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"Wer Preise verzerrt, richtet Schaden an"

Von Stefan Melichar

Wirtschaft

Unctad-Experte Flassbeck fordert klare Regeln und Verbote an Rohstoffmärkten.


"Wiener Zeitung": Wie weit sind die Rohstoffmärkte derzeit vom marktwirtschaftlichen Ideal entfernt, dass Angebot und Nachfrage tatsächlich den Preis bestimmen?Heiner Flassbeck: Nun, es war schon einmal wesentlich besser. Die Finanzialisierung der Rohstoffmärkte ist ein relativ neues Phänomen. Absicherungsgeschäfte für Personen und Unternehmen, die ein Interesse am physischen Rohstoff haben, hat es immer schon gegeben - das ist aber nicht der Punkt. Seit fünf bis sieben Jahren werden Rohstoffe zunehmend als Investitionsobjekt gesehen. Der Handel mit Rohstoffpapieren beeinflusst dabei auch den Preis der physischen Ware massiv. Je höher der Grad der Finanzialisierung, desto stärker verhalten sich Rohstoffpreise wie jene von Wertpapieren.

Was ist die Folge?

Die Preise werden volatiler und entwickeln sich losgelöst von Fundamentaldaten. Öl ist der am stärksten finanzialisierte Rohstoff. Hier ist bis vor kurzem der Preis gestiegen, obwohl physisch ein Überangebot vorlag. Der Ölpreis hat mit Angebot und Nachfrage nichts zu tun. Allerdings sind auch Märkte für Metalle und für Nahrungsmittel betroffen. Preisblasen können hier - etwa für Entwicklungsländer - verheerende Auswirkungen haben.

Wie kommt es überhaupt zu derartigen Preisblasen?

Grund dafür ist sogenanntes Herdenverhalten: Investoren ahmen - oft automatisiert - das Verhalten anderer Anleger nach. Sonst wäre es nicht erklärbar, warum verschiedene Indizes einander im Sekundenabstand folgen. Das treibt den Preis nach oben, bis die Blase platzt. Das sind alles - von Herdenverhalten getriebene - Schneeballsysteme, bei denen die echten Profis, die rechtzeitig wieder aussteigen, Gewinn machen. Herdenverhalten ist das Gegenteil von dem, was eine Marktwirtschaft braucht.

Gibt es auch gezielte Manipulation?

Die gibt es - vor allem auf engen Märkten. Zum Beispiel bei Kakao und Stahl sind Fälle bekannt, wo einzelne Akteure große physische Mengen aufkauften - in der Hoffnung, dass die Herde aufspringt und sie ein gutes Geschäft machen. In der Herde findet sich immer noch irgendein Dummer, der einsteigt.

Welche Konsequenzen sollten aus Ihrer Sicht gezogen werden?

Es gibt eine Diskussion darüber, die Gesamtmenge an gehandelten Papieren zu beschränken, die sich auf bestimmte Rohstoffe beziehen. Es macht keinen Sinn, wenn Papiere im Umlauf sind, die das Dreißigfache der physisch vorhandenen Menge eines Rohstoffs ausmachen. Man kann ja auch nicht zwei, drei Versicherungen auf ein und dasselbe Haus abschließen. In den USA wird auch sehr ernsthaft diskutiert, ob bestimmte Händler - etwa einzelne Banken - nur noch einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtpapiere handeln dürfen.

Könnte sich eine Finanztransaktionssteuer stabilisierend auswirken?

Eine solche Steuer würde helfen, die Luft aus dem - computergestützten - Hochfrequenzhandel an den Börsen zu nehmen. Bei den üblichen Drei- oder Sechsmonatsgeschäften würde die Abgabe aber nicht ins Gewicht fallen, da hier ohnehin die Gewinnspannen hoch sind. Die Staaten schielen bei einer Finanztransaktionssteuer immer auf den möglichen Ertrag. Man muss aber verhindern, dass diese Geschäfte überhaupt stattfinden.

Die Politik sollte also nicht nur über Einschränkungen nachdenken, sondern auch über Verbote?

Wer Preise verzerrt, richtet Schaden an. Es kann also nicht schaden, Spekulationen mit Rohstoffen zu verhindern. Man könnte Absicherungs- von Spekulationsgeschäften trennen: Wer nicht bereit ist, die Ware physisch in Empfang zu nehmen, könnte von der Börsenaufsicht ausgeschlossen werden.

Ist nicht auch der außerbörsliche Handel - Over-the-Counter-Geschäfte (OTC) - ein Risikofaktor?

Der OTC-Handel ist sicher ein Problem - aber sicher nicht das Hauptproblem. Das größte Problem sehe ich darin, dass selbst nach der Krise 2008 niemand bereit war, die Angelegenheit ernsthaft anzupacken. Ich fürchte, dass auch in Bezug auf einen vorliegenden Entwurf der EU-Kommission weniger herauskommen wird, da die Bankenlobby sehr einflussreich ist. Die, die mit derartigen Geschäften Geld verdienen, wollen keine Reform und blockieren die Debatte.

Heiner Flassbeck ist Direktor der Abteilung Globalisierung und Entwicklungsstrategien der UN-Handels- und Entwicklungsorganisation Unctad.