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Hintergrund: Auf 22.500 Seiten regelt die WTO den freien Handel

Von Helmut Dité

Wirtschaft

Gerade in Krisenzeiten versuchen viele Staaten wieder mehr Protektionismus.


Genf/Wien. Und jetzt auch noch die chinesischen Weinbauern: Der chinesische Verband für alkoholische Getränke hat die Führung in Peking aufgefordert, Dumpingpreise sowie Subventionen für europäische Weinhersteller zu prüfen. Die Importe von Wein aus der EU sind in den vergangenen Jahren rasant gestiegen: 2011 wurden fast 170 Millionen Liter ins Reich der Mitte geliefert, fast fünfmal so viel wie 2008. China ist mittlerweile weltweit der fünftgrößte Weinabnehmer - der "Angriff" aus Europa lasse die Geschäfte und Marktanteile der chinesischen Anbieter schmelzen, wird moniert.

Ein paar andere Fälle für die Welthandelsorganisation - alle erst in den vergangenen Tagen auf die Schreibtische der Experten in Genf geflattert: Argentinien reichte am Montag eine Klage gegen Spaniens neue Einfuhrbestimmungen für Biodiesel ein - die spanische Importpolitik sei protektionistisch und verringere die Exporterlöse des südamerikanischen Landes um eine Milliarde Dollar pro Jahr. Argentinien reagierte damit offenbar auf eine EU-Beschwerde gegen Argentiniens Importpolitik vom Frühjahr.

Klagen und Gegenklagen

Ebenfalls am Montag protestierte China gegen sechs US-Programme zur Förderung erneuerbarer Energien - sie stellten Hürden für chinesische Exporte dar und verletzten die Regeln der WTO. Falls die Förderprogramme für Wind-, Solar- und Wasserenergie nicht gekürzt würden, werde man mit Sanktionen reagieren. Westliche Solarfirmen werfen der Konkurrenz aus China seit Jahren vor, mit Niedrigzinskrediten subventioniert Dumpingpreise zu bieten. Die USA verhängten im Mai Strafzölle auf chinesische Solarpanele, im Juli folgten Maßnahmen gegen den Import chinesischer Windkraftanlagen.

Seit kurzem liegt der WTO eine gemeinsame Klage der EU, der USA und Japans gegen die restriktive Exportpolitik Chinas bei den Seltenen Erden vor - die Chinesen produzieren derzeit 90 Prozent der in der Elektronikindustrie wichtigen Rohstoffe.

In Zeiten wirtschaftlicher Krisen greifen immer mehr Staaten zu indirekten protektionistischen Maßnahmen, um heimische Unternehmen von ausländischer Konkurrenz abzuschotten, resümierte WTO-Chef Pascal Lamy in dem im Juli vorgelegten 250 Seiten starken "World Trade Report 2011". Besonders für exportabhängige Volkswirtschaften sei die Zunahme solcher sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse Anlass zu großer Sorge.

Denn während Schutzzölle oder Exportsubventionen den meisten Staaten durch ihre WTO-Mitgliedschaft verwehrt sind, nehmen Ersatzmaßnahmen wie Importverbote wegen mutmaßlicher Sicherheitsprobleme bei Produkten oder Sorgen um die Gesundheit von Konsumenten zu. Zwar könnten solche Schritte nachvollziehbare Gründe haben, jedoch dienten sie immer öfter "eher der Erreichung einer Reihe politischer Ziele", befürchtet Lamy. Die WTO müsse diese Handelshemmnisse genauer unter die Lupe nehmen.

Die WTO besteht seit 1. Jänner 1995, ihr Vorgänger war das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT. Hauptziel der Organisation ist "die Schaffung eines freien Welthandels durch den Abbau von Zöllen und sonstigen Hemmnissen". Zugleich legt die WTO Regeln für den internationalen Austausch von Waren- und Dienstleistungen fest und entscheidet in Streitfällen. Beschlüsse werden traditionell einstimmig von den - inklusive Russland - 156 Mitgliedstaaten gefasst. Oder eben nicht.

Die endlose Doha-Runde . . .

Jedes Mitglied ist laut WTO-Statuten verpflichtet, die Handelsvergünstigungen, die es einem Land gewährt, auch allen anderen einzuräumen. Ausnahmen sind für regionale Bündnisse wie die EU oder den südamerikanischen Mercosur zulässig. In bestimmten Fällen dürfen einzelne Länder Strafzölle auf Produkte aus anderen Staaten verhängen. Ein weiteres WTO-Prinzip ist, dass importierte Waren gegenüber einheimischen nicht benachteiligt sein dürfen.

Die WTO legt ihre Abkommen in sogenannten Handelsrunden fest - bereits unter GATT gab es acht davon, beginnend mit der Havanna-Runde 1947. Zuletzt abgeschlossen wurde 1994 die 1986 begonnene Uruguay-Runde, deren Vereinbarungen 22.500 Seiten füllen. Die WTO-Runden senkten die durchschnittlichen Zölle zwischen den Teilnehmerstaaten von ursprünglich 45 auf 3 bis 4 Prozent - laut WTO ein wesentlicher Grund dafür, dass das Volumen des Welthandels im Jahr 2000 rund 22 Mal größer war als fünf Jahrzehnte davor.

Eigentlich sollte 1999 in Seattle die nächste Runde starten - dies scheiterte aber am - seitdem andauernden - Streit über Agrarfragen und Entwicklungspolitik. Erst Ende 2001 wurde im Golfstaat Katar die Doha-Runde beschlossen, die 2005 vollendet sein sollte. Der Abschluss der wegen ihres Schwerpunkts auf der Verbesserung der Lage armer Länder auch "Entwicklungsrunde" genannten Verhandlungen steht immer noch in den Sternen.