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Die Umkehr der Frau Lagarde

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Der "Washington Consensus" bröckelt, Währungsfonds stellt sich hinter Griechenland.


Wien/Brüssel. Der Wirtschaftsnobelpreisträger und "New York Times"-Autor Paul Krugman schreibt seit Jahren tapfer gegen "Sparwut" und "Austeritätswahn" der Europäer an. Krugman schrieb in einer seiner letzten Kolumnen: "Mehr Sparprogramme ergeben keinen Sinn; die wahrhaft irrationalen Spieler sind die vorgeblich seriösen Politiker, die der Bevölkerung immer mehr schmerzhafte Maßnahmen abverlangen." Krugman geißelt den "Austeritäts-Kult", er kritisiert, dass "Budgetdefizit und nicht Massenarbeitslosigkeit" als Problem erkannt werden und verweist die Hoffnung, "dass eine Reduktion des Defizit ein Problem lösen würden, das von den Exzessen des privaten Sektors geschaffen wurde" ins Reich der Träume.

Krugman galt seinen Kritikern als Säulenheiliger des Globalisierungkritischen Netzwerks Attac und damit als nicht sonderlich ernstzunehmen. Die Europäer verwahrten sich stets gegen Ratschläge aus den USA, nicht nur von Seiten linker Ökonomen wie Krugman. Denn die Vertreter der wirtschaftspolitischen Elite der USA - notabene Finanzminister Thimothy Geithner oder der Vorsitzende der US-Notenbank Ben Bernanke - drängten die Europäer zu einer aktiveren Politik: Der Schuldenkrise sei nur durch wachstumsfördernde Maßnahmen und nicht durch eisernes Sparen beizukommen. Als bei der Herbsttagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IMF - International Monetary Fund) IMF-Chefin Christine Lagarde eine Abkehr von der bisherigen harten Linie des IMF ankündigte, sorgte das für einen Knalleffekt. "Ratschläge sind manchmal schwierig - sowohl im Geben als auch im Annehmen", Lagarde nun vor wenigen Tagen ein. Sie riet dazu, Athen mehr Zeit zu geben. Alles andere wäre kontraproduktiv, so ihr Argument.

Bemerkenswertes Umdenken

Doch wie kam es zu diesem bemerkenswerten Umdenken?

Aus hauseigenen Studien der mächtigen Finanzorganisation geht hervor, dass der wirtschaftliche Schaden einer aggressiven Sparpolitik bis zu drei mal höher sein kann als ursprünglich angenommen. Bisher sind die Experten des IMF davon ausgegangen, dass für jeden Euro, den eine Regierung einspart, der Output einer Volkswirtschaft um 50 Cent sinkt. Die Ergebnisse des IMF zeigen, dass der tatsächliche Wert seit der Großen Rezession, die 2007 in den USA begann, aber bei 0,9 bis 1,7 Euro liegt.

Wolfgang Münchau, Kolumnist der "Financial Times" warnte erst kürzlich in einem Kommentar: "Neht die Sirenen, die vor der Spar-Fixierung warnen, ernst". Sein renommierter Kollege Martin Wolf setzte sich Tage zuvor mit den ebenfalls vom IMF untersuchten historischen Beispielen vergangener Sparwellen auseinander und kam zum Schluss: "Es gibt ein hohes Risiko, dass die Kombination von sehr harter Sparpolitik und einer klammen Währungspolitik Italien und Spanien in eine Schuldenfalle aus hohen Zinsraten und niedrigem Wachstum stoßen könnten."

Der Währungsfonds ist offenbar zum Schluss gekommen, dass die derzeitige Sparpolitik nirgendwohin führt.

Doch während zum Beispiel Griechenland jetzt darauf hoffen kann, von seinem bisher sehr strengen Kreditgeber mehr Zeit zur Sanierung des Haushalts zu erhalten, kommt die Einsicht für "IWF-Absolventen" in Lateinamerika und Asien viel zu spät.

"Sie haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt", wird der indonesische Handelsminister Gita Wirjawan in einer Reuters-Meldung zitiert. "Was wir 1998 durchgemacht haben, war schmerzlich. Ich habe das erlebt und ich hoffe, dass die Schwierigkeiten, die wir ausgestanden haben, eine Lehre sind." Nach Einschätzung des argentinischen Wirtschaftsministers Hernan Lorenzino ist die Einsicht des IWF ein "erster Schritt", um in den verschuldeten europäischen Ländern einen umsichtigeren Kurs einzuschlagen.

Bisher lautete das Credo der Bretton-Woods-Institutionen IMF und Weltbank stets: Nachfragedrosselung und Kürzung der Staatsausgaben durch Fiskal-, Kredit- und Geldpolitik, Wechselkurskorrektur (Abwertung) und Effizienzsteigerung in der Wirtschaft, Liberalisierung der Handelspolitik durch Abbau von Handelsbeschränkungen, Deregulierung, Haushaltskürzungen, Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen, Entbürokratisierung, Abbau von Subventionen. Doch dieser Washington Konsensus bröckelt. Die neue Botschaft des IMF lautet: Sparen, ja, aber mit Maß und Ziel.

Hayek-Institut: Bloßes Herauszögern

Für Barbara Kolm, Präsidentin des Hayek-Instituts, das sich als Bollwerk radikal-liberaler Ideen sieht, ist es "sehr schlimm, dass der Währungsfonds nun auf die Linie des globalisierungskritischen Netzwerks Attac eingeschwenkt ist und eine Lockerung der Sparpolitik verlangt".

Nach Meinung von Kolm liegt der Sinneswandel in Washington "auch an der Person von Christine Lagarde. Sie kommt aus Frankreich, dort ist der Glaube an den Staat sehr stark, es war von Anfang an nur logisch, dass sie eine Keynesianische Wende im Währungsfonds herbeiführen wird."

Für die österreichische Schule der Nationalökonomie, deren Studium sich das Hayek-Institut verschrieben hat, ist eine Rezession nichts weiter als ein reinigendes Gewitter: "Die Rezession ist eine Folge der Fehlinvestitionen, die der Staat getätigt hat." Eine Lockerung der Schuldenpolitik sei nichts weiter als ein "Hinauszögern der Krise. Die Rechnung wird uns präsentiert werden, so oder so." Die Griechen oder Spanier hätten ihre Hausaufgaben nicht gemacht und daher seien sie jetzt in der Krise. Struktur-Reformen in den Krisenländern seien unausweichlich. Schließlich sei es auch die Reformpolitik in Irland vor rund 20 Jahren gewesen, die das Land zum "Celtic Tiger" gemacht hätten oder die Reformagenda von SPD-Kanzler Gerhard Schröder, die Deutschland vom "Kranken Mann" zum "Wunderknaben" Europas gemacht hätten. Doch im Moment scheint zu gelten: Hayek ist out, Keynes ist in.

Poltik-Wechsel in der Europäischen Union?

"Wir sind in einer Phase, in der viele Länder in einer Liquiditätsfalle gefangen sind", konstatiert IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard. Die noch zur Verfügung stehenden Mittel der Geldpolitik seien von daher eingeschränkt. Die Haushalte müssten also zum Großteil ohne den ausgleichenden Effekt der Geldpolitik konsolidiert werden, sagt er gegenüber der Angentur "Reuters".

So bleibt nicht viel, um die unter der Schuldenlast und den Reformauflagen ächzenden Länder zu entlasten, außer: Zeit. Christine Lagarde hat für Griechenland einen Aufschub von zwei Jahren ins Gespräch gebracht, auch für Portugal und Spanien fordert sie mehr Geduld. Bei den anderen Geldgebern aus der Eurozone trifft der Vorschlag auf ein gemischtes Echo. Und der Währungsfonds erlebt ein absolutes Novum: der bisher als hart und herzlos verschrieene Internationale Währungsfonds wandelt sich zum Softie, der deine Partner von einer weicheren und sanfteren Linie überzeugen muss.

Das sind schlechte Nachrichten für den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble: Denn der ist unermüdlich damit beschäftigt, die europäischen Partner auch in Hinblick auf den EU-Gipfel am 18. und 19. Oktober auf Sparkurs zu halten. Lagarde hat den Schuldnerländern vor wenigen Tagen in Tokio eine Argumentationshilfe gegeben.