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"Wir sind ärmer als wir denken"

Von Alexander Dworzak und Konstanze Walther

Wirtschaft

Der Stifter des "Alternativen Nobelpreises" fürchtet, dass im Westen eine riesige Schuldenblase platzen wird.


Finanzkrise, Schuldenkrise, Wirtschaftskrise. Seit Jahren suchen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft Wege aus dem Dilemma. Oftmals unangetastet bleibt dabei das Wachstumsparadigma und - trotz heftiger öffentlicher Kritik - der bestimmende Einfluss der Finanzmärkte. So trägt die wenige Quadratkilometer kleine City of London mit ihren geschätzt 40.000 Beschäftigten in Banken, Hedgefonds und Anwaltskanzleien vier Prozent zum britischen Bruttoinlandsprodukt von 2,3 Billionen Dollar bei.

"Wiener Zeitung": Vor 40 Jahren präsentierte der "Club of Rome" seine berühmten Thesen von den Grenzen des Wachstums. War man damals zu pessimistisch?Jakob von Uexküll: Nein. Wie unachtsam mit erneuerbaren Ressourcen umgegangen wird, sehen wir zum Beispiel daran, dass die Erosion von Ackerland sechsmal so schnell erfolgte wie vom "Club of Rome" prognostiziert. Der Raubbau an Gemeingütern darf nicht mehr als Leistung der Marktwirtschaft gelten, wie über Jahrzehnte propagiert. In den vergangenen 40 Jahren sind viele Bücher mit Lösungsvorschlägen erschienen. Ich kann nicht behaupten, die Kritiker sind gehört worden. Ich kann aber sagen, dass sehr viele Menschen zumindest Hoffnung bekommen haben, weil sie wissen, dass Lösungen grundsätzlich möglich wären.

Hoffnung allein ist wenig handfest.

Ich hoffe, dass wir rechtzeitig die Wende hinbekommen, die Klimaforscher sagen, dass die kommenden fünf Jahre entscheidend sein werden. Viele meinen: "Ja, die Umwelt hat Probleme. Aber jetzt müssen wir die Wirtschaft priorisieren." Aber ohne eine gesunde Umwelt gibt es keine Wirtschaft, letztlich keinen Frieden, keine Menschenrechte und keine Demokratie. Dann gibt es nur einen Kampf alle gegen alle, in einer Welt mit immer knapperen Ressourcen. Was wirklich knapp ist, ist ja nicht das Geld - Geld können wir drucken. Geld drucken ist ja nur inflationär, wenn dem keine neue Leistung, keine Produktion gegenübersteht.

Erst die Politik hat der Marktwirtschaft jene Spielräume eröffnet.

Und bezahlt sie jetzt mit Vertrauensverlust in demokratische Institutionen und zunehmender Skepsis gegenüber der Demokratie selbst. Durch schlichtes Unwissen der Politiker ist es so weit gekommen, dass das Verständnis für Geldfragen sehr wenig verbreitet ist. Wir bräuchten eine grundlegende Geldreform. Und informierte Politiker. Genau, wie man im Mittelalter Latein lernen musste, um mit der Kirche in Diskussion zu treten und ihre absolute Macht zu durchbrechen, brauchen wir heute mehr Menschen, die das Finanzlatein verstehen, um auch hier die nötigen Reformen durchsetzen zu können. Dann werden wir schnell merken, dass die Krisen, vor denen wir heute stehen, die Finanzkrise, die Sozialkrise, die Umweltkrise, eng miteinander verflochten sind. Unsere Entscheidungsträger hörten immer auf ihre Ökonomen, die sagten, alles werde gut. Jetzt wissen die Politiker, es wird nicht mehr gut. Aber sie haben nicht den Mut, das zuzugeben. Luxemburgs langjähriger Premier Jean-Claude Juncker meinte selbst: "Wir wissen ja, was getan werden muss. Aber wir wissen nicht, wie wir das tun und nachher wiedergewählt werden."

Kann ein Politiker seinen Wählern eine dermaßen unbequeme Wahrheit zumuten?

Der frühere US-Präsident Jimmy Carter versuchte zumindest, den Bericht des "Club of Rome" aufzunehmen.

Selbst dann muss aber kein Strukturwandel eintreten. Die Immobilienblase in den USA ist 2008 geplatzt, Experten sehen bereits eine neue folgen. Braucht es eine noch größere Krise?

Ein englischer Bischof sagte mir: "Es hilft nur noch eine Katastrophe in den reichen Ländern. Etwa die Überflutung Londons." Die Subprime-Krise war eine regionale Verwerfung. Mittlerweile haben wir eine viel größere. Man pumpt immer mehr Geld in das alte System, um dieses mitsamt den Blasen einige Jahre weitertreiben zu lassen. Letztlich beruht auch die Wirtschaft auf Vertrauen, daher muss auch in ihrem Interesse eine Umkehr stattfinden.

Wie wollen Sie die Probleme in den Griff bekommen?

Uns fehlt auch ein Grundverständnis dafür, unter welchem Druck und mit welchen geringen Ressourcen Politiker agieren. Wenn Sie Parlamentarier sind, stehen Sie vor dem Problem, dass Sie von Bürokraten und Lobbyisten zu hören bekommen, was alles nicht geht. Und Sie haben ja nicht die Ressourcen und das Wissen, um gegenzusteuern. Das beste Gegenargument ist der Verweis auf ein bereits funktionierendes Beispiel in einem anderen Land. Deswegen habe ich den Weltzukunftsrat gegründet, der mit Expertenkommissionen arbeitet. Diese suchen Best-Policy-Modelle in der ganzen Welt und helfen, sie zu verbreiten und positive Handlungsanreize zu schaffen. Somit ermöglichen wir einen Wissenstransfer für Parlamentarier, schaffen neue Kapazitäten und verbessern die Gesetzgebung.

Welche konkreten Lösungsvorschläge bieten Sie dabei an?

Wir arbeiten zum Beispiel für die Installierung eines UN-Hochkommissars für künftige Generationen. Beim Nachhaltigkeits-Gipfel in Rio 2012 wurde in der Schlusserklärung festgehalten, der Generalsekretär solle eruieren, wie künftige Generationen in die UN-Beschlussfassung eingebunden werden können. Denn wenn etwa heute die Meere verseucht werden, es keinen Fisch mehr gibt, begehen wir ein Verbrechen an künftigen Generationen. Ein wichtiges Thema ist auch die Sicherung von Lebensmitteln und Wasser. So gibt es im brasilianischen Belo Horizonte ein Gesetz, das jedem Bürger eine gesunde Mahlzeit pro Tag garantiert. Mit nur zwei Prozent des städtischen Budgets konnte dadurch die Kindersterblichkeit um 60 Prozent verringert werden.

Gibt es auch in Europa Erfolgsbeispiele Ihrer Arbeit?

In Großbritannien sollte ein Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien verabschiedet werden, das von diversen Lobbyisten mitgetragen wurde. Dann haben wir mit der Situation in Deutschland verglichen und festgestellt, dass Großbritannien nur einen Bruchteil der deutschen Windkraftkapazitäten hat, obwohl es über ungleich mehr Wind verfügt. Mit dem Argument haben wir erst einen, dann 35 weitere Abgeordnete aus der Regierungspartei, damals Labour, überzeugt. Jene Parlamentarier haben mithilfe der Opposition die eigene Regierung überstimmt und es wurde ein Einspeisegesetz verabschiedet - bei dem nicht die Errichtung einer Anlage prämiert wird, sondern die eingespeiste Energie.

Sind das nicht lediglich Einzelerfolge? Ein Wandel der Strukturen scheint nicht in Sicht.

Einerseits haben einflussreiche Wirtschaftsberater die vergangenen Jahre geprägt, etwa Larry Summers, die einfach nicht verstehen, dass auch die Wirtschaft von der Umwelt abhängt. Er war unter US-Präsident Clinton Finanzminister, während Barack Obamas erster Amtszeit Nationaler Wirtschaftsberater. Obama ist eine riesige Enttäuschung für die Menschen. Er ist ein Schönredner, ihm mangelt es an Mut. Doch mittlerweile hört man selbst beim World Economic Forum in Davos, bei dem sich die Wirtschaftselite trifft, kritische Töne. Auch von wertkonservativer Seite wird die Macht der Banken kritisch hinterfragt. Und ich sehe in meiner täglichen Arbeit Menschen, die nicht aufgeben, die für Freiheit ihr Leben riskieren und noch Hoffnung haben. Also habe ich auch Hoffnung.

Welche Folgen hat der von Ihnen skizzierte Vertrauensverlust?

Mit Vertrauen kann man fast alles machen, ohne Vertrauen fast nichts. Das mangelnde Vertrauen in die Politik und die Entpolitisierung der Bürger sind große Probleme. So ist in der Ukraine das Vertrauen in die Demokratie von 91 auf 35 Prozent abgestürzt.

Wie kann Vertrauen wieder hergestellt werden?

Man muss den Menschen die Wahrheit sagen. Uns wurde bisher etwas vorgemacht; tatsächlich sind wir im Westen nicht so reich, wie wir denken. Wachstumsraten wurden präsentiert, die es lediglich in der Finanzwirtschaft gibt. Das sind Blasen. In der Realwirtschaft gibt es realistische Wachstumsraten von 2,5 Prozent - aber nicht sieben Prozent und mehr, wie es Pensionisten versprochen wurde, die ihre Ersparnisse in Fonds angelegt haben. Das ist eine Illusion, eine riesige Schuldenblase, die zusammenbrechen wird. Je länger man diese Wahrheit nicht ausspricht, desto teurer wird es.

Komplexe Themenbereiche werden durch Gesetze gerne noch intransparenter gestaltet, wie es auch in der Finanzwirtschaft der Fall ist.

Die Regeln für die Finanzwirtschaft dürfen nicht so komplex sein, dass lediglich große Banken, die sich eine eigene Rechtsabteilung leisten können, sich realistisch damit zurechtfinden. Wir brauchen kleine Banken, die nicht ganze Länder gefährden können. Daher schlage ich vor, dass nur Finanzinstrumente Rechtsschutz genießen, die wirklich nachweisbar der Realwirtschaft dienen. Die anderen Finanzinstrumente bräuchte man gar nicht verbieten. Denn auf ein Verbot reagieren die Schlauen mit dem Umgehen des Verbots. Wir hingegen fordern eine Art TÜV für Finanzinstrumente, sodass nur für jene Finanzdienstleistungen, die reale Werte und nicht neue Finanz-Blasen schaffen, rechtsgültige bindende Verträge abgeschlossen werden können. Die anderen Angebote wären - wie Spielschulden in vielen Ländern - nicht einklagbar.

Zur Person



Jakob
von Uexküll

ist Stifter des Right Livelihood Award, auch als "Alternativer Nobelpreis" bekannt. 2007 gründete der Deutsch-Schwede einen Think Tank, den Weltzukunftsrat. Uxküll weilte auf Einladung von Ashoka Austria bzw. Hofer/Zurück zum Ursprung und Werner Lampert in Wien.