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Apples Luxusproblem: Wohin mit dem vielen Geld?

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Paradox: Warum der US-Technologieriese Schulden machen muss, um seinen Reichtum loszuwerden.


Apple hat ein Problem, das viele Konzerne gerne hätten: Es weiß nicht, wohin mit dem vielen Geld. Der IT-Konzern mit Zentrale im kalifornischen Cupertino sitzt auf unfassbaren Bargeldreserven von rund 145 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. Analysten waren schon besorgt: Was soll sinnvollerweise mit diesem Geld angestellt werden: Schulden zurückzahlen? Gibt es keine. In die Produktentwicklung investieren? Passiert ohnehin. Zukäufe finanzieren? Wen sollte Apple übernehmen wollen?

Der gefährlichste Mitbewerber ist Samsung. Die Südkoreaner haben den US-Konzern mit ihren höchst erfolgreichen Smartphones schon überflügelt. Das jüngst vorgestellte Flaggschiff Samsung Galaxy S4 könnte ein Megaseller werden. Aber eine Samsung-Übernahme ist nicht nur für Apple außer Reichweite – sie wäre aus kartellrechtlichen Gründen ausgeschlossen.

Somit hat sich Apple-Chef Tim Cook auf etwas besonnen, was im Konzern lange Zeit als tabu galt: Die iPhone, iPad und iPod-Schmiede schüttet Dividenden an ihre Aktionäre aus. Das hatte der (2011 verstorbene) Unternehmensgründer Steve Jobs seit 1995 konsequent verweigert. Zunächst war ihm nämlich daran gelegen gewesen, den Konzern Mitte der 1990er aus seiner damaligen Finanzmisere zu befreien. Später wollte er unter allen Umständen Schulden vermeiden – was zu der üppig dotierten Portokasse führte.

Anteil am Finanzerfolg eingefordert

Der charismatischen Apple-Legende Steve Jobs wurde das nachgesehen, nicht aber seinem Nachfolger Tim Cook. Bald nach Jobs Tod mehrten sich Stimmen unter den Eigentümern, die einen Anteil am Finanzerfolg einforderten. Hedgefonds-Manager David Einhorn (Greenlight Capital) zerrte Apple sogar vor Gericht, um an die Schatztruhe heranzukommen. "Apple hat ein Problem. Wir denken, es ist ein Geldproblem. Das Unternehmen hat eine Mentalität wie in der Großen Depression", sagte er im Februar 2013 zum TV-Sender CNBC. Apple horte einfach zu viel Bares. Mit dem Motto "Es ist euer Geld" buhlte er um die Gunst anderer Aktionäre.

Der Vorstoß hatte Erfolg. Seit Juli 2012 dürfen sich die Eigentümer erstmals nach mehr als eineinhalb Jahrzehnten wieder über regelmäßige Zuwendungen freuen. Diese waren zunächst aber eher bescheiden. Am 23. April kündigte Apple allerdings an, die Ausschüttungen mehr als verdoppeln zu wollen. Bis Ende 2015 sollen insgesamt 100 Milliarden Dollar ausgeschüttet werden.

Es ist ein Buhlen um die Gunst der Aktionäre: Diese sind misstrauisch geworden, ob Tim Cook an die legendäre Innovationskraft von Steve Jobs anknüpfen kann. Gegenüber dem Höchststand von 702,10 Dollar im September 2012 ist das Papier auf zuletzt 440 Dollar abgesackt.

Anleihen für Ausschüttung

Wie am Dienstag bekannt wurde, begibt der Technologiegigant nun erstmals seit 17 Jahren Anleihen. Was zunächst völlig grotesk scheint: Warum um alles in der Welt macht ein Konzern, der auf riesigen Cash-Bergen sitzt, extra Schulden? Der erste Grund sind die unschlagbar günstigen Konditionen: Ein besseres Umfeld für Unternehmensanleihen wird sich so rasch nicht wieder einstellen. Die im Gegenzug für den Kredit verlangten Zinsen sind auf Allzeittiefs.

Der zweite Grund: Der immense Apple-Reichtum wäre für die Ausschüttung gar nicht frei verfügbar. Ein großer Teil des Geldes liegt bei Tochterfirmen  außerhalb der USA. Würden die Gewinne in die Staaten zurückgeholt, müssten sie versteuert werden. Und die US-Körperschaftsteuer macht üppige 35 Prozent aus. Deshalb macht Apple aus der Not eine Tugend und holt sich das Geld für die Ausschüttungen lieber über den Kapitalmarkt.

Apple gilt seit vielen Jahren als Modellfall dafür, wie multinationale Konzerne– trickreich, aber legal – weltweite Schlupflöcher ausnützen, um ihre Steuerlast zu mindern. Auch Google, Amazon oder Starbucks haben damit für Schlagzeilen gesorgt.

Kreatives Jonglieren

Durch kreatives Jonglieren von Unternehmensgewinnen, Lizenzgebühren und Markenrechten zwischen beispielsweise den USA, Irland, Niederlanden und einer karibischen Offshore-Destination wie Bermuda oder Cayman-Islands können multinationale Konzerne ihre Steuerbelastung auf einen Bruchteil reduzieren. Laut früheren Berechnungen der "New York Times" hatte Apple seine Steuerrechnung in den USA um 2,4 Milliarden US-Dollar reduziert – und seine weltweit verbuchten Ergebnisse effektiv mit nur 9,8 Prozent besteuert.

Die OECD hat erst vor wenigen Wochen solche Gewinnverschiebungen, die zu einem ruinösen Steuerwettbewerb  von Staaten führen können, zum Thema gemacht. Und auch EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta will "aggressive Steuerplanung" auf die Agenda der nächsten EU-Gipfel setzen. Seit die Kritik an solchen Praktiken zugenommen hat, fügt Apple seinen medienöffentlichen Quartalsbilanzen übrigens eine kurze Zeile hinzu: "Steuerrate von 26 Prozent" stand da bei der jüngsten Quartalsveröffentlichung zu lesen. Das würde annähernd jenen Raten entsprechen, die "normale" US-Konzerne (abseits des Hightech-Sektors) an Steuern abführen.

Blitzsauber und mit Reserven

Man muss kein großer Prophet sein: Die Apple-Anleihe, die am Dienstag auf den Markt gebracht wurde, wird Rekorddimensionen erreichen. Experten sprechen von der größten Schuldverschreibung einer Nicht-Bank aller Zeiten. Das Volumen soll vorerst 15 Milliarden US-Dollar betragen – insgesamt wolle Apple binnen drei Jahren sogar rund 60 Milliarden Dollar auftreiben.

Rekordträchtig wird wohl auch die Nachfrage sein: Wann gibt es schon die Gelegenheit, Schuldtitel eines Konzerns zu zeichnen, der nicht nur blitzsauber dasteht, sondern sogar auf Reserven sitzt, die der dreifachen Wirtschaftsleistung Bulgariens entsprechen? Eine Frage sollten sich Investoren dabei aber schon stellen – insbesondere jene, die sich für die längste Laufzeit von 30 Jahren interessieren: Wird es Apple im Jahr 2043 noch geben – und wenn ja, was wird es wohl herstellen? iPhones werden  es vermutlich nicht mehr sein...