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"Girokonto allein ist nicht die Lösung"

Von Sophia Freynschlag

Wirtschaft

Jeder EU-Bürger hat ab 2016 das Recht auf ein Basiskonto - oft fehlt es allerdings an finanzieller Bildung.


Wien. Alle in der EU ansässigen Bürger bekommen spätestens ab 2016 das Recht auf ein Basis-Girokonto - damit wird eine langjährige Forderung von Schuldnerberatungen und Konsumentenschützern umgesetzt. "Das Recht ist ein Zeichen gegen finanzielle Ausgrenzung und ein lange fälliger Schritt", sagt Hans W. Grohs, Geschäftsführer des Dachverbandes asb der Schuldnerberatungen. Er wünscht sich für den Herbst einen Fahrplan für die Umsetzung in Österreich.

Bis spätestens Frühjahr 2016 haben die Mitgliedsländer Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Sozialminister Rudolf Hundstorfer war nach dem Beschluss im April "überzeugt, dass dieser Rechtsanspruch in Österreich rasch Realität wird". Vom Sozialministerium waren keine Details zum geplanten Gesetz in Erfahrung zu bringen.

40.000 Menschen in Österreich ohne Bankverbindung

Bei der Umsetzung des EU-Parlamentsbeschlusses haben die Mitgliedsländer nämlich Spielraum: Das EU-Parlament hat sich dafür ausgesprochen, dass auch Menschen ohne festen Wohnsitz das Recht haben, ein Girokonto zu eröffnen. Das Basis-Konto soll Kunden ermöglichen, europaweit Geld zu überweisen, Bargeld am Automaten abzuheben oder Online-Überweisungen zu tätigen. Die Mitgliedsstaaten können selbst entscheiden, ob das Basiskonto auch überzogen werden kann. Offen lässt das EU-Parlament auch, ob die Leistungen kostenlos oder gegen eine angemessene Gebühr erbracht werden. Die Mitgliedsländer müssen zumindest ein Institut bestimmen, dass ein Basisangebot zur Verfügung stellt - das dürfen aber nicht ausschließlich Direktbanken sein, die ihre Dienste nur online anbieten. Grohs wünscht sich, dass möglichst viele Banken ein Basiskonto zur Verfügung stellen - dann könnte auch der Aufwand gut verteilt werden.

Geschätzte 40.000 Menschen leben in Österreich ohne Bankkonto, heißt es von der Zweiten Sparkasse, die sich hierzulande als "Bank für Menschen ohne Bank" etabliert hat. Nach Schätzungen der Weltbank haben derzeit rund 25 Millionen EU-Bürger über 15 Jahren kein Konto, würden aber gerne eines haben.

Ohne Konto Probleme bei Arbeits- und Wohnungssuche

Banken verweigern vor allem dann einen Kontovertrag, wenn die Person überschuldet ist oder ein Eintrag in Warnlisten des Kreditschutzverbandes oder der Banken vorliegt. Auch Obdachlosigkeit und fehlende Dokumente sind Gründe, warum Personen ein Konto verwehrt wird. Zudem haben viele Pensionisten kein Konto und bekommen ihre Pension per Barüberweisung über die Post ausgezahlt, so Grohs.

Ohne Bankverbindung haben betroffene Personen Probleme im Alltag, vor allem bei der Arbeits- oder Wohnungssuche. Außerdem fallen bei Bareinzahlungen - etwa für Miete oder Handyrechnung - Spesen an, laut Arbeiterkammer betragen diese durchschnittlich drei Euro pro Zahlung. Auch die öffentliche Hand würde sich Kosten sparen, wenn etwa Beihilfen oder Arbeitslosengeld bargeldlos überwiesen werden können, betont Grohs.

Freiwillig bieten seit einigen Jahren die Bawag-PSK mit dem "Neue Chance-Konto" und die Bank Austria mit dem "Erfolgskonto light", eine Bankverbindung für Personen an, die aus Bonitätsgründen kein Girokonto erhalten. Eine Überziehungsmöglichkeit besteht dabei nicht.

Eine Empfehlung einer Organisation wie Schuldnerberatung, Caritas oder Suchthilfe braucht man hingegen, um Kunde der Zweiten Sparkasse zu werden. Die 2006 gegründete Initiative der Erste Stiftung hat Filialen in Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Salzburg, Villach und Wien und arbeitet ausschließlich mit ehrenamtlichen Mitarbeitern. Das nicht gewinnorientierte Institut hat derzeit rund 8400 Kunden, viele davon befinden sich in Privatinsolvenz. Sie sind meist wegen Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit in eine Notlage geraten und haben ihre Bankverbindung verloren.

Kunden der Zweiten Sparkasse können ihr Konto nicht überziehen und auch keinen Kredit aufnehmen. Pro Monat wird für das Konto eine Kaution von drei Euro verlangt - diese wird zurückgezahlt, wenn der Kunde zu einer anderen Bank wechselt. "Das Konto bei der Zweiten Sparkasse ist nicht als Dauerlösung gedacht. Ziel ist, dass die Kunden wieder ein Konto bei einer normalen Bank eröffnen", sagt Maribel Königer, Sprecherin der Erste Stiftung.

Kunden brauchenZeit und Beratung

Auch wenn das Recht auf ein Girokonto umgesetzt wird, wird das Angebot der Zweiten Sparkasse bestehen bleiben, ist Königer überzeugt. Die eigentlichen Probleme löse der rechtliche Anspruch dennoch nicht: "Das Girokonto allein ist nicht die Lösung. Die Zweite Sparkasse bietet vor allem Zeit und Beratung an. Oft fehlt es den Kunden an finanzieller Bildung", sagt Königer. Viele müssten erst lernen, einen Überblick über ihre Finanzen zu haben und eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zu führen. Von den Schuldnerberatungen heißt es, dass ein Konto zu besitzen und über Möglichkeiten und Gefahren Bescheid zu wissen, ein zentrales Element in der Finanzbildung sei.

Wie unterschiedlich sich die Situation in Europa darstellt, zeigt sich an der Zahl der Menschen ohne Konto, die in Bulgarien und Rumänien besonders hoch ist. Während in Österreich Menschen ohne Bankverbindung meist zuvor der Kontovertrag gekündigt wurde, haben viele Einwohner in diesen Ländern noch nie über ein Konto verfügt und waren bisher auf Bargeldzahlungen angewiesen.