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Und ewig droht der Rückruf

Von Ronald Schönhuber

Wirtschaft

Toyota startet den nächsten Millionen-Rückruf. Die Gleichteile-Strategie und immer kürzere Entwicklungszeiten machen Autos heute anfällig.


Tokio. Es war das Jahr 1965, als ein Buch das Schicksal des Chevrolet Corvair besiegelte. In "Unsafe at any speed" hatte der spätere US-Präsidentschaftskandidat Ralph Nader substanzielle Designfehler offengelegt, durch die sich der damals unkonventionelle Heckmotorwagen in schnell gefahrenen Kurven nur schwer beherrschen ließ. Nader zufolge wusste man bei General Motors zwar über die Probleme Bescheid, verzichtete aus Kostengründen aber auf ein stabileres Fahrwerk.

Seit Naders wegweisendem Buch, das den Absatz des Corvair abrupt einbrechen ließ, sind mehr als 40 Jahre vergangen, doch die damals vom jungen Verbraucherschutzanwalt beschriebenen Strukturprobleme der Automobilindustrie scheinen alles andere als beseitigt. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass die Hersteller nicht massenhaft Fahrzeuge zurückbeordern. Erst am Mittwoch gab der Weltmarktführer Toyota, der sich nur langsam von jenem Imageschaden erholt, der durch die vergangenen Massenrückrufe entstanden ist, eine neue Warnung an Kunden und Werkstätten aus. Waren es 2010 steckende Gaspedale, wegen denen 10 Millionen Autos zurückgerufen wurden, müssen diesmal mehr als sechs Millionen Toyotas wegen Mängeln an mehreren Bauteilen wieder in die Werkstätten.

Den anderen Herstellern geht es freilich nicht viel besser. Erst vor wenigen Tagen musste sich GM-Chefin Marry Barra vor dem US-Kongress wegen zu schwach ausgelegter Zündschlösser verantworten, durch die mehr als 13 Menschen ums Leben gekommen sein dürften. Die Rückrufaktion wurde mittlerweile auf 2,6 Millionen Fahrzeuge ausgeweitet. Auch VW, Chrysler, Hyundai und Nissan mussten in den vergangenen Jahren Millionen Autos zurückbeordern. Allein auf dem US-Markt waren 2013 mehr als 20 Millionen Fahrzeuge betroffen, die Zahl der Rückrufe lag damit sogar um 31 Prozent über der Zahl der neuzugelassenen Pkw.

Doch warum kämpft die Automobilindustrie, in der seit Naders Buch computergestützte Fertigungsprozesse, moderne Managementmethoden und umfangreiche Qualitätssicherungsprogramme Einzug gehalten haben, heute offenbar mehr denn je mit grundsätzlichen Designproblemen? Zumindest einige Antworten darauf liefert eine Studie des Center of Automotive Management (CAM), in deren Rahmen die Rückrufaktionen unter die Lupe genommen wurden. Als ein wesentlicher Grund für die Häufung von technischen Problemen wird in der Studie die technische Komplexität der Fahrzeuge ausgemacht, die in den vergangenen 10 bis 15 Jahren enorm gestiegen ist. Heute besteht ein Auto nicht mehr bloß aus Fahrwerk, Motor und Karosserie, sondern verfügt auch über zahlreiche Assistenz- und Sicherheitssysteme. Und je mehr Komponenten mit an Bord sind, um so größer wird auch die Gefahr, dass sich ein Fehler einschleicht.

Weiter verschärft wird diese Problematik durch die immer kürzer werdenden Entwicklungs- und Produktionszyklen. Die Hersteller bringen heute deutlich rascher eine Vielzahl neuer Modelle und Derivate auf den Markt, als das etwa noch vor zehn Jahren der Fall war.

Um trotzdem die Gewinnmargen halten oder steigern zu können, setzen die Automobilkonzerne zunehmend auf eine Gleichteile-Strategie. Möglichst viele gleiche Komponenten werden dabei bei möglichst vielen Modellen eingesetzt. Ein Produktionsfehler potenziert sich damit rasch. So sind vom aktuellen Toyota-Rückruf nicht nur 27 eigene Modelle betroffen, sondern auch der Pontiac Vibe und der Subaru Trezia.

Laut der CAM-Studie ist aber nicht zuletzt der massive Kostendruck in der Branche für die Produktionsmängel verantwortlich. "Im täglichen Geschäft der Automobilhersteller, etwa beim Materialeinkauf, geht es um Cent-Beträge", sagt Studienautor Stefan Bratzel gegenüber der "Wiener Zeitung". Dieses Problem hat allerdings auch schon Ralph Nader vor 40 Jahren identifiziert.