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Der geräuschlose Umbruch im Automarkt

Von Alexander Dworzak und Laure Wallois

Wirtschaft

Demografie, Erdölknappheit und Steueranreize begünstigen Trendumkehr.


Das  Modell X wird Anfang 2014 ausgeliefert.

Palo Alto/Paris/München/La Paz. Noch irritiert das leise Surren auf den Straßen. Langsam erst gewöhnen sich Passanten daran, wenn der Motor des an ihnen vorbeiziehenden Autos nicht aufheult und keine Abgase in der Luft liegen. Kein Wunder, schließlich sind Elektroautos bis heute Exoten auf den Straßen weltweit. Genauso geräuschlos wie die Autos sind, wächst auch deren Marktanteil - langsam, jedoch kontinuierlich.

Jüngstes Anzeichen für diesen Trend ist die Ankündigung des US-Autobauers Tesla, sein Model S nun auch nach Europa und Asien zu exportieren. Die mehr als 70.000 Euro teure Limousine der oberen Mittelklasse verfügt - ebenso wie der Sportwagen Tesla Roadster - ausschließlich über Elektroantrieb. Zwischen 370 bis 480 Kilometer kommen Fahrer je nach Größe der eingebauten Batterie mit den zwei Akkus im Model S. Die Firma erschließt aber nicht nur neue Märkte, im zehnten Jahr ihres Bestehens schreibt sie endlich auch schwarze Zahlen. 26 Millionen Dollar beträgt der Gewinn im zweiten Quartal, allerdings nur, wenn man Sondereffekte wie die Kosten für die Rückzahlung eines Darlehens an die US-Regierung herausrechnet. Doch nach einem Verlust von 396 Millionen Dollar bei einem Umsatz von lediglich 413 Millionen Dollar im vergangenen Jahr ist bei Tesla Licht am Ende des Tunnels in Sicht.

Auf knapp 500 Stück pro Woche schraubt der kalifornische Autobauer seine Produktion für Model S nun hinauf. 21.000 verkaufte Autos sollen es in diesem Jahr sein, für 2014 hofft Firmenchef Elon Musk (siehe Porträt auf Seite 5) auf eine Verdoppelung. Gemessen am Gesamtmarkt ist der Marktanteil aller Elektroautos natürlich noch verschwindend gering: Ganze 515 E-Mobile wurden etwa in Deutschland im Juli zuglassen, was zwei Promille der Neuzulassungen entspricht. In den Vereinigten Staaten sind nur 0,5 Prozent der 9,1 Millionen verkauften Neuwagen zwischen Jänner und Juli mit Elektromotor oder einem kombinierten Antrieb aus Elektro- und Verbrennungsmaschine ausgestattet.

Vorreiter Norwegen

Wie groß das Potenzial ist, lässt sich aber an Norwegen ablesen. Dort rangiert der ebenfalls elektroangetriebene Nissan Leaf auf Platz zwei der Zulassungsstatistik. Während in dem skandinavischen Land unter 2,4 Millionen PKW bereits 11.000 E-Mobile vertreten sind, kommt Deutschland auf lediglich 8000 Elektroautos bei 43 Millionen zugelassenen Fahrzeugen. Der Grund für diese Kluft ist mit zwei Wörtern zu erklären: staatliche Anreize. E-Mobile sind in Norwegen von der 25-prozentigen Mehrwertsteuer befreit. Zulassungs-, Import- und Zollabgaben entfallen laut einem Bericht des "Spiegel" ebenso. Auch dürfen die Fahrer der Elektroautos die Busspuren nutzen - was insbesondere in der verkehrsbelasteten Hauptstadt Oslo ein Kaufargument ist. Zudem sind sie von der Mautpflicht befreit und dürfen kostenlos parken.

Insbesondere in Ballungszentren spielen die E-Mobile ihre Vorteile aus, dort fällt die vergleichsweise geringe Reichweite nicht so stark ins Gewicht. In Paris hat sich der Anbieter "Autolib" etabliert: Knapp 55.000 Abonnenten nutzen den Carsharing Pool. Neun Euro kostet eine halbe Stunde, das Jahresabo gibt es um 120 Euro, dafür kann man eines der 1700 Elektrofahrzeuge mieten. Im Herbst startet "Autolib" auch in Lyon und Bordeaux. Auf ungeteilte Zustimmung stößt Initiator Vincent Bolloré aber nicht: Taxifahrer und Autoverleiher klagen über Wettbewerbsverzerrung. Und die Grünen fürchten, "Autolib" gehe zulasten des öffentlichen Nahverkehrs. Denn das E-Mobil führe nicht zu weniger Fahrzeugen in der Hauptstadt, sondern verleite die Benutzer von Metro, Bus und Straßenbahn zum Umstieg auf das Elektroauto.

Gutes Gewissen teuer erkauft

Ein billiges Vergnügen war das ökologisch gute Gewissen dank eines E-Mobils bisher nicht. Gleich mehrere Hersteller reduzieren daher nun die Preise in der Hoffnung auf höhere Verkaufszahlen. General Motors gibt es beim Modell Chevrolet Volt - ein Elektroauto mit Verbrennungsmotor, der einen Generator antreibt, welcher die Akkus lädt - in den USA um 5000 Dollar günstiger, Käufer müssen aber noch immer mehr als 34.000 Dollar bezahlen. Die monatliche Leasingrate für den rein elektrisch angetriebenen Daimler-Kleinwagen Smart fällt künftig mit 139 Dollar 30 Prozent niedriger als bisher aus. Auch die japanischen Autobauer Nissan und Honda gewähren mittlerweile deutliche Preisnachlässe.

Innovationen und Reaktionen der Börse.

Wie teuer die Produktion eines E-Mobils im Vergleich zu einem mit Diesel- oder Benzinmotor ausgestatteten PKW ist, zeigt VW: Der Kleinwagen Up kommt heuer in einer E-Variante um 27.000 Euro auf den Markt. Das konventionelle Einstiegsmodell, zwar mit weniger Ausstattung, gibt es bereits um 9995 Euro. Ökonomische Gründe - mit Ausnahme von Ländern wie Norwegen, die finanzielle Anreize gewähren - verleiten die Fahrer nicht zum Kauf von E-Mobilen. Da die Produktion auf absehbare Zeit wesentlich teurer bleibt, müssen die Fahrzeuge als cool und schick positioniert werden, ähnlich Apples Erfolgsstrategie im Unterhaltungssektor.

Der Apple-Faktor

Tesla verknüpft dabei eine pragmatische Idee mit scheinbarem Öko-Pioniergeist. "Sie tanken kostenlos Strom. Für immer. Dank Sonnenenergie", verspricht die konzerneigene Schnellladestelle "Supercharger". Binnen einer halben Stunde lasse sich das Model S für eine Reichweite von bis zu 240 Kilometern aufladen. Noch dazu wird der Strom bei den "Supercharger"-Stationen mit Solarenergie erzeugt - wieder ein Pluspunkt für finanzkräftige Öko-Freunde. Dass nur Besitzer der Modellversion mit der höchsten Akku-Kapazität das Recht auf "kostenlose Betankung" hat, ist im Marketingkonzept von Tesla ebenso eine Fußnote wie der Ausschluss aller anderen Hersteller vom Ladesystem. Wie bei Apple schottet man sich von alternativen Anbietern ab. Übrig soll im Gedächtnis der Konsumenten bleiben, dass sich Tesla des Problems der mangelhaften Stromversorgung annimmt und so dem E-Mobil zum flächendeckenden Durchbruch verhilft.

Nicht alle Hersteller machen den E-Trend mit, darunter die VW-Tochter Audi. Dort setzt man auf Plug-In-Hybride, die neben dem Verbrennungsmotor über eine Batterie verfügen, die über das Stromnetz nachladbar ist. Auch Hybrid-Pionier Toyota baut auf Verfeinerung seines Systems statt auf Revolution. Konsequent setzten die Japaner auf den Elektromotor als Unterstützung des Verbrennungsmotors, bereits zu Zeiten, als andere Autobauer noch mit Wasserstoff und anderen alternativen Antrieben experimentierten. Mehrere Jahre an Entwicklungsvorsprung schlagen sich in den Verkaufszahlen nieder, drei Millionen Stück des Hybrid-Modells Prius wurden mittlerweile verkauft - Größenordnungen, von denen Tesla nur träumen kann. Dass die Autobauer überhaupt auf E-Mobile setzen, liegt Branchenkennern zufolge nicht an der Begeisterung für die Technik, sondern um die CO2-Bilanz zu schönen und die Abgasvorschriften für den Flottenverbrauch zu erfüllen.

Vom Nichts an die Spitze

Große Umbrüche ergeben sich in jedem Fall in der Autoproduktion: BMW steigt mit dem 2014 startenden i3 zu einem der größten Kohlefaser-Abnehmer der Welt auf. Fast 16 Prozent kauften die Münchner am Grafitspezialisten SGL, auch Volkswagen ist an dem Unternehmen beteiligt. Denn das zusätzliche Gewicht der Akkus muss durch Leichtbaumaterialien wie Kohlefaser kompensiert werden - die wiederum den Preis des Fahrzeuges in die Höhe treiben.

Immer wichtiger wird beim Autobau auch Lithium. Für Akkus in Smartphones oder Laptops ist das Metall jetzt schon essenziell, mit dem Aufstieg des E-Antriebs werden zusätzliche Ressourcen benötigt. Ein neuer Player drängt dabei auf den Markt: Bolivien. In der Salzwüste von Uyuni lagern nach Darstellung des südamerikanischen Landes 70 Prozent der weltweiten Lithium-Vorräte. Als mögliches "Saudi-Arabien" des E-Auto-Zeitalters bezeichnete der "New Yorker" das südamerikanische Land. Der sozialistische Präsident Evo Morales will sich nicht mit der Rolle des Rohstofflieferanten zufrieden geben, drängt auf Lithium-Batterien aus eigener Produktion. Die Platzhirschen Kanada, Australien und Chile werden sich aber nicht kampflos verdrängen lassen - genauso wenig wie die traditionellen Autobauer von Tesla.