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Das algerische Trauma

Von Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Geiselnahme führt Konzernen Risiko von Auslandseinsätzen der Mitarbeiter vor.


Algier/Wien. "Die Terroristen wollten eine große Explosion", wird Lotfi Benadouda zitiert, der Fabriksleiter der algerischen Gasanlage In Amenas, die vor drei Wochen von Islamisten angegriffen wurde. Auch die "New York Times" geht nach neuen Zeugenberichten davon aus, dass die Angreifer vorhatten, die Fabrik in einen Feuerball zu verwandeln, der alles in der Umgebung vernichten sollte. Allerdings habe keiner der Kidnapper gewusst, wie das technisch zu bewerkstelligen sei - die Anlage war zuvor heruntergefahren worden.

Der Angriff auf die Gasförderanlage am 16. Jänner - mindestens 37 ausländische Geiseln sowie ein einheimischer Arbeiter sind ums Leben gekommen, ein Österreicher konnte entkommen - hat seither eine weltweite Debatte um die Sicherheit von Gas- und Ölförderanlagen losgetreten und auch den Konzernen wieder vor Augen geführt, wie risikoreich Auslandseinsätze von Mitarbeitern sein können. Überall scheint nun emsig nachgeprüft und nachjustiert zu werden. In Norwegen - mindestens fünf der toten Geiseln waren norwegische Staatsbürger - wird gar diskutiert, ob es überhaupt notwendig sei, in Ländern mit hohem Sicherheitsrisiko Öl oder Gas zu fördern, wenn man doch im eigenen Land über genügend Ressourcen verfüge.

Der französische Atomkonzern Areva hatte gleich nach der Geiselnahme verschärfte Sicherheitsvorkehrungen für seine Anlagen im benachbarten Niger angekündigt. Ende vergangener Woche entsandte Frankreich schließlich sogar eine Spezialeinheit, um die sensiblen Urananlagen von Areva zu sichern - eine äußerst ungewöhnliche Maßnahme. Die Sorge aber ist groß - einerseits, weil das Risiko eines terroristischen Aktes seit dem Militäreinsatz Frankreichs in Mali sehr hoch ist. Andererseits, weil bereits vier Franzosen, die im Uranabbau im Niger arbeiteten, seit September 2010 von Al-Kaidas Ableger in Nordafrika verschleppt wurden.

Sicherheitsexperte:Kein Land ist tabu

Zwei Drittel der weltweiten Öl- und Gasreserven befinden sich in politisch instabilen Ländern. Die Betreiber von Öl- und Gasförderanlagen werden zudem von einem Wettlauf um die besten Lagerstätten angetrieben.

Für Michael Müller, Bereichsleiter für Krisen- und Sicherheitsberatung bei der globalen Beratungsfirma Control Risks, sei grundsätzlich kein Land tabu. Es komme vielmehr darauf an, welche Sicherheitsmaßnahmen implementiert werden.

Hohe Sicherheitskosten würden keine Firma abschrecken. "Dass Sicherheit nur die Kosten einer Investition antreibt - ist aus unserer Sicht gerade in der Gas- und Ölindustrie seit vielen Jahren überholt und letztendlich nur ein Punkt neben den Ausgaben für Umweltschutz, Corporate Social Responsibility, medizinischer Versorgung der Mitarbeiter oder Entwicklungsprojekten, sodass der Investitionsgedanke bei weitem überwiegt." Auch die Finanzkrise habe keinen nennenswerten Auswirkungen auf die Sicherheitsausgaben gehabt.

Erster Ansprechpartner in Sicherheitsfragen wäre normalerweise das Land, in dem man tätig ist. Die Kooperation mit lokalen Sicherheitskräften wie Polizei und Armee kann sich aber in bestimmten Ländern schwierig gestalten. "Grundsätzlich ist man immer bestrebt, vertrauenswürdige Sicherheitskräfte miteinzubeziehen und sich auch im Vorfeld bereits abzustimmen", erklärt Müller. In Libyen etwa fehlt momentan die komplette klassische staatliche Sicherheitsstruktur. Zudem sind instabile Länder für Korruption besonders anfällig.

Seit der Geiselnahme in Algerien beobachtet Müller, dass Schulungen verstärkt nachgefragt werden, bei denen Mitarbeiter gezielt auf die Gefahren einer Entführungssituation vorbereitet werden. "Natürlich werden hier keine kleinen Rambos gezüchtet", erklärt Müller. Im Gegenteil: Es soll vielmehr erreicht werden, dass der Mitarbeiter sich besonnen verhält, nicht in Panik gerät oder sich durch sein Verhalten weiter selbst gefährdet.

OMV fördert ein Fünftelin instabilen Ländern

Nicht erst einmal mussten Mitarbeiter der heimischen OMV aus Krisenregionen, etwa dem Jemen oder Libyen, evakuiert werden. Etwa ein Drittel der Gesamtproduktion der OMV 2011 wurde außerhalb der Kernländer Rumänien und Österreich gefördert, etwa ein Fünftel in instabilen Ländern.

Bei der OMV heißt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung", dass bereits vor den Vorfällen in Algerien die höchsten Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden waren. Was die einzelnen Förderländer betreffe, würde man eher die regionalen als die nationalen Umstände betrachten, da die Felder, in denen der Konzern fördert, "nicht in politischen Epizentren liegen". Darüber hinaus hält man sich aber bedeckt. "Gerade weil die Sicherheit unserer Mitarbeiter unser höchstes Anliegen ist, können wir darüber nicht in der Öffentlichkeit kommunizieren."