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"Die EZB ist wie die Reichsbank"

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Dem unkonventionellen Ökonomen Richard Werner sind Europas Zentralbank und Federal Reserve suspekt.


Der Staat soll Geld drucken, anstatt Anleihen aufzulegen.
© fotolia

"Wiener Zeitung": Die Gefahr eines US-Staatsbankrotts ist vorerst gebannt, es gab eine Einigung in letzter Sekunde. Das Schulden-Problem bleibt bestehen. Sehen Sie eine Lösung?Richard Werner: In Abschnitt acht der US-Verfassung ist festgehalten, dass der Kongress das Privileg hat, Geld zu schöpfen. Dieses Privileg wurde aber seit 100 Jahren kaum benutzt. Warum hat der Staat so viel Schulden? Weil der Staat das in der Verfassung verbriefte Privileg, Geld zu schöpfen, nicht mehr wahrnimmt, sondern sich Geld lieber leiht und dafür Zinsen zahlen muss. Vor der Einführung der Federal Reserve wurde Staatsgeld gedruckt. Doch dann wurde die private Zentralbank geschaffen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Federal Reserve Bank of New York - der wichtigste Player im Zentralbankensystem der USA - im Besitz der Wall Street ist.

Welche Folgen hat das Gezerre um die Schuldenobergrenze für die Anleihenmärkte?

Ich denke, es ist ganz gesund, dass sich die Anleger darüber im Klaren werden, ob Staatsanleihen immer und in jedem Fall eine gute, sichere Anlage sind. In den Modellen werden Staatsanleihen ja immer als risikolose Investments gesehen, aber das sind sie natürlich nicht. Neben der Herausgabe von Staats-Geld gibt es eine zweite Methode, die Anleihen-Märkte zu umgehen: Staaten könnten einfach Kredite bei Banken nehmen. Das wurde früher so gemacht und der Staat bekommt das Geld zu vorteilhafteren Konditionen als dies auf den Anleihemärkten der Fall ist.

Sie plädieren für ein Finanzsystem der kleinen Banken, die eng mit den regionalen Märkten und Kunden verzahnt sind.

Der deutsche Wirtschaftswissenschafter Richard A. Werner gilt als scharfer Kritiker der EZB und der Bankenunion.

Genau. Es geht auch um den Kunden: Der wird sich die Frage stellen, wohin mit meinem Geld, was machen die Banken damit? Wollen die Kunden ihr Kapital wirklich jemanden überantworten, der das Geld dann für Finanzspekulationen in London verwendet? Oder wollen sie es lieber einer Bank anvertrauen, die die lokale Wirtschaft unterstützt? So ein traditionelles System der Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist auch viel stabiler und weniger krisenanfällig.

Sie gelten als scharfer Kritiker der EZB und der Bankenunion. Warum?

Die EZB spielt als großer Player leider eben gerne mit den anderen Big Boys auf den Märkten und kümmert sich um die vorhin erwähnten kleinen, nützlichen Akteure auf den regionalen und lokalen Märkten nicht. Dazu kommt: Die Statuten der EZB sind schwer änderungsbedürftig. Mir fällt keine andere Zentralbank ein, die undemokratischer wäre. Die EZB unterliegt keiner parlamentarischen Kontrolle und ist niemanden Rechenschaft schuldig. Wie sagte noch der britische Historiker Lord John Emerich Edward Dalberg-Acton: "Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut."

Aus EZB-Kreisen wird aber bemängelt, dass die EZB eben nicht genug Macht hatte, um die Probleme, die die Finanzkrise mit sich gebracht hat, zu bewältigen.

Das ist unrichtig. Die EZB hatte während des Aufloderns der Finanzkrise 14 der 17 Bankenaufsichtsbehörden in der Eurozone bereits unter ihrer Kuratel. Meine Diagnose ist eine andere: Die EZB ist die wiederauferstandene Reichsbank, mit absoluter Unabhängigkeit, wie sie die Reichsbank hatte. Und die hat nicht gerade eine strahlende Erfolgsbilanz: Deflation, Hyperinflation und dann hat sie auch noch Adolf Hitler den Weg geebnet.

Und wie sehen Sie die Bankenunion, die nun umgesetzt wird? Ist eine Kontrolle der Banken auf europäischer Ebene nicht vernünftig?

Das Ziel der Bankenunion ist es, den kleinen Banken das Leben so schwer wie möglich zu machen und sie regelrecht auszurotten. Damit schafft die Europäische Zentralbank aber noch mehr Probleme. Gerade die Too-big-to-fail-Bankmonstren werden gefördert. Die Big Boys in Brüssel und Frankfurt reden eben lieber mit der Deutschen Bank, als sich mit dem Sparkassenverband zu beschäftigen.

Zu viel Geld, so Ihre Kritik, wird im Casino der internationalen Finanzmärkte verzockt, anstatt in der Realwirtschaft produktiv eingesetzt zu werden.

Sprechen wir doch einmal die Probleme Europas an: Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt in einigen Ländern 55 Prozent, in den Krisenländern haben wir noch immer Rekord-Arbeitslosigkeit. All die Bankenrettungspakete haben das Problem bis dato nicht gelöst. Wenn Banken Geld schöpfen, das sie dann für Finanztransaktionen verwenden, dann hat das überhaupt keinen positiven Effekt für die Volkswirtschaft. Es wurde weder die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft verbessert, noch die Produktivität. Wenn eine Bank aber einen Kredit an ein Unternehmen vergibt, das damit einen neuen Maschinenpark anschafft oder Geld in die Prozessoptimierung steckt, dann erhöht sich die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit. Diese Bank hat mit diesem Kredit zu einem steigenden Wachstum und Wohlstand beigetragen.

Sie gelten als einer der Väter der quantitativen Lockerung, einer Geldpolitik, die sich nun großer Beliebtheit erfreut. Was ist das eigentlich, quantitative Lockerung?

Nach meiner ursprünglichen Definition war damit eine Expansion der Kreditschöpfung für BIP-Transaktionen, also für wachstumsrelevante Transaktionen gemeint. Was gemacht wurde, hat eben nicht dazu geführt. Wenn aber mit Quantitative Easing - also quantitativer Lockerung - nur die Bankbilanzen in Ordnung gebracht werden, so wie das jetzt gemacht wird, ist niemandem geholfen, dann kommt auch nicht mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf.

Zur Person
Richard Werner

Richard A. Werner (geboren am 5. Jänner 1967 in Landau/Isar) ist ein deutscher Wirtschaftswissenschafter, Hochschullehrer in England und Director des Centre for Banking, Finance and Sustainable Development.