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"Fairer Handel gibt Produkten ein Gesicht"

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Von der belächelten Idee einiger Aktivisten zum bekannten Fairtrade-Gütesiegel: Der faire Handel hat sich in den vergangenen 20 Jahren aus einer Nische heraus eine breite Käuferschaft erschlossen.


Jede fünfte in Österreich verkaufte Banane stammt aus fairem Handel.
© Foto: Pablo Prieto

Stolz zeigt Vedastus Ngaiza die Dose mit Löskaffee, die als "Bio-Africafe" in Österreich verkauft wird: "Hier steckt unser Kaffee drinnen", sagt der Geschäftsführer der Kaffeekooperative KCU in Tansania bei einem Besuch in Wien anlässlich des 20-jährigen Jubiläums von Fairtrade Österreich. Die Kooperative, der 60.000 Kleinbauern angehören, ist seit 1993 Fairtrade-zertifiziert. Im selben Jahr wurde in Österreich die Organisation gegründet, die den Handel mit Kleinbauern aus Entwicklungsländern fördert und den Grundstein für das Fairtrade-Gütesiegel legte.

Der Verein – damals noch unter dem Namen TransFair – ist eine überparteiliche und überkonfessionelle Organisation. Nach dem Motto "Fairer Handel statt Almosen" wird Bauern in Entwicklungs- und Schwellenländern ein Mindestpreis und eine Prämie garantiert, die in neue Maschinen, Bildung oder verbesserte Infrastruktur wie Straßen im Dorf investiert wird. Das Ziel der Gründer war, die Produkte mit einem einheitlichen Gütesiegel in Supermärkte zu bringen und damit einer breiteren Käuferschicht zugänglich zu machen.

Anfangs wurde die Bewegung noch belächelt: Fairer Handel sei eine idealistische Idee und nicht für Supermärkte geeignet, hieß es von Skeptikern. "Es war ein mühsamer Anfang", erinnert sich Helmut Schüller, seit 2007 Vorstandsvorsitzender von Fairtrade Österreich. Auch international war der Start nicht einfach, viel Überzeugungsarbeit war nötig. "Zweifler glaubten zu Beginn, dass Fairtrade winzig bleiben wird, weil sich die Menschen nicht für fairen Handel interessieren. Heute kann man überall in Wien und in Europa Fairtrade-Bananen im Supermarkt kaufen", sagt die Geschäftsführerin von Fairtrade International, Harriet Lamb.

Fairtrade-Banane war Umsatzturbo

Tatsächlich galten fair gehandelte Produkte vor zwei Jahrzehnten noch als Nische: Sie waren hierzulande seit den 1970er Jahren vor allem in den darauf spezialisierten Weltläden erhältlich. In Supermärkten verkauften sich die Produkte mit dem Gütesiegel anfangs schleppend. Seit rund zehn Jahren setzen sich jedoch viele Österreicher mit bewusstem Konsum auseinander und bevorzugen faire, regionale und biologische Ware – das brachte Rückenwind für den fairen Handel. 2002 war die Einführung der Fairtrade-Banane "die Zündung für das heutige Umsatzwachstum", sagt Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich.

Mittlerweile hat sich das Sortiment an zertifizierten Produkten in Österreich auf mehr als 800 Artikel vergrößert, 70 Prozent davon tragen auch das Bio-Zeichen. Dazu beigetragen haben vor allem die großen Handelsketten, die ihr Sortiment erweitert und teilweise Eigenmarken-Produkte wie Bananen, Schokolade und Kaffee auf Fairtrade umgestellt haben.

Anfangs stand Kaffee als Vorzeige-Produkt im Fokus, später wurde die Palette ausgeweitet und bekannte Unternehmen stiegen als Lizenznehmer ein. Nach dem Gründungsmitglied EZA Fairer Handel war der Grazer Kaffeeröster Hornig der zweite Partner. Zu den Lizenznehmern zählen auch der steirische Schokoladeproduzent Zotter sowie Pfanner. Das Vorarlberger Unternehmen startete als erster europäischer Markenartikler mit Fairtrade-Orangensaft und ist heute der weltweit größte Hersteller von fair gehandeltem Fruchtsaft. Pfanner verkauft pro Jahr mittlerweile mehr als 10 Millionen Liter Fairtrade-Säfte in den Sorten Orange, Multivitamin, Mango, Banane und Ananas – Tendenz steigend.

Der Erfolg in den ersten zwei Jahrzehnten kann sich sehen lassen: Heute stammt jede fünfte verkaufte Banane und jede dritte verkaufte Rose in Österreich aus fairem Handel. In den vergangenen 20 Jahren flossen über den Verkauf von Fairtrade-Produkten in Österreich 140 Millionen US-Dollar in Form von Mindestpreis, Prämie sowie Bioaufschlag an tausende kleinbäuerliche Produzenten und Plantagenarbeiter in den Entwicklungsländern. Seit 1993 wurden 12 Millionen Kilogramm Fairtrade-Kaffee in Österreich konsumiert, seit 1996 rund 4100 Tonnen fair gehandelte Schokolade genascht. Würde man die bisher in Österreich verkauften Bananen mit dem grün-blauen Logo aneinanderlegen, würden diese eineinhalb Mal die Erde umrunden.

Österreich zählt zu den dynamischsten Märkten der Organisation: Im Vorjahr stieg der Fairtrade-Umsatz um sieben Prozent auf 107 Millionen Euro, heuer im ersten Halbjahr lag er bei 58 Millionen Euro (plus 16 Prozent). Durch den gesteigerten Umsatz gingen alleine in den ersten sechs Monaten 13 Millionen US-Dollar aus Österreich an Kleinbauern und Kooperativen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Weltweit werden pro Jahr zertifizierte Waren um rund fünf Milliarden Euro verkauft. Betrachtet man die gesamten Lebensmittelausgaben, fällt der Anteil dennoch gering aus: 13 Euro gibt ein Österreicher im Durchschnitt für fair gehandelte Produkte pro Jahr aus, in der Schweiz liegt der Betrag fast doppelt so hoch.

Mit dem wachsenden Umsatz steigt auch das Interesse großer Lebensmittelhersteller an fair gehandelten Produkten. Erst kürzlich hat der Schweizer Lebensmittelgigant Nestlé angekündigt, dass seine Kaffeemarke Nespresso mit der Organisation kooperieren wird. Für die Eismarke Ben & Jerry’s bezieht der Nahrungsmittelkonzern Unilever alle Zutaten, bei denen es möglich ist – wie Zucker und Kakao –, aus fairem Anbau. Für Verwirrung bei Konsumenten sorgt allerdings, dass Konzerne auch auf andere Siegel wie "Rainforest Alliance" und "UTZ certified" setzen, die für nachhaltige Produktion stehen. "Fairtrade hat die höchsten sozialen Standards", betont Kirner.

Kooperation auf Augenhöhe

Mehr als 1,24 Millionen Bauern sowie Arbeiter in 70 Ländern profitieren direkt vom fairen Handel. Die Produzenten halten in den Entscheidungsgremien der Organisation 50 Prozent der Stimmrechte. Zusammengearbeitet wird mit Kleinbauern – nur bei Rosen, Bananen und Tee werden die Produkte von Plantagen bezogen. Das Ziel ist, die Lebenssituation von Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern zu verbessern. Der Mindestpreis garantiert ein stabiles Einkommen. Während der Weltmarktpreis zum Teil deutlich schwankt, ist der mit Fairtrade vereinbarte Preis fix – das kann allerdings auch dazu führen, dass er unter dem Weltmarktpreis liegt.

Fairtrade ermöglicht Bauern, mehr zu sparen, aber auch mehr zu investieren, wie eine Wirkungsstudie des deutschen Centrums für Evaluation ergeben hat. Mit der ausbezahlten Prämie baute KCU in Tansania beispielsweise Schulen, kaufte Tische für die Schüler und verbesserte die Wasserversorgung und Straßen. Die Auswirkungen werden auch bei einem Besuch in einem abgelegenen Dorf in der Nähe von Estelí in Norden Nicaraguas sichtbar: Der Großteil der Einwohner lebt vom Kaffeeanbau, durch die Mitgliedschaft in der Fairtrade-zertifizierten Kaffeekooperative Prodecoop konnten eine Versammlungshalle und ein medizinisches Versorgungszentrum gebaut werden. Viele der 2300 Bauern der Kooperative berichten auch, dass sie durch die Prämie nun Zugang zu Strom- und Wasserversorgung haben. Außerdem unterstützt Prodecoop den Bau von Schulen und den Kauf von Unterrichtsmaterial. Etwas mehr als die Hälfte des Fairtrade-Zuschlags wird in die Produktion investiert, sowie in Workshops zum Kaffeeanbau.

"Die Einstellung muss sich von humanitärer Hilfe zu Handel ändern", sagt Ngaiza von der Kaffeekooperative KCU. Diese Meinung teilt auch Gudrun Danter, Geschäftsführerin der Arge Weltläden, die Produzenten vor Ort besucht hat: "Die Kooperation auf Augenhöhe mit den Produzenten schafft ein gutes Gesprächsklima und stärkt das Selbstbewusstsein."

Noch ist das Produktangebot allerdings größer als die Nachfrage der Konsumenten. "Ich wünsche mir, dass wir den ganzen fair angebauten Kaffee auch unter dem Fairtrade-Siegel verkaufen können", sagt Ngaiza. 60 Prozent des von KCU produzierten Kaffees tragen das Gütezeichen, sodass die Bauern auch Mindestpreis und Prämie erhalten. Ohne ausreichende Nachfrage könne der Kaffee nicht mit dem Fairtrade-Siegel verkauft werden. Auch Kirner weiß um dieses Problem: "Teilweise werden unter Fairtrade-Bedingungen angebaute Produkte, etwa Bananen, als konventionelle verkauft, weil die Absatzmärkte fehlen." Deshalb hat er sich zum Ziel gesetzt, die Verkaufszahlen zu steigern. Mindestabnahmemengen könne man allerdings nicht garantieren, Fairtrade sei hier nur der Vermittler zwischen Produzenten und Händlern.

Sesamanbau in Nicaragua als Alternative zur Baumwoll-Monokultur.
© Foto: Del Campo

Nachdem zuletzt Gewürzmischungen, Litschis, neue Eissorten und biologisch abbaubare Kaffeekapseln mit dem grün-blauen Logo in die heimischen Supermärkte kamen, konzentriert sich die Organisation nun darauf, den Absatz in bestehenden Produktgruppen von Bananen bis Rosen auszuweiten. Auch in Restaurants, Cafés und Hotels sollen künftig mehr Fairtrade-Produkte angeboten werden – bisher scheitert das oft an den zu kleinen Packungen und Gebinden (wie bei Orangensaft), die nicht für die Gastronomie geeignet sind.

Kräftig gestiegen ist heuer der Absatz von Fairtrade-Baumwolle. Dennoch ist der Fairtrade-Textilanteil minimal, weil die Verarbeitungskette in der Bekleidungsindustrie so unübersichtlich und lang ist. Eine neue Regelung soll es großen Textilherstellern erleichtern, ins Fairtrade-System einzusteigen: Künftig dürfen fair und konventionell produzierte Baumwolle gemeinsam verarbeitet werden. Das Unternehmen kann Kunden darüber informieren, wie viel Prozent des Rohstoffes aus fairem Anbau kommen – "ähnlich wie beim Ökostrom", sagt Kirner. Allerdings kann das Kleidungsstück nicht wie andere Fairtrade-Produkte mit einem Code bis zum Bauern zurückverfolgt werden.

Absatzmärkte im Süden schaffen

Die Verbesserungen durch Fairtrade nur darin zu sehen, dass die Kinder der Bauern eine bessere Ausbildung bekommen oder beim Anbau stärker auf die Umwelt geachtet wird, greift laut Danter zu kurz: "Das Ziel ist, unsere Welt zukunftsfähiger und gerechter zu machen. Fairer Handel vermittelt, dass Waren einen Wert besitzen und gibt Produkten ein Gesicht."

Dass Fairtrade-Produkte ihren Ursprung in Entwicklungsländern haben, soll sich künftig nicht ändern: "Aus heutiger Sicht ist nicht geplant, dass wir Bauern in Eu-ropa zertifizieren", sagt Kirner. Weil jedoch auch in den Anbauländern wie Indien und Brasilien die Kaufkraft steigt, sollen Fairtrade-Produkte auch in ihren Ursprungsländern mit dem Siegel verkauft werden, um durch zusätzliche Absatzmärkte mehr Produkte zu verkaufen. Im Fall der Kaffeekooperative KCU würde das Produkt auch ideal zu den Trinkgewohnheiten im Land passen: Denn obwohl in Tansania viel Kaffee angebaut wird, trinken die Einwohner fast nur Löskaffee.

Info: Fairtrade-Gemeinden
Was haben Scheibbs, Fürstenfeld und Bad Ischl gemeinsam? Sie gehören zu den mittlerweile mehr als 109 Fairtrade-Gemeinden österreichweit, die sich für Armutsbekämpfung einsetzen.

Fünf Ziele müssen die Kommunen erfüllen, um den Titel tragen zu dürfen: Dazu zählt neben Lobbying und Werbung, dass Fairtrade-Produkte wie Kaffee in der Gemeinde und bei Gemeindeveranstaltungen erhältlich sind. Außerdem müssen fair gehandelte Waren in lokalen Geschäften, Gasthäusern und Cafés leicht verfügbar sein. Die geforderte Anzahl hängt von der Einwohnerzahl ab. Eine Arbeitsgruppe im Ort arbeitet an der Umsetzung der Ziele und überprüft diese. Die ersten heimischen Fairtrade-Gemeinden – Wiener Neustadt und Mönichkirchen – wurden im Mai 2007 ernannt. Auch die Wiener Bezirke Wieden, Josefstadt, Neubau und seit kurzem auch Alsergrund haben sich dem fairen Handel verschrieben.

Weltweit dürfen sich mehr als 1300 Kommunen in 24 Ländern "Fair Trade Towns" (darunter auch Gemeinden und Städte in Ghana, Brasilien und Costa Rica) nennen – Tendenz steigend.

Print-Artikel erschienen am 20. September 2013 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal".

Fairtrade handelt nicht selbst, sondern vergibt Lizenzen für Produkte, die das blau-grüne Fairtrade-Logo tragen dürfen. Erster Lizenzpartner in Österreich war die Importgesellschaft EZA Fairer Handel. Die Vision von Fairtrade ist eine Welt, in der alle Produzenten sicher und nachhaltig leben können und selbst über ihre Zukunft entscheiden können. Dabei sieht die Organisation Handel als Schlüssel zu weniger Armut und nachhaltiger Entwicklung. Kontrolliert wird die Einhaltung der Standards von der Zertifizierungsorganisation Flo-Cert.

Fairtrade garantiert den Bauern einen Mindestpreis und einen Fairtrade-Zuschlag. Diese Prämie können die Produzenten für Projekte wie den Bau von Schulen, verbesserte Infrastruktur wie Wasser und Elektrizität oder den Ankauf neuer Maschinen verwenden. Die Wurzeln von Fairtrade gehen bis ins Jahr 1975 zurück, als die EZA Fairer Handel als Importorganisation für fair gehandelte Produkte gegründet wurde, die ersten Weltläden gab es 1977.