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"Doha-Runde liegt im Dauerkoma"

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Handelsexperte: Wegen WTO-Stillstand werden bilaterale Abkommen gesucht.


Genf/Wien. Klare Regeln für den globalen Handel, Abbau von Schranken: Das wäre eigentlich die Kernaufgabe der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf. Die 1995 aus den Zollverhandlungen geborene Institution, der 158 Länder angehören, steckt aber in einer Sinnkrise. Wenn sich nun die größten Wirtschaftsräume der Welt an dieser vorbei auf ein Freihandelsabkommen einigen: Versetzt das der WTO den Todesstoß?

"Die WTO ist nicht tot, allerdings liegt das Doha-Abkommen schon sehr lange im Dauerkoma", sagt Roman Stöllinger, Handelsexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) zur "Wiener Zeitung". Diese Entwicklungsagenda, die die WTO-Staaten 2001 bei ihrer Konferenz in Doha begonnen hatten, liegt seit Jahren auf Eis. Nicht zuletzt deshalb intensivieren die Staaten bilaterale Verhandlungen.

Staaten wie die USA, Japan, Südkorea oder südamerikanische Länder haben das früh verstanden. Die EU lief Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Die aktuellen EU-Abkommen, etwa mit Südkorea oder Indien, seien aber als "WTO-plus-Abkommen" konzipiert, würden also vielfach über WTO-Standards hinausgehen, erklärt der Handelsexperte - etwa im Bereich von Investitionsabkommen oder beim Schutz geistigen Eigentums. Nicht zuletzt das mache bilaterale Deals attraktiv.

Könnte ein Jahrzehnt dauern

WTO-Abkommen müssen nämlich einen Minimalkonsens unter allen Teilnehmern erzielen. Für die einzelnen Länder gibt es da meist wenig zu gewinnen. "Keiner freut sich wirklich, wenn seine Importe steigen - letztlich geht es allen um einen verbesserten Marktzugang und die Steigerung der Exporte", erläutert Stöllinger. Das Zuckerl ist dabei die Aussicht auf ein insgesamt höheres Handelsvolumen, praktiziert werde aber eine "beinharte Geben-Nehmen-Strategie". Stöllinger vermutet, dass noch lange versucht werden wird, den Doha-Prozess am Laufen zu halten - an einen Abschluss glaubt er nicht. Die Funktion der globalen WTO-Abkommen sei allerdings ohnehin eher ein "Sicherungsmechanismus": Wenn Regierungen in Krisenzeiten zu protektionistischen Maßnahmen tendieren und Handelsschranken hochfahren, sind ihnen durch die WTO Grenzen gesetzt. "Das hat sich in der aktuellen Krise bewährt", so Stöllinger.

Den Optimismus, dass das EU-USA-Transatlantikabkommen noch in Obamas zweiter Präsidentschaftsperiode abgeschlossen wird, teilt er nicht. Er erwartet, dass sich die Verhandlungen über ein volles Jahrzehnt ziehen werden. Dass sich dabei zwei Partner auf Augenhöhe gegenüberstehen, mache die Angelegenheit eher komplizierter als einfacher.