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Österreich größter Euroverlierer? Studie stößt auf Kritik

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft
© Bilderbox

Wirtschaftskammer und Gewerkschaft zweifeln an UBS-Einkommensstudie.


Wien. In keinem anderen Euroland sei die Kaufkraft zwischen 2000 und 2010 so stark gesunken wie in Österreich: Das ist (wie berichtet) das kontroversielle Ergebnis einer Studie der Schweizer Großbank UBS. Besonders untere Einkommensschichten hätten stark an Lebensqualität eingebüßt: Das real verfügbare Haushaltseinkommen der ärmsten 10 Prozent sei seit der Euro-Einführung um fast 40 Prozent gesunken. Schuld seien schwache Einkommenszuwächse und die hohe Teuerung jener Waren, die bei ärmeren Menschen besonders viel Bares auffressen: Lebensmittel, Energie und Wohnen.

Angesprochen fühlen müssen sich die Sozialpartner, die die Lohnabschlüsse verhandeln. Wirtschaftskammer und Gewerkschaft sind sich einig - in ihrer Kritik an der Studie. Sie berufen sich auf abweichende Vergleichsdaten "ihres" Institutes: Das Wifo wird großteils von den Sozialpartnern finanziert.

Die Einkommensstudie sei "zum Teil zweifelhaft" und der Konnex zum Euro nicht nachvollziehbar, sagt Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian (GPA-djp). Sie zeige freilich, dass Wohlstandszuwächse der vergangenen Jahre nicht bei den Menschen angekommen seien. Daraus leitet Katzian eine "offensive Lohn- und Gehaltspolitik" ab und die Forderung, Vermögen steuerlich stärker und Arbeit weniger stark zu belasten.

"Wir glauben, dass die Studie mangelhaft ist", sagt Wirtschaftskammersprecher Rupert Haberson. "Österreich ist mit einer Lohnpolitik, die sich an der Inlandsnachfrage und Konkurrenzfähigkeit mit dem Ausland orientiert, gut gefahren." Deutschland stand im abgelaufenen Jahrzehnt bekanntermaßen stark auf der Lohnbremse. Das Einkommenswachstum der Bundesbürger fiel weit hinter jenes im Rest Europas zurück. Das machte Druck auf Österreich: Wären bei uns die Löhne viel stärker gestiegen als in Deutschland, wäre das für die heimische Industrie - die von der Rolle als Zulieferer nach Deutschland lebt - kaum verkraftbar gewesen: Sie wäre zu teuer geworden. Weil die Löhne aber doch etwas mehr stiegen als in Deutschland, ist nicht nachvollziehbar, warum die Kaufkraft so viel stärker gesunken sein soll.

Weltbank: Europa ist die größte Wohlstandsmaschine

Die Studie birgt Sprengstoff für den Euro, das erkennen die Autoren selbst. Daten wie jene für Österreich würden "unglücklicherweise auf nationale Interessen ausgerichteten Politikern des Eurokerns in die Hände spielen." Griechen, Portugiesen und Spanier hätten durch den Euro ihren Lebensstandard verbessert - die Einkommen stiegen stark, die hohe Inflation wurde eingedämmt. Über die Verhältnisse gelebt und zum Sparen verdammt, lautet die populistische Folgerung. Österreichs Freiheitliche fühlten sich prompt in der Eurokritik bestätigt.

Diese Argumentation sei freilich "unfair", schreiben die UBS-Experten. Jene Länder, die relativ moderate Einbußen hinnehmen mussten, seien nämlich jene mit dem absolut höchsten Lebensstandard. Den ärmsten Franzosen geht es doppelt so gut wie den ärmsten Griechen. "Es wäre verstörend, die Gesellschaften mit den niedrigsten Einkommen aufzufordern, noch ärmer zu werden, damit die reichsten ihren Lebensstandard verbessern", heißt es.

Global betrachtet ist Europa ein Musterkontinent, wenn es darum geht, Wohlstand zu schaffen: Die Weltbank bezeichnete Europa Anfang 2012 im Bericht "Golden Growth" als "große Konvergenzmaschine", die es wie keine andere Weltregion schaffe, dass rückständige Volkswirtschaften ihren Lebensstandard verbessern. Das galt nach dem Zweiten Weltkrieg für Westeuropa im Vergleich mit den USA, danach für Nord- und Südeuropa und in den vergangenen zwei Jahrzehnten für Osteuropa. Der Aufholprozess durch das Eingemeinden ärmerer Länder sei eine Erfolgsstory, um die Europa bis 2008 die ganze Welt beneidet habe. Der alte Kontinent sei jene "Lifestyle-Supermacht", die Premier Kiichi Miyazawa 1992 aus Japan machen wollte: "Die USA hatten die Macht, China die Dynamik, Europa hatte aber den höchsten Lebensstandard." Eine Erfolgsstory auf der Kippe - wenn sich die Disintegration des Euro fortsetzt und nationale Interessen vor jene des Kontinents gestellt werden.

Deutschland sendet mildere Signale in Richtung Athen

Deutsche Politiker zeigten sich am Dienstag indes versöhnlicher gegenüber Griechenland: Der Vizechef der Unionsfraktion, Michael Meister, sagte, er halte Umschichtungen im laufenden Rettungspaket oder vorgezogene Hilfszahlungen für möglich. CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle kann sich Anpassungen bei den Zinsen vorstellen. Heute, Mittwoch, trifft Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker den griechischen Premier Antonis Samaras in Athen.