Austria zu hören. Vergleichbares läuft bei den Zentralbanken weltweit, die natürlich auch - im Rahmen ihrer Aufgaben - mit Währungen handeln, so wie die Nationalbank in Wien.

Damit endet allerdings die Einfachheit. Wenn eine Zentralbank im Euroraum, wie etwa die Nationalbank, erklärt, dass sie ihre technischen Systeme auf den Handel mit Drachmen vorbereitet, dann wird dies von den internationalen Agenturen als "Exit-Strategie" bezeichnet. Also sagt die Nationalbank gar nichts. Was nichts daran ändert, dass sich deren Devisenhandel, so wie jeder andere Handelsraum in Banken auch, darauf vorbereitet.

Deutlich diffiziler wird es beim Druck der neuen Banknoten. Derzeit sind im Euroraum 14,6 Milliarden Banknoten mit einem Gegenwert von 873,8 Milliarden Euro im Umlauf. 22,5 Milliarden Euro davon in Griechenland, das sind etwa 2,5 Prozent. Sollte die Drachme wiederkehren, würde das Land - wegen des niedrigeren Kurswertes - etwa 800 Millionen Banknoten benötigen. Experten im Sicherheitsdruck schätzen, dass die Ausstattung etwa sechs Monate dauern würde. "Nach der Ausschreibung muss zuerst eingekauft werden, allein das dauert", sagt ein Experte, der nicht genannt werden will. Bei einem Stückpreis von 6 Cent je Banknote käme eine Drachme-Erstaustattung entsprechend teuer.

Ein Bombengeschäft für zwei Banknotendruckereien

In Europa gibt es nur zwei Banknotendruckereien, die diese Kapazität aufbringen und wegen des Zeitdrucks ein Bombengeschäft machen würden: Giesecke & Devrient, einen deutschen Sicherheitsdruck-Konzern, der auch Deutschland mit Euro-Banknoten versorgt, und den französischen Mitbewerber De La Rue. Die Maschinen der Franzosen können pro Jahr etwa 800 Millionen Banknoten drucken, die der Deutschen 600 Millionen Scheine.

Diese beiden Privatunternehmen sind es auch, die mithelfen, die "Grexit"-Debatte am Laufen zu halten: Sie erkundigten sich dem Vernehmen nach bereits bei der EZB und der griechischen Zentralbank darüber.

Die Oesterreichische Banknoten- und Sicherheitsdruckerei (OeBS), eine Tochter der Nationalbank, könnte den Auftrag technisch ebenfalls abwickeln. "Eine Beteiligung an einer solchen Aktion würde sicher politische Diskussionen auslösen", ist aus dem Umfeld der OeBS zu hören. Dazu kommt, dass sie in einen Korruptionsskandal verwickelt ist, der zur Abberufung der Geschäftsführung führte und der Mutter Nationalbank überaus peinlich ist. Giesecke & Devrient und De la Rue haben keine derartigen Probleme.

Die große Frage ist allerdings, was wohl in Griechenland passieren würde, wenn ein halbes Jahr auf die neuen Banknoten gewartet werden müsste. "Das würde schlicht zum Chaos führen", sagt ein Finanzexperte in Brüssel.

Da der Umstieg auf die Drachme nicht geheim bleiben könnte, müssten die im Umlauf befindlichen Euro-Banknoten (aber auch Briefmarken) umgestempelt werden. Mit irgendetwas müsste der Einkauf in Griechenland ja bezahlt werden. "In der Bevölkerung wäre der Euro vorhanden und ein gestempelter Euro, der aber nur die Hälfte wert wäre. Ich halte das für schlichtweg unmöglich", meint ein Notenbanker. "All diese Diskussionen über einen Ausstieg Griechenlands nehmen auf diese praktischen Dinge keine Rücksicht, das ist verantwortungslos." Der Umstieg würde in Griechenland wohl nur in der Sicherheitsbranche einen Boom auslösen: Jede Bankfiliale müsste schwer gesichert werden. Und es müsste rigorose Kapitalverkehrskontrollen geben, die Grenzen würden wohl dicht gemacht werden. Das wieder, fürchten Experten in Brüssel, könnte leicht zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen. Ob die Armee dem tatenlos zusehen würde, wird in den Think Tanks in Brüssel bezweifelt, manche halten die Rückkehr zur Militärdiktatur für möglich.

Zerstörungen durch Austritt wären ärger als Verbleib

Abgesehen von den sozialen Verwerfungen und immensen Kosten in den anderen Euroländern sind es solche Szenarien, die EU-Politiker fürchten. Griechenland muss also im Euroraum bleiben, nicht weil das Land so große Fortschritte in der Sanierung machen würde, sondern weil die Zerstörungen durch einen Austritt noch ärger wären. Die Banknotendruckereien mögen ein tolles Geschäft wittern, doch es wäre sehr teuer erkauft.

Dazu kommt, dass die anderen Euroländer der griechischen Zentralbank ihren fast zweiprozentigen Anteil an der EZB abkaufen müssten. Gemessen am gezeichneten Kapital würde dies weitere 2,2 Milliarden Euro kosten. Griechenland müsste wohl auch sein Anteil an der EZB-Währungsreserve (etwa 50 Milliarden Euro) zurückgegeben werden.

Wie stark sich die eher wertlose Drachme danach in der Bevölkerung verbreiten würde, ist ebenfalls offen. In benachbarten Ländern wie Serbien und Bulgarien gibt es nationale Währungen. Dort ist der Euro aber längst ebenfalls ein Zahlungsmittel, in jedem Gemüseladen kann mit der Gemeinschaftswährung bezahlt werden. Dies würde wohl auch für Griechenland gelten. Immerhin ein Viertel aller Euro-Banknoten befindet sich bereits außerhalb der Eurozone, der Großteil davon in Ost- und Südosteuropa.

Profitieren würden eindeutig die Urlauber: Die Drachme würde Griechenland deutlich billiger machen. Diese Freude wäre allerdings nicht ungetrübt. Schon die jetzige Krise führt zu einem starken Buchungsminus. Ob sich das im Drachmen-Chaos verbessern würde, bezweifeln Experten.

Fazit: Der Euro-Austritt Griechenlands mag ein interessantes Gedankenspiel sein, ob die daraus resultierenden Verwerfungen beherrschbar sind, ist aber mehr als zweifelhaft.