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"Bis zur letzten Sekunde warten?"

Von Karl Leban

Wirtschaft
Generali-Österreich-Chef Cirinà ist seit 1. Juli auch Präsident des Versicherungsverbands.
© © Franz Reiterer

Zu wenig Anreiz für Pensionsvorsorge: Österreich hinkt Westeuropa weit nach.


"Wiener Zeitung": Lebensversicherungen sind derzeit nicht gerade ein Verkaufsschlager. 2011 gab es ein Minus von 7,5 Prozent, für heuer wird in der heimischen Branche eines von 4,4 Prozent erwartet. Warum schrumpft der Markt, obwohl die private Altersvorsorge aktueller denn je sein müsste?Luciano Cirinà: Nun, wir haben eine Niedrigzinsphase und eine Verunsicherung durch die Krise in Europa. Ein Teil der Rückgänge ist aber auch durch die Politik verursacht.

Was sprechen Sie hier konkret an?

Vor allem die steuerliche Mindestbindungsfrist für Einmalerläge, die von 10 auf 15 Jahre angehoben wurde, und die Halbierung der staatlichen Prämie bei der Zukunftsvorsorge. Das Problem ist: Man signalisiert den Bürgern damit, dass privates Vorsorgen nicht so wichtig ist. Dabei postulieren sowohl die OECD als auch die EU, dass die zweite und dritte Säule, also die betriebliche und die private Altersvorsorge, die staatliche Pension ergänzen müssen.

Was fordern Sie von der Politik?

Sie sollte sich mit dem Thema Pensionsvorsorge ernsthaft auseinandersetzen. Man muss ein vernünftiges Zusammenspiel von erster, zweiter und dritter Säule erreichen. Die zentrale Frage ist: Wie kann man die erste Säule, die demographisch getrieben ist und deren Finanzierbarkeit deshalb immer stärker unter Druck kommt, langfristig sichern? Wie kann die erste Säule durch ein faires Ergänzungssystem gestärkt werden? Ein Wunsch der Branche ist seit Jahren, dass in der zweiten Säule der Steuerfreibetrag von 300 auf 840 Euro erhöht wird. Dass die Politik etwas tun muss, zeigen folgende Zahlen: In Westeuropa haben Lebensversicherungen einen durchschnittlichen Anteil von 5,26 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. In Österreich sind es hingegen nur 2,7 Prozent, damit haben wir gemeinsam mit Griechenland die rote Laterne. Es gäbe also genug Entwicklungsspielräume, um das Pensionssystem langfristig auf sicherere Beine zu stellen.

Was hält den Staat davon ab, sich bei den Pensionen durch kluge Förderung der privaten Vorsorge langfristig zu entlasten?

Ich glaube, dass man in eine ideologische Diskussion geht. Die einen sagen, nur der Staat ist das Richtige, und die anderen sagen das Gegenteil. In Wahrheit geht es aber nicht um Ideologien, sondern um die Frage der Finanzierbarkeit, die irgendwann an ihre Grenzen stößt. Italien etwa musste eine drakonische Pensionsreform durchziehen, weil das Fass übergelaufen ist. In Österreich liegen die Dinge anders, man hätte nicht den Druck wie Italien. Eine Pensionsreform könnte viel bürgerfreundlicher - mit Übergangslösungen - gemacht werden. Warum bis zur letzten Sekunde warten, bis es nicht mehr geht?

Sind Sie als neuer Versicherungsverbandspräsident wegen Ihrer Anliegen schon in Gesprächen mit der Politik?

Wir versuchen auf allen Ebenen, das Gespräch zu verstärken - nicht nur mit dem Finanzministerium, sondern auch mit den Konsumentenschützern und anderen Stakeholdern. In nächster Zeit muss es zu einer Bewegung kommen.

Haben Sie abseits der privaten Altersvorsorge weitere Wünsche?

Ein für die Bevölkerung sehr wichtiges Thema sind Naturgefahren. Ich meine nicht Sturm und Hagel oder die Unwetter vom Juli, das ist normales Geschäft. Für diese Gefahren können wir vorsorgen und die Deckungen bis zur vollen Summe anbieten. Ich meine vielmehr Erdbeben und Überschwemmungen. Gerade die Flutkatastrophe 2002 ist ein Paradebeispiel dafür, wie furchtbar die Auswirkungen sein können, wenn die private Wirtschaft nicht die vollen Schäden versichern kann. Man sieht hier eine gewaltige Diskrepanz zwischen wirtschaftlichen und versicherten Schäden, weil die Versicherer wegen des enormen Schadenpotenzials entweder inakzeptable, weil exorbitant hohe Prämien verlangen müssten oder nur eine begrenzte Deckung anbieten können.

Unser Vorschlag zielt darauf, die Deckung so breit wie möglich zu machen und eine eigene Prämie für Katastrophenschutz an die freiwillige Feuerversicherung zu koppeln. Die Einnahmen sollten in einen gemeinsamen Pool fließen, der von einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit gemanagt wird, sodass wir volle Transparenz hätten. Als Ergänzung dazu müsste es auch Staatshaftungen geben. Damit könnte man die Katastrophenfonds der öffentlichen Hand ersetzen und gleichzeitig das Budget entlasten.

Klingt gut, nur ist das eine Altforderung der Branche, die seit Jahren auf taube Ohren stößt.

Wir wären mit diesem Modell jedenfalls jederzeit startbereit. Es wäre nur notwendig, sich mit diesem Thema jetzt zu beschäftigen und nicht auf die nächste Flutkatastrophe zu warten.

In anderen Ländern ist das Problem, Schäden durch Naturkatastrophen voll zu decken, längst gelöst. In Spanien, Frankreich und der Schweiz hat man bereits ähnliche Konstruktionen, die wir vorschlagen.

Dass die Politik hier säumig ist . . .

. . . hat politische Bedeutung. Die Länder wollen die Kontrolle der jeweiligen Katastrophenfonds nicht aus der Hand geben.

Wie viel haben die heurigen Unwetter in Österreich die Versicherer bisher gekostet?

Nach unseren Schätzungen sind es von Jänner bis Mitte Juli insgesamt rund 132 Millionen Euro.

Österreichs Versicherungsbranche

Zur Person

Luciano Cirinà (47) ist seit 1989 im Konzern der italienischen Generali-Versicherung tätig. Im Chefsessel der Generali Österreich sitzt der gebürtige Triestiner seit 1. Dezember 2006 (Cirinà kam für Karl Stoss, der an die Führungsspitze der Casinos Austria wechselte).

Seit 1. Juli ist der promovierte Betriebswirt für zwei Jahre auch Präsident des österreichischen Versicherungsverbandes VVO. Cirinià ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Sein bevorzugtes Hobby ist Tauchen.

Die Kennzahlen der heimischen Versicherungswirtschaft, die hierzulande zu den größten Investoren, Arbeitgebern und Steuerzahlern zählt, sind durchaus beeindruckend. Insgesamt gibt es derzeit mehr als 140 Versicherungsunternehmen

in Österreich - mit rund 60.000 direkt und indirekt Beschäftigten. Branchen-Primus ist die Vienna Insurance Group ("Wiener Städtische"), gefolgt von Uniqa und den Österreich-Töchtern der Generali und der Allianz. Alles in allem sitzt die Branche auf rund 47 Millionen Versicherungsverträgen, die sie mit Privat- und Firmenkunden abgeschlossen hat. Ihre jährlichen Prämieneinnahmen beziffert sie mit

16,5 Milliarden Euro. Die Versicherungsleistungen und Auszahlungen an die Kunden betragen pro Jahr 12,3 Milliarden Euro. Mit 99,7 Milliarden Euro an veranlagtem Kapital ist die Versicherungsbranche nach eigenen Angaben größter institutioneller Veranlager im Land und größter Gläubiger der Republik.