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Apple lehrt das Fürchten

Von Stefan Meisterle

Wirtschaft

Schnell gefälltes Laien-Urteil lässt Skepsis an Fundiertheit aufkommen.


San Francisco. Neun Personen und 22 Stunden: Mehr bedurfte es Ende voriger Woche nicht, um zu einem wegweisenden Urteil im Patentstreit zwischen Apple und Samsung zu gelangen. Der südkoreanische Elektronikkonzern Samsung, dem vorgeworfen wird, mit seinen Smartphones und Tablets Apple-Patente verletzt zu haben, wurde zu einer Schadenersatzzahlung von 1,05 Milliarden Dollar (840 Millionen Euro) verurteilt. Während Samsung angekündigt hat, gegen das Urteil zu berufen, zittert die Elektronikbranche vor den Folgen, die der Entscheid nach sich ziehen könnte.

Es war nur ein Schauplatz in jenem großen Patentkrieg, den einander Apple, Samsung und weitere Handyhersteller seit geraumer Zeit im Ringen um Marktanteile liefern. Und doch war es der bisher bedeutendste: Im Bezirksgericht San José im US-Bundesstaat Kalifornien wurden unter dem Vorsitz von Richterin Lucy Koh die wechselseitigen Vorwürfe zwischen Samsung und Apple verhandelt.

Vorwürfe, die um patentierte technische Aspekte und Design-Entscheidungen bei Smartphones und Tablets der beiden Unternehmen kreisen, die einander vielfach ähneln und sich in einzelnen Bereichen tatsächlich überschneiden. Das zumindest befand die aus neun Geschworenen bestehende Jury in sechs von sieben Patentverletzungsbeschwerden, die Apple gegen Samsung vorgebracht hatte. Konkret ging es dabei um Detailaspekte wie das Scrollen über einen Bildschirm hinweg, Informationsanzeigen während laufender Chat-Sitzungen oder Designfragen wie die Gestaltung der Bedienungsoberfläche. Allen Vorwürfen gemein ist ein hoher technischer Komplexitätsgrad, der ein akribisches Studium der gerichtlichen Unterlagen erfordert. Und genau das wirft die Frage auf, wie fundiert das Urteil einer Laien-Jury sein kann, das nicht nur nach weniger als drei Tagen Beratungszeit gefällt werden konnte, sondern auch auf einem Fragekatalog mit rund zwei Dutzend Entscheidungsfragen basierte.

Samsung will Verfahren noch nicht aufgeben

Für Samsung, dessen Patentverletzungsvorwürfe gegen Apple zeitgleich ausnahmslos abgeschmettert wurden, ist dieser Prozess der Entscheidungsfindung Grund genug, den Kampf vor dem Bezirksgericht San José noch nicht aufzugeben. "Wir sind natürlich sehr enttäuscht über das Urteil am Bezirksgericht in Nordkalifornien", teilt der Konzern auf seinem Firmenblog mit. Samsung weist ferner darauf hin, dass die Entscheidung der Laien-Jury anders ausgefallen sei, als Gerichte in Großbritannien, Deutschland, Südkorea und den Niederlanden im Rahmen des Patentkrieges geurteilt hätten. Dass dabei erstmals Geschworene und nicht Richter die Entscheidung fällten, beschrieb ein Samsung-Manager gegenüber der "Korea Times" als "das absolut schlimmste Szenario".

Für den südkoreanischen Konzern steht somit fest, dass man das Urteil keineswegs so hinnehmen werde. "Der finale Urteilsspruch der Richterin ist neben einer Reihe von anderen Prozeduren noch ausständig. Wir werden alles geben, damit unsere Argumente Gehör finden werden", lässt das Unternehmen wissen.

Apple will davon freilich nichts wissen. Vielmehr feiert man das Urteil und darf sich über ein neues Allzeithoch der Aktie freuen: Das Papier kletterte um drei Prozent auf mehr als 680 Dollar (543 Euro) und hievte das Unternehmen nach Marktkapitalisierung auf einen Rekordwert von 638 Milliarden Dollar (509 Milliarden Euro).

In einer Mitteilung an die Angestellten richtete Konzern-Chef Tim Cook den Geschworenen seine Dankbarkeit aus. "Wir sind der Jury, die ihre Zeit dafür investierte, unseren Beschwerden zuzuhören, zu Dank verpflichtet." Ein Berg an Beweisen habe dazu geführt, Samsung des Kopierens fremder Errungenschaften zu überführen. "Die Jury hat gesprochen. Wir applaudieren ihr für die Erkenntnis, das Verhalten von Samsung als vorsätzlich beurteilt zu haben und dafür, die klare und laute Botschaft auszuschicken, dass Stehlen nicht rechtens ist", wird der Apple-Chef in der Mitteilung zitiert.

Patentverletzung lautet der Vorwurf zwischen Apple und Samsung.

Eine Botschaft für die gesamte Konkurrenz

Eine unüberhörbare Botschaft, die neben Marktführer Samsung auch die anderen Mitbewerber in der Branche vernommen haben dürften. Denn Firmen wie HTC, Sony, LG oder Google kämpfen mit aller Macht um Anteile am rasant wachsenden Markt für Smartphones und Tablets. Die Geräte, die von diesen Anbietern auf den Markt gebracht werden, verfügen dabei vielfach über ähnliche Funktionen, Designentscheidungen und Preise.

Einen Warnschuss könnte das Urteil somit für die gesamte Branche bedeuten: Experten rechnen bereits damit, dass die Hersteller nun Ähnlichkeiten ihrer Produkte mit den Apple-Modellen iPhone und iPad tunlichst reduzieren werden. Denn Apple hat nicht nur gezeigt, welche Dimensionen vor Gericht ausgetragenen Patentstreitigkeiten erreichen können, sondern verfügt auch über ein Arsenal an Patenten, das um und für iPhone und iPad aufgebaut wurde und das jederzeit gegen Konkurrenten zum Einsatz gebracht werden kann. Die aus einer Anpassung der Produktpalette resultierenden Mehrkosten könnten Apples Mitbewerber in letzter Konsequenz an die Konsumenten weitergeben, wie Branchenkenner bereits befürchten. So wurde für Samsungs Smartphones und Tablets bereits eine Preiserhöhung von etwa acht Euro pro Gerät prophezeit. Samsung selbst macht dazu keine Angaben, schließlich will man zunächst die Aufhebung des Urteils der Geschworenenjury erwirken.

Vergleichsweise gelassen zeigt sich indes ein anderer Mitbewerber Apples, dessen Produkt in San José indirekt am Pranger stand: Google. Der Internet-Gigant zeichnet für die Entwicklung des Smartphone-Betriebssystems Android verantwortlich, das nicht nur in direkter Konkurrenz zum Apple-Pendant iOS steht, sondern auch auf vielen Geräten anderer Herstellern eingesetzt wird - unter anderem eben bei Samsung, aber auch bei HTC, Motorola oder LG.

Bei Google ist man zwar überzeugt, dass die Entscheidungen der Geschworenen den "Kern des Android-Betriebssystems" nicht berühren. Dass Apple in der Patentverletzungsbeschwerde explizit die Symbol-Gestaltung bei iOS thematisiert, die bei Android in ähnlicher Form realisiert wurde, wird Google nicht entgangen sein. Man betont, dass sämtliche Geräte "auf Ideen aufbauen, die es seit Jahrzehnten gibt". Doch schließlich wird zur Betriebssystem-Rivalität zwischen Apple und Google ja auch gerne der verstorbene Apple-Chef Steve Jobs zitiert, der gegen Google einen "Atomkrieg" ausrief. Man darf also davon ausgehen, dass das Urteil nicht die letzte, sondern nur eine weitere Etappe im Patentkrieg der Hersteller darstellt.