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Weniger Geld, ein besseres Gefühl

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

"Wollen nicht lange Zeit von denselben Menschen gebraucht werden."


Wien. Seit 1. Jänner 2013 leitet David Woods die Geschicke der internationalen Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit. Der gebürtige Ire und Harvard-Absolvent sprach mit der "Wiener Zeitung" über seine Gründe, nun mit einem 75-prozentigen Gehaltsabschlag für benachteiligte Menschen zu arbeiten - nach Jahren der Arbeit auf der, wie er sagt, "dunklen Seite".

"Wiener Zeitung": Sie haben zusammen mit Bill Gates in Harvard studiert?David Woods: (lacht) Er selbst würde es wahrscheinlich nicht herausstreichen. Aber ja, ich war in derselben Klasse wie Bill Gates und Steve Ballmer (CEO von Microsoft, Anm.) sowie John Roberts, der derzeit der höchste Richter am Verfassungsgerichtshof der USA ist. Ich bin jetzt bei Oikocredit. Es war also ein guter Jahrgang.

Sie waren lange Investmentbanker unter anderem bei ABN Amro. Wieso haben Sie das Feld gewechselt?

Nach diversen Zwischenstationen war Oikocredit die willkommene Chance, mein Wissen für eine gute Sache zu nutzen, nicht für Profit allein. Und jetzt, wenn ich unsere Vertretungen besuche, ist es nicht mehr: Flughafen, Hotel, Büro, sondern: Flughafen, Hotel und ein Bauernhof oder eine Fabrik.

Klingt, als ob Sie sich vor allem über den Frischluft-Aspekt freuen.

Glauben Sie mir, so viel frische Luft gibt es beispielsweise auf einer Hühnerfarm nicht. Es ist einfach wunderbar, wenn man die Menschen besucht und sieht, wie sie mit dem Geld umgehen, das unsere Investoren ihnen zur Verfügung gestellt haben. Das ist viel befriedigender als meine alten Jobs. Vor zwei Monaten traf ich eine Gruppe von Hühnerfarmern auf den Philippinen. Eine Frau hatte 16 Kinder und 4000 Hühner, eine andere, eine Kreditnehmerin, 7000 Hühner und fünf Kinder. Ihr großer Stolz war, dass alle ihre fünf Kinder nun als höhere Angestellte in der Hauptstadt Manila arbeiten. Vor den Mikrokrediten war das etwas Undenkbares. Da sieht man, was wir für Auswirkungen auf das Leben eines Kreditnehmers haben können - oder in diesem Fall auf das Leben von sechs Personen.

Was ist der Unterschied zwischen dem Geschäft von Oikocredit und dem einer herkömmlichen Bank?

Oikocredit ist keine Bank im engeren Sinn. Wir können keine Einlagen entgegennehmen, wir können keine Transaktionen durchführen. Wir können nur Kredite vergeben - die aber das Leben von Personen verändern, die sonst nicht an Kredite herankommen würden.

Gibt es viele Mitbewerber in diesem Segment? Oder sind Sie froh über jeden, der mitmacht?

Es ist definitiv nicht so kompetitiv wie unter Banken, und es gibt auch genug zu tun. Ein ähnliches Feld beackern zum Teil Banken, die sich mit ethischem Investment beschäftigen. Wenn unsere Kunden einmal die Größe erreicht haben, um von lokalen Banken ernst genommen zu werden, ziehen wir uns zurück.

Ihr Business-Modell ist also: eines Tages redundant zu werden?

Wir wollen nicht, dass wir nicht mehr gebraucht werden. Wir wollen aber nicht von denselben Menschen gebraucht werden, sondern von neuen Menschen.

Oikocredit ist im Globalen Süden unterwegs.

Ja. Unsere Kredite vergeben wir in Lateinamerika, Afrika, Asien und zum Teil Osteuropa. Das Geld dafür bekommen wir vor allem aus Nordeuropa. Unsere Zweigstelle in Österreich wächst übrigens am schnellsten. In absoluten Zahlen ist Deutschland am stärksten bei den Einlagen, aber die Österreicher geben uns pro Kopf am meisten Geld.

Unterscheiden sich die Regionen, in denen Sie die Kredite vergeben?

In ärmeren Gegenden in Brasilien oder Argentinien sind es urbane Betriebe, die Mikrokredite nehmen, kleine Handelsbetriebe, Reparaturwerkstätten oder Schneidereien. Allerdings sind wir aus Tradition stark auf die Landwirtschaft ausgerichtet, denn aus diesem Bereich kommen wir. Dieser Sektor wird wahrscheinlich immer dominieren. Aber regional werden wir eine Veränderung durchmachen. Heute wird unser Kreditvolumen zu 45 Prozent in Lateinamerika in Anspruch genommen und nur zu 15 Prozent in Afrika. In zehn Jahren werden wir wahrscheinlich die Hälfte der Kredite in Afrika vergeben und kaum noch welche in Lateinamerika. Denn wenn die Volkswirtschaften natürlich wachsen, brauchen sie weniger soziale Kreditgeber wie uns. Wir werden künftig verstärkt in Indien, in Kambodscha, in Papua-Neuguinea aktiv sein.

Sind Frauen noch immer überproportional als Kreditnehmerinnen vertreten?

Ja, weil sie zuverlässiger sind als Männer. Das war schwierig in jenen Ländern, wo Frauen Land nicht besitzen durften - wie bis vor kurzem in Uganda. Da mussten wir vorsichtig sein bei der Struktur der Transaktionen. Aber generell sind es Frauen, die in ärmeren Gebieten der wirtschaftliche Motor ihrer Familie sind. In einigen Gebieten sind unsere Kunden daher zu 80 Prozent Frauen. Also dort, wo es das gesetzliche Umfeld für Frauen erschwert, Kredite zu nehmen, sind die Männer stärker vertreten. Da vergeben wir lieber an diese Kredite, als überhaupt keine Möglichkeit für Verbesserung von Lebensumständen zu haben.

Wie wettbewerbsfähig sind die Gehälter bei Oikocredit?

Ich verdiene nun ein Viertel von dem, was ich früher bekommen habe. Aber das war eine bewusste Entscheidung. Verglichen mit Banken sind unsere Gehälter nicht wettbewerbsfähig, verglichen mit NGOs schon. Wir brauchen aber einen Mix von Leuten, die sowohl aus NGOs als auch aus Banken kommen. Leute aus dem Bankensektor locken wir mit Weiterbildungsangeboten. Wir wissen, dass wir nie sehr hohe Gehälter zahlen werden, das entspricht nicht unserem Unternehmen.

Man verdient weit mehr bei einem Hedgefonds, aber man hat wahrscheinlich ein besseres Gefühl bei Oikocredit.

Apropos Gehälter. Gerade gibt es die Diskussion um Boni-Begrenzungen. Würden Sie als ehemaliger Investmentbanker sagen, dass Ihre Ex-Kollegen zu viel verdienen?

Ich glaube, das müssen Sie sie fragen.

Hatten Sie das Gefühl, dass Sie zuviel verdienten?

Nein. Ich habe für eine europäische Bank gearbeitet, und die Kompensations-Strukturen sind anders als bei US-Banken. Aber wenn Sie mich fragen, ob die Branche selbst zu viel verdient hat: wahrscheinlich schon.