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Veggieday statt Postdemokratie

Von Cathren Landsgesell

Wirtschaft

Die Probleme der Konsumgesellschaft werden dringender.


Anspruchsvolle Konsumenten: Über Ernährung zu reden, gehört zum guten Ton.
© Foto: fotolia

Wien. Konsumzweifel, vegane Selbsterfahrung oder Empörung über Veggiedays gehören zum guten Ton der urbanen Mittelschichten. Sie sind zugleich Symptome der sich formierenden Verbraucherdemokratie. Diese hat mitunter auch postdemokratische Züge. Kein Grund, alle Hoffnung fahren zu lassen, analysiert der Soziologe Jörn Lamla im Interview.

"Wiener Zeitung": Über die Rolle des Konsums und der Verbraucher zu sprechen, ist gerade sehr en vogue: Bedeutet die mediale Aufmerksamkeit für Fragen der Ernährung, die Empörung über die Arbeitsbedingungen in der globalen Textilindustrie oder die Biosprit-Problematik, dass Konsum inzwischen etwas Politisches ist?Jörn Lamla: In den Medien gibt es in Bezug auf dieses Thema die Tendenz, steile Thesen zu formulieren. Man sagt, die Verbraucher retten uns, weil sie politisch werden, oder man behauptet, genau das Gegenteil sei der Fall. Darum geht es nicht. Das Politische sind weniger die Thesen als der Prozess selbst: Hier werden die Argumente ausgetauscht, ob Verbraucher in Zukunft eine bürgerschaftliche Rolle spielen können und sollen und auf welche Weise. Das ist ein gesellschaftlicher, ein politischer Lernprozess; eine Chance für die Demokratie, sich zu verändern.

Wo stehen wir gerade in diesem Prozess?

An dem Punkt, wo wir sehen, dass wir uns mit dem Konsum politisch auseinandersetzen müssen. Das tun wir im Moment noch zum Teil in Form reflexhafter Abwehr, wie man an der Debatte um den fleischfreien Kantinentag, den die deutschen Grünen vorgeschlagen haben, sehen kann. Es heißt dann, dass man sich von der Politik nicht vorschreiben lassen will, was man isst. Dahinter steht die Vorstellung, dass Konsum zur Sphäre des Marktes gehört, nicht zur Politik. Diese Reflexe gehören aber selbst zur Politisierung des Konsums.

Was löst diesen diskursiven Schub heute aus?

Dass man über Konsum redet, ist nicht neu. In der Kriegswirtschaft ist der Konsum wegen der Verteilungsfragen ein politisches Thema oder auch bei Fragen der Sicherheit zum Beispiel bei Lebensmitteln. Die neue politische Debatte wird in erster Linie dadurch ausgelöst, dass die Probleme der Konsumgesellschaft drängender und sichtbarer werden: ökologische Probleme, Fragen der Verteilung, der Gerechtigkeit usw. Die demokratischen Gesellschaften werden versuchen, diese Probleme zu regulieren, und das wird nicht ohne Politisierung gehen.

Was sind Indizien für diesen Politisierungsprozess?

Wir sind mitten in der Veränderung. Ein Verbraucherministerium gab es vor zehn oder zwölf Jahren in Deutschland noch nicht. Dann kam die BSE-Krise, und das Thema war auf einmal anders besetzt. Ob man das Ministerium nun als Feigenblatt wertet oder nicht, ist zweitrangig, es zeigt, dass sich etwas verändert hat. Im publizistischen Diskurs sind Argumente gewendet worden, eine Menge Bücher sind erschienen. Das ist alles Teil der politischen Auseinandersetzung darüber, was realistische Formen der Regulierung sind. Sollen die Konsumenten in die Lösung der Probleme einbezogen werden? Was wäre denn überhaupt eine Lösung?

Wie funktioniert denn Politik in der Verbraucherdemokratie?

Die Verraucherdemokratie verändert die Form des Politischen. Welche Haltung haben denn die Wähler heute zu den Parteien? Wir sehen ja, dass sie sich nicht mehr aufgrund ihrer religiösen Orientierung oder ihrer Klassenidentität einer Partei verschreiben, sondern Parteien wählen, wie sie auch Kaufentscheidungen treffen. Man schaut heute, wer sympathischer ist, wie bei einer Castingshow. Mit dem Zusammenbrechen klassischer Konfliktlinien ist auch eine Individualisierung der Wähler verbunden: Man weiß gar nicht, mit wem man sich solidarisch fühlen soll. Auch das ist ein Muster des Marktes, auf dem Konsumenten ja auch allein agieren und nicht als Gruppe. Das ist der realistische, postdemokratische Aspekt der Verbraucherdemokratie. Das ist aber nicht alles. Auf der Grundlage dieser hochindividualisierten politischen Kultur kann man nämlich auch ein neues Verständnis von Gemeinsamkeit, von kollektivem Zusammenwirken entwickeln. Unsere Existenz hängt von einer globalen Wertschöpfungskette ab, deren Elemente alle vernetzt sind. Wir müssen eine Definition von Gemeinwesen finden, die dazu passt.

Wie müssen sich dann die politischen Institutionen verändern?

Das ist nicht leicht zu beantworten, denn Demokratie ist ein prinzipiell offener Prozess, der sich nicht an der Existenz bestimmter Institutionen festmachen lässt. Ich versuche, die Prozesse zu identifizieren, in denen auf experimentelle Weise nach Regulierungsformen gesucht wird. Ich glaube nicht, dass man mit rein partizipatorischen Demokratievorstellungen sehr weit kommt. Man muss verschiedene Formen etablieren, die auch den jeweiligen Problemen des Konsums entsprechen: Möglichkeiten des öffentlichen Austauschs, der Beratung sind wichtig und auch die Frage der professionellen Repräsentation der Verbraucher. Mit einem einfachen Ansatz wie Information und Aufklärung kommt man nicht sehr weit.

Bis jetzt werden Konsumenten nicht als politische Subjekte adressiert. Die politischen Forderungen kommen nur von den Konsumenten selbst. Starke Akteure wie der Lebensmittelhandel können zum Beispiel Forderungen nach einer transparenten Kennzeichnung leicht zurückweisen.Das stimmt. Aus der Perspektive der Partizipation hieße das, es muss mehr Transparenz geben. Man kann sich aber auch eine Vielzahl anderer Verfahren vorstellen: Zum Beispiel könnten Verbraucher ihre Repräsentanten wählen oder bestimmen, wer überhaupt über die Kennzeichnung entscheiden darf. Ich verstehe es auch als professionalisierten Verbraucherschutz, wenn die Konsumenten durch eine gute Vertretung entlastet werden.

Welche politische Relevanz kann die Verbraucherdemokratie vor dem Hintergrund der postdemokratischen Tendenzen, die Sie selbst beschrieben haben, entfalten?

Man kann die ganze Konsumfrage natürlich auch als eine Art Pseudopolitisierung sehen. Jeder versucht, durch seinen Konsum das eine oder andere Problemchen zu berücksichtigen, aber letztlich stabilisiert dies alles ein System, in dem nur die Wirtschaft die Dinge zu ihrem eigenen Nutzen reguliert. Das ist mir aber zu fatalistisch. Statt zu diagnostizieren, ob die Demokratie kaputt ist oder nicht, könnte man die gegenwärtigen Prozesse auch als Chance begreifen, die Demokratie zu erweitern, zu verändern.

Die Beteiligung an diesem Prozess ist auch eine Frage der sozialen Inklusion, von Bildung, von Geld. Der Diskurs findet jetzt in einem exklusiven Zirkel statt.

Ja, der Diskurs ist exklusiv. Er wird z.B. im Wesentlichen von den westlichen Gesellschaften bestimmt. Man kann das Ganze auch mit Fug und Recht als Mittelschichtsphänomen bewerten. Das heißt aber nicht, dass dies ein Charakteristikum der Verbraucherdemokratie bleiben muss. Man könnte z.B. auch versuchen, eine Art Minimalinklusion über ein Grundeinkommen herzustellen. Oder sich fragen, wie bei der Organisation öffentlicher Beratungen und Diskussionen ausreichende Inklusion erreicht wird und wen diese betrifft. Auch kann man die Formen der Repräsentation verschiedener Interessen hinterfragen. Bei dem Projekt Verbraucherdemokratie geht es ja genau darum, angemessene Formen der Demokratie zu entwickeln.

Zur Person
Jörn Lamla ist Professor für Soziologische Theorie an der Universität Kassel und beschäftigt sich unter anderem mit der Soziologie des Konsums und des Internets. Zuletzt erschien von ihm im Suhrkamp Verlag das Buch "Verbraucherdemokratie. Politische Soziologie der Konsumengesellschaft".