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"Asien muss das westliche Modell des Konsumismus zurückweisen"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Nair: Individuelle Freiheit ist "Luxus, den wir uns nicht leisten können".


"Wiener Zeitung":

Wenn die ganze Welt dem westlichen Modell folgt, dann sind wir alle in Schwierigkeiten, so lautet der Tenor ihres Buches "Consumptionomics - der große Verbrauch".Chandra Nair: Dafür reicht eine Welt nicht. Daher sind wir bereits in großen Schwierigkeiten, die Symptome dieser Entwicklung sind sichtbar, aber wir verschließen die Augen vor der Realität. Die einzige Lösung: Asien muss das westliche Modell des Konsumismus zurückweisen. In meinem Buch eröffne die Debatte über die Rolle des Staates: Ich glaube nämlich nicht, dass wir einem westlich-liberalen Gesellschaftsmodell folgen können, in dem die Freiheit des Einzelnen über allem anderen steht und in dem jeder alles haben kann. Das 21. Jahrhundert erlaubt einen solchen Luxus nicht, und das müssen wir verstehen. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Austerität, der Sparsamkeit.

Und zwar nicht in der abstrakten fiskalpolitischen Debatte von Stimulus versus Austerität, sondern es geht um die wahre Bedeutung von Austerität: Sparsamkeit, Disziplin und Einschränkung. Aber ich denke nicht, dass der Westen bereit ist, diese Debatte zu führen.

Warum nicht?

Es ist eben schwer für Menschen, die so viel hatten, diesen Luxus nun aufzugeben. In Griechenland kann man bestaunen, was in Europa passieren kann. Dabei möchte ich auf eines hinweisen: Das Leid der griechischen Bevölkerung - übrigens ein Drittel der Bevölkerung von Bombay - ist überschaubar. Ich möchte nicht herzlos erscheinen, aber wenn man die größeren Zusammenhänge betrachtet, dann ist das, was in Griechenland passiert, bewältigbar. War es IWF-Chefin Christiane Lagarde, die gemeint hat, man soll bei aller Sorge über Griechenland das Leid der Kinder im Tschad nicht vergessen? Was sie nicht gesagt hat: Die Europäer müssen sich daran gewöhnen, mit den vorhandenen Mitteln auszukommen. Die Bewohner des Kontinents hatten die vergangenen 300 Jahre lang leichten Zugang zu den Ressourcen der Welt...

...die sie sich nun mit Asien, den Amerikanern, Afrikanern und dem Rest der Welt teilen müssen.

Genau. Dieses Spiel ist nun vorbei. 2,5 Milliarden Chinesen und Inder sagen: "Hey, das wollen wir auch!" Aber das wird nicht funktionieren. Daher lautet die alles entscheidende Frage: Wie können wir Prosperität und Stabilität garantieren und gleichzeitig einen katastrophalen Kollaps des Ökosystems verhindern? Denn eines muss allen klar sein: Wenn das Wachstum in Asien so weitergeht und die Bewohner des Kontinents dieselben Ansprüche auf die Ressourcen des Planeten stellen wie Amerikaner und Europäer, dann ist die Welt überfordert.

Chandra Nair wurde als Sohn indischer Auswanderer in Malaysia geboren. Er studierte in London. 1991 übernahm er in Hongkong ein Umweltberatungsunternehmen. 2005 gründete er das Global Institute For Tomorrow, einen Thinktank, der ökonomisches Denken mit sozialem Engagement verbindet. Er war Redner beim "Zermatt Summit" für eine menschliche Globalisierung. Foto: Thomas Seifert

"Einschränkung" und "Verzicht": Das hören die Bewohner der westlichen Welt sicher nicht allzu gerne.

Vor dieser neuen Epoche der Austerität muss niemand Angst haben. Um die Zeit, die einem gegeben ist, zu genießen, braucht man nicht nach dem Konsumismus-Prinzip "Kauf ein Stück, dann kriegst Du ein weiteres gratis" zu leben. Worin liegt da der Sinn? Brauchen Sie wirklich ein Flugticket um eine Handvoll Euro? Wie soll denn das funktionieren? Das funktioniert nur, weil die sozialen und Umwelt-Kosten jemand anderer trägt.

Sie sagen, Inder können keine 50.000 Dollar GDP/Kopf erreichen, wir müssen Rohstoffe rationieren, umverteilen. Das klingt nach einem Sowjet-Revival, nach totalitärer Politik, nach einer Öko-Diktatur.

Wenn Sie das so sagen, dann ist das faules Denken. Wir können das 21. Jahrhundert nicht mit den Modellen des 20. Jahrhunderts erklären. Ich mag auch gar nicht über Kapitalismus sprechen, sondern darüber, wie wir Gesellschaften im 21. Jahrhundert organisieren, wenn 12 bis15 Milliarden Menschen auf dem Planeten leben. Liegt die Lösung in "Collective Sharing Capitalism", wie einer meiner Freunde meinte, also "Kollektivem, teilenden Kapitalismus"? Warum nicht.

Wie lautet also Ihre Vision für eine neue Gesellschaft?

Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die strenge Regeln hat. In Asien leben so viele Menschen, da braucht es strenge Regeln, sonst verschlimmert sich die Lebensqualität. Aber wer macht diese Regeln: Firmen oder Grass-Roots-Bewegungen? Fehlanzeige. Es ist ein starker Staat, es sind starke Institutionen, die solche Regeln definieren.

Europa, Kanada, die USA oder Australien haben sich wunderbar entwickelt. Wohl auch, weil sie starke Demokratien sind.

Die liberalen Staaten des Westens hatten den Luxus, sich zu Demokratien zu entwickeln und zwar basierend auf militärischer und ökonomischer Dominanz. Ich möchte auch hinterfragen, wie weit es mit der Qualität dieser Demokratie her ist: In den USA wird man zum Präsidenten gewählt, wenn man eine Summe von einer Milliarde Dollar einsammeln kann, um den Wahlkampf zu finanzieren. Wenn man so vielen Leuten zu Dank verpflichtet ist, dann sind die Handlungsspielräume eingeschränkt.

Von den Ländern Asiens gehen derzeit kaum Impulse zur Lösung der Probleme, die Sie skizzieren, aus.

Ob China oder Indien das hinbekommen, weiß ich nicht. Was ich aber weiß: Wenn die das nicht hinbekommen, dann wird es Zeit, an den Strand zu fahren, ein Picknick zu machen, einen Joint zu rauchen und noch ein wenig Spaß zu haben, bis uns hier alles um die Ohren fliegt. Erzählt mir nicht, dass die Welt flach ist, so wie das Thomas Friedman macht. Die Wahrheit ist: Der Staat wird hinkünftig definieren, was wir in Zukunft haben können. Und in den meisten Ländern heißt das: ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln oder Wasser.