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Wenn die Tricks der Magier scheitern

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Investoren hoffen, dass Notenbankchef Ben Bernanke die US-Wirtschaft ankurbelt.


Kansas/Wien. 26. August 2005 war der Tag, an dem die Krise verhindert hätte werden können. In einem Luxusressort im Grand Teton Nationalpark in den Rocky Mountains saß eine elitäre Runde der einflussreichsten Zentralbanker, Ökonomen und Politberater. So wie jedes Jahr Ende August seit 1976, wenn die Federal Reserve Bank von Kansas City zu ihrem Wirtschaftssymposium in Jackson Hole lädt. Das Thema des informellen Zentralbanker-Treffens 2005 lautete "Die Ära Greenspan, Lehren für die Zukunft". Alle huldigten dem "Maestro", dem langjährigen US-Zentralbankchef Alan Greenspan, dessen Amtszeit sich dem Ende zuneigte.

Alle bis auf einen: Am zweiten Tag stand ein Vortrag von Raghuram Rajan, damals Chefanalyst des Internationalen Währungsfonds (IWF), auf dem Programm. Eigentlich hatte der indischstämmige Ökonom geplant, darüber zu referieren, wie Innovationen, von den boomenden Kreditderivaten über Credit Default Swaps (CDS) bis zu strukturierten Papieren, die Finanzwelt sicherer machen.

Je länger er jedoch analysierte, umso stärker verkehrte sich sein Eindruck ins Gegenteil: Eben diese Innovationen könnten ebenso gut zu Klumpenrisiken führen, Marktverzerrungen verursachen oder gar eine "größere (wenn auch immer noch kleine) Wahrscheinlichkeit einer katastrophalen Kernschmelze" bergen. Genau so ist es gekommen. 2005 stand Rajans Analyse freilich in krassem Widerspruch zu Greenspans Überzeugung, dass Deregulierung und Innovationen die Finanzwelt verbessern. Und das wurde als Majestätsbeleidigung empfunden.

"Ich finde diesen leicht maschinenstürmerischen Ansatz weitgehend fehlgeleitet", sagte Larry Summers, später oberster Wirtschaftsberater im Team von US-Präsident Obamas. Er war der erste, aber nicht einzige, der die Präsentation schroff zurückwies. Rajan sagte 2010 im "Wall Street Journal", er habe sich gefühlt wie einer der frühen Christen, die den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurden. Dabei wäre damals der richtige Zeitpunkt und Ort gewesen, um die Krise vor dem Ausbruch zu hindern. Es hätte nur einer die Konsequenz aus Rajans brillanter Analyse ziehen müssen.

Lockerung erfreut Börsianer

Die Episode dient als Warnung. Selbst die mächtigsten Männer der Finanzwelt sind fehlbar. Sie sind es, obwohl (oder gerade weil) sie von vielen als Magier angesehen werden, die mit bloßen Worten die Börsenkurze hoch- oder runtertreiben können. Das ist der wahre Grund, warum die Finanzwelt erneut gebannt nach Jackson Hole schaut, wohin die neue Präsidentin der Kansas-City-Fed, Esther George, Ende der Woche lädt.

Am 31. August um 10 Uhr Ortszeit hält Ben Bernanke, der Chef der US-Notenbank Federal Reserve, seine Rede zum Thema "Geldpolitik seit der Krise". Wird er oder wird er nicht? Die meisten Investoren und Analysten erwarten, dass Bernanke eine dritte Runde des sogenannten "Quantitative Easing" ankündigt. Bei dieser als geldpolitische Lockerung umschriebenen Operation kauft die Notenbank im großen Stil die US-Staatsschuldpapiere auf, womit sie große Geldbeträge in den Finanzkreislauf pumpt. Das soll Kredite verbilligen und die Konjunktur ankurbeln. Die Börsenkurse wird die Rede auf jeden Fall bewegen - denn gibt Bernanke keine Signale auf "QE3", wäre die Enttäuschung groß, die Kurse würden purzeln. Und das scheint durchaus möglich: Die jüngsten Konjunkturprognosen für die USA sind schwach, aber besser als erwartet ausgefallen.

Finanzkollaps verhindert

Wie mächtig sind die Zentralbanker und wo liegen die Grenzen der Geldpolitik? Und: Kann EZB-Chef Draghi der Eurokrise die entscheidende Wende geben?

Diese Fragen werden mit Fortdauer der Krise immer virulenter. Denn die Zentralbanken sind die einzigen Institutionen, die kurzfristig enorme Schlagkraft entfachen können. Jederzeit bereit: Das ist besonders in Europa, wo 27 EU- oder 17-Euroländer mühsam politische Kompromisse finden müssen, entscheidend. Die Beschlusskraft der EZB hingegen ist trotz ihres Richtungsstreites (siehe Story rechts) nicht in Gefahr. EZB-Chef Draghi legt in seinem Krisenmanagement erstaunlich großes Selbstbewusstsein an den Tag. Er weiß eine breite Mehrheit im EZB-Rat hinter sich - auch, wenn die mächtige deutsche Bundesbank gegen seinen Kurs ist.

Was aber haben die Zentralbanken bisher erreicht? Aus der Not wurde das wahrscheinlich größte Finanzexperiment aller Zeiten geboren. Die Zentralbanken haben - davor allenfalls theoretisch diskutierte - Notmaßnahmen ergriffen: Die Leitzinsen wurden nahe oder sogar auf Null gesenkt. Sie haben Staatsanleihen aufgekauft und ihre Bilanzsummen gewaltig aufgebläht. Sie haben billige Megakredite an die Banken vergeben und akzeptieren deutlich schlechtere Papiere als Sicherheiten - gehen also ein größeres Risiko ein.

Durch ihr beherztes Eingreifen haben die Währungshüter einen kompletten Kollaps des globalen Finanzsystems abgewehrt. Sie halten marode Banken durch günstige Finanzierungslinien am Leben - was nicht positiv sein muss: "Zombiebanken", also vor sich hinvegetierende Institute, blockieren die wirtschaftliche Gesundung. Zentralbanken steuern Stimmungen und können Marktumschwünge bewirken. All das sind freilich kurzfristige Effekte.

Wesentlich karger sieht die Erfolgsbilanz aus, wenn es darum geht, eine nachhaltige Erholung in Gang zu bringen und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Auch nach zwei Runden "Quantitative Easing" der Federal Reserve ist der Aufschwung in den USA schwachbrüstig geblieben, die Arbeitslosigkeit unverändert hoch. Besonders argwöhnisch beäugen Bernanke die Republikaner - sie vermuten hinter jeder Fed-Aktion Wahlkampfhilfe für den amtierenden Präsidenten Obama.

In der Eurozone wirft die EZB ihr Gewicht in die Waagschale - hier geht es um noch viel mehr, nämlich den Fortbestand der Währungsunion als Ganzes. Da scheint es eher kurios, wenn geldpolitische Falken um die Preisstabilität fürchten: Solange das Haus in Flammen steht, sind die meisten dankbar, wenn die Feuerwehr ausrückt - statt sich um etwaige Lösch- und Wasserschäden am Mobiliar zu sorgen. So argumentiert auch Draghi die Rettungsaktionen der Zentralbank.

Dennoch: Die EZB kann das grundlegende ökonomische Auseinanderdriften der Eurozone nicht verhindern. Sie kann die Entscheidungsträger nur auf den richtigen Weg leiten, aber keinen Schalter umlegen, der sofort Wachstum ermöglichen würde.

Die beruhigende Nachricht: Zentralbanken gehen nicht einfach pleite. Ihr Scheitern besteht darin, dass sie ihre Glaubwürdigkeit verlieren und die Instrumente stumpf werden. Etwa wenn Zinsen nicht mehr tiefer gesenkt werden können, aber auch exzessive Finanzspritzen keine Wirkung verursachen - weil ohnehin genügend Geld im Umlauf ist.

Dann ist die Gefahr, dass sich das billige Geld andere Wege bahnt und neue Spekulationsblasen entstehen. Und für eine neuerliche Finanzkrise wäre die Welt denkbar schlecht vorbereitet.

Krise noch auf lange Sicht

Was sagt Raghuram Rajan heute? Er warnt, die Politik der Ankurbelung immer nur nach kurzfristigen Effekten zu bewerten. Es sollten stets die langfristigen Konsequenzen bedacht werden. Und er variiert dafür das legendäre Zitat von John Maynard Keynes, das dessen Anhänger immer noch gerne aufgreifen, wenn jemand vor Langzeitfolgen warnt: "Auf lange Sicht werden wir nicht tot sein, sondern uns immer noch von der Großen Rezession erholen", schrieb Rajan vor einigen Wochen in seinem Blog. Nur eine nachhaltige Erholung würde jene Beschäftigung schaffen, welche die Arbeitslosigkeit auf Dauer senkt.
<br style="font-weight: bold;" /> Wissen: "Chicago-Plan" zur Entmachtung der Banken:
1936, als die Große Depression kulminierte, schlug der US-Ökonom Irving Fisher eine fundamentale Finanzreform vor: Die Geldmenge und die Kreditvergabe sollten getrennt werden – und somit die Banken weitreichend entmachtet. Bekannt wurde dieses (nie verwirklichte) Konzept als "Chicago-Plan". Jetzt wurde dieser wiederbelebt: In einer Studie haben ausgerechnet zwei Forscher des Internationalen Währungsfonds, Jaromir Benes und Michael Kumhof, durchgerechnet, welche Folgen dies hätte. Dazu als Hintergrund: In unserem aktuellen Finanzsystem dürfen neben den Zentralbanken auch Geschäftsbanken Geld schöpfen – indem sie auf Basis der erforderlichen Mindestreserven ein Vielfaches an Krediten vergeben können. In einem Vollgeld-System, wie es Fisher vorschwebte, sollten nur die Notenbanken Geldschöpfung betreiben dürfen. Die Geschäftsbanken dürften lediglich Kredite vergeben, die 100-prozentig gedeckt wären.  Die IWF-Forscher bestätigten nun jene vier Vorteile eines Vollgeld-Systems, die schon Fisher erwähnt hatte.

Erstens: Die Kreditzyklen könnten wesentlich besser kontrolliert und gesteuert werden, das Auf und Ab der Wirtschaft hätte ein Ende. Derzeit vergeben die Banken im Aufschwung besonders viele Kredite – und treten just im Abschwung auf die Bremse.
Zweitens: Panische Anstürme auf Banken würden eliminiert, weil nicht mehr Geld vergeben würde als da ist.
Drittens: Die Zinskosten für Staaten könnten auf Null gesenkt werden, wenn diese Geld direkt ausgeben könnten statt es sich über den Umweg der Banken zu borgen. Die Staatsverschuldung würde drastisch gesenkt. Viertens: Weil die Geldschöpfung von der Vergabe von Krediten entkoppelt wäre, könnte auch die Privatverschuldung reduziert werden.