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Rache ist süß

Von Michael Schmölzer und Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Europäische Produkte verschwinden aus russischen Regalen, EU-Bauern verlangen Entschädigung.


Wien/Moskau. Im Osten der Ukraine hagelt es Bomben und Granaten - und Österreichs Landwirtschaft wird, wie die Bauern der übrigen EU, die Ernte des blutigen Konflikts einfahren. Zumindest ein schmerzhafter Streifschuss ist es, den die heimischen Landwirte durch die Agrar-Exportsanktionen Wladimir Putins erleiden. Denn der Kremlherr lässt die Sanktionen, die die EU über Russland angesichts der Ukraine-Krise verhängt hat, nicht auf sich sitzen. Er schlägt zurück, und trifft damit auch das "befreundete" Österreich, das er zuletzt besucht hat.

In russischen Regalen wird demnächst kein Rind- Schweine- und Geflügelfleisch, kein Fisch, kein Käse, keine Milch, kein Gemüse und Obst aus der EU zu finden sein. Das ist eine Maßnahme, die Europa, das 2013 landwirtschaftliche Waren im Wert von 11,87 Milliarden Euro nach Russland exportierte, trifft. Rund 37 Prozent aller Agrar-Ausfuhren der EU nach Russland fallen unter das Embargo. Putins Rache ist aber auch zum Nachteil der russischen Konsumenten - auch wenn Putin betont, dass hier jeder Schaden vermieden werden soll: Die Lebensmittelpreise in Russland werden ansteigen, Auswahl und Qualität werden sinken. Das Embargo als Waffe hat auch deshalb eine limitierte Schärfe, weil Russland als Importeur weltweit eine relativ geringe Bedeutung hat - das Riesenreich rangiert hier nur auf Platz 16.

Österreich exportierte im Vorjahr Lebensmittel im Wert von 238 Millionen Euro nach Russland, das sind etwa 2,4 Prozent der gesamten heimischen Lebensmittelausfuhren. Die Wirtschaftskammer geht davon aus, dass etwa die Hälfte dieser Ausfuhren vom Embargo betroffen sein werden. Der Präsident des ÖVP-Bauernbundes, Jakob Auer, macht sich jedenfalls Sorgen. Er befürchtet unter anderem, dass osteuropäisches Fleisch durch das Embargo nicht mehr in Russland, sondern "zu Billigpreisen" in Europa abgesetzt werde - das Überangebot hätte einen "Preisschock" bei Schweinefleisch, aber auch bei Äpfeln und Tomaten zur Folge. Sollten die Ausfälle erheblich sein, dann müsse man mit der EU und der Bundesregierung über Entschädigungszahlungen reden, warnt Auer. Ins gleiche Horn stößt Landwirtschaftskammerpräsident Helmut Schultes: Da Kanzler Werner Faymann den Sanktionen der EU gegen Russland zugestimmt habe, müsse dieser jetzt auch die Suppe auslöffeln und der österreichischen Landwirtschaft unter die Arme greifen. "Wir erwarten uns, dass wir nicht im Regen stehen gelassen werden", heißt es dazu seitens der Landwirtschaftskammer. In Deutschland prüft man jedenfalls, in welchem Ausmaß betroffenen Betrieben geholfen werden kann.

Besonders betroffen sind laut Bauernbund und Landwirtschaftskammer die heimischen Gemüsebauern, hier sei es bereits jetzt durch die Ukraine-Krise zu einem Preisverfall gekommen. Wobei die Landwirtschaftskammer gegenüber der "Wiener Zeitung" einräumt, dass man in der Vergangenheit durchaus von der russischen Sanktionspolitik profitiert habe. Zuletzt habe es Embargos gegen einzelne EU-Staaten im Bereich Fleisch oder Milch gegeben, die entstandenen Lücken seien von Österreich gefüllt worden. Damit sei nun freilich Schluss.

Die Auswirkungen der russischen Gegensanktionen werden je nach EU-Land unterschiedlich aufgenommen. In Deutschland hält man die Konsequenzen für überschaubar, man ist an Embargos - meist werden hygienische Mängel angeführt - gewöhnt. Griechenlands Obst- und Gemüseexporteure sprechen hingegen von einer Katastrophe. Das leidgeprüfte EU-Land am Mittelmeer exportierte vor allem Pfirsiche, Erdbeeren und anders Obst nach Russland, jetzt sitzt man auf 600.000 Tonnen, die nicht exportiert werden können. Ein durch Überangebot zu erwartender Preisdruck könnte auch für slowakische Bauern "existenzbedrohend" werden, berichtet das Nachrichtenportal "aktualne.sk". In Norwegen, das sich den westlichen Sanktionen anschloss, gerieten Aktien von Fischerei-Betrieben ins Straucheln und brachen um bis zu zwölf Prozent ein.

"Marktauswirkungennicht unterschätzen"

"Die mittelfristigen wirtschaftlichen Marktauswirkungen des Agrar-Importstopps für westliche Länder sollten nicht unterschätzt werden", warnen die Analysten von Raiffeisen Research in ihrem neuesten Bericht. Die Agrar- und Lebensmittelexporte hätten eine "gewisse" wirtschaftliche Signifikanz. Vermehrte Rufe aus den am meisten betroffenen EU-Ländern seien zu erwarten, die Kompensationen aus EU-Fonds fordern. Dies könnte insgesamt zu Reibereien zwischen den EU-Ländern führen. Ein nicht unbekannter Schachzug Moskaus - immerhin spaltet der Kreml etwa auch mit seinen Gaspipeline-Plänen die Europäer, die sich auf keine gemeinsame Vorgangsweise einigen können.

Angesichts des russischen Importstopps hat Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter die italienische EU-Ratspräsidentschaft aufgefordert, rasch eine Sondersitzung der EU-Agrarminister einzuberufen. Das Problem könne nur gemeinsam gelöst werden, so der Politiker in einer Aussendung, der "drohende Folgen" so rasch wie möglich beraten will.

Zunächst einmal muss sich aber auch Russland die Frage stellen, wie man die Lebensmittel-Ausfälle ausgleichen kann. Der Moskauer Analyst Dmitri Polewoj spricht jedenfalls von einer "Schocktherapie", zehn Prozent der russischen Agrarimporte müssten rasch ersetzt werden. Möglich ist, dass die Liste der verbotenen EU-Waren verkürzt wird, es könnte auch vermehrt Fleisch aus Südamerika und Käse aus Neuseeland und andere Lebensmittel aus der Türkei importiert werden. Neben dem bereits verhängten Agrar-Embargo erwägt der Kreml als weitere Maßnahme ein Überflugverbot für westliche Fluggesellschaften über Sibirien. Für die heimische Austrian Airlines wäre dies, im Gegensatz etwa zur finnischen Finnair, wenig dramatisch. "Bei uns führt nur ein Tokio-Flug über russisches Gebiet", sagte eine Sprecherin zur APA. "Das ist eine von 130 Destinationen weltweit." Für ukrainische Fluggesellschaften hat die Regierung in Moskau am Donnerstag ein Überflugverbot verhängt.

Insgesamt droht der Konflikt mit Russland nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Belastung für die Wirtschaft im Euroraum zu werden. "Die geopolitischen Risiken haben zugenommen", stellte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag fest. Es sei aber derzeit schwer einzuschätzen, welche Auswirkungen die Sanktionen gegen Russland und die Gegenmaßnahmen der russischen Seite genau auf die Wirtschaft des Währungsraums haben werden. Derzeit gehe die Notenbank davon aus, dass sich die Konjunktur im Euroraum allmählich, aber ungleichmäßig erholen werde.