Seattle/Wien. Fire Phone heißt das aktuelle Lieblingsspielzeug von Jeff Bezos. Mit dem buchstäblich feurigen Gerät will der Chef des US-Onlineriesen Amazon den Branchenführenden Apple und Samsung den Rang ablaufen. Lange hat der 50-Jährige zugewartet, bevor das Produkt auf den Markt gebracht wurde - und das vorerst auch nur in den USA und bei einem Anbieter. Dafür erhalten die Kunden ein Gerät, bei dem sich die Darstellung auf dem Bildschirm an den Blickwinkel des Betrachters anpasst. Noch wichtiger für den Onlinehändler: Mit dem Handy kann man direkt bei Amazon einkaufen gehen. Ein Foto des gewünschten Gegenstandes - Bezos demonstrierte die Funktion anhand eines Nutella-Glases - und prompt wird der Artikel im Amazon-Sortiment angezeigt und kann bestellt werden. Für Spielereien wie diese mögen Technik-Aficionados Jeff Bezos. Aktionäre und Analysten interessiert in erster Linie, ob die Gimmicks umsatz- und gewinnbringend sind.
Enorme Kosten in der Entwicklung verursachen Fire Phone und Co. auf jeden Fall. Und so ist nach der Präsentation der Zahlen für das zweite Quartal Feuer am Dach. 126 Millionen Dollar (93,5 Millionen Euro) betrug der Verlust in den Monaten April bis Juni, fast doppelt so viel, wie von den Analysten erwartet. Da half es auch nichts, dass der Quartalsumsatz - wie üblich - erneut explodierte und um ein knappes Viertel auf 19,4 Milliarden Dollar (14,4 Milliarden Euro) stieg. Die Börsianer quittierten die Verlustmeldung mit einem Abverkauf, der Kurs sank Donnerstag nachbörslich um satte zehn Prozent. An den europäischen Handelplätzen rutschte der Kurs am Freitag weitere zwei Prozent ab.
Rekordumsatz reicht nicht
Die Flucht der Anleger wurde auch durch die Ansage von Amazon-Finanzchef Tom Szkutak befeuert, wonach für das laufende Quartal ein Verlust zwischen 410 und 810 Millionen Dollar (bis zu 601,6 Millionen Euro) zu erwarten sei. Zum Vergleich: Von Juli bis September des vergangenen Jahres befand sich der Onlinehändler mit 25 Millionen Dollar (18,6 Millionen Euro) wesentlich weniger tief in den roten Zahlen.
Hohe Investitionskosten hat es bei Amazon immer schon gegeben. Der experimentierfreudige Bezos hat beispielsweise für das Fire Phone eine Entwicklungsabteilung im Silicon Valley, fernab der Heimat Seattle, aufbauen lassen. Der weltgrößte Buchhändler zu werden war nur ein Etappenziel, längst geht es auch um den Aufbau eigener Plattformen und deren Etablierung gegen beinharte Konkurrenz; sei es bei der TV-Box Fire TV, den Amazon-eigenen Tablet-Computern oder dem angebotenen Video-Streaming. Auch die Zustellung von Lebensmitteln in einigen US-Städten gehört zum Produktportfolio; in Österreich, Deutschland und weiteren europäischen Ländern steht man in den Startlöchern beim Verkauf von Milchprodukten, Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch.
Bisher haben die Anleger diese enorme Vielfalt an Geschäftsfeldern hingenommen. Auch, dass der 30 Milliarden Dollar schwere Bezos keinen Cent an Dividende an seine Aktionäre springen lässt. Belohnt wurden sie dafür mit einer Verfünffachung des Nettoumsatzes von Anfang 2009 bis zum Beginn des heurigen Jahres, mit lediglich drei verlustreichen Quartalen. Wer in jenen fünf Jahren als Aktionär mit an Bord war (oder gar noch früher einstieg), den machte der studierte Informatiker und Elektrotechniker Bezos reich: Der Kurs stieg von 55 auf das Allzeithoch von 408 Dollar im Jänner. Seitdem entwickelt sich Amazon allerdings gegenläufig zur Nasdaq. Die Aktie verlor mehr als zehn Prozent, im selben Zeitraum legte der Börsenindex um rund 15 Prozent zu. Bezos steht allerdings nicht zur Disposition.
Neue Konkurrenz
Wie Geparden kranke Gazellen sollte Amazon die Buchverlage jagen, lautete die Vorgabe des Firmenchefs einst. Ein ähnliches Ziel hat auch ein aufstrebender Konkurrent Amazons: Der chinesische Onlinehändler Alibaba hat ein Bündnis mit Amazons kleinerem Rivalen ShopRunner geschlossen. Ziel ist die Eroberung des US-Marktes. Die Voraussetzungen, mit Amazon zu konkurrieren, sind jedenfalls gegeben: Der Börsengang in New York im September soll bis zu 15 Milliarden Dollar einbringen, damit läge man nur knapp hinter jenem von Facebook 2012.