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"Was das Gesetz nicht verbietet"

Von Thomas Seifert und Matthias Nagl

Wirtschaft
Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret im Schloss Leopoldskron in Salzburg.
© Ela Grieshaber/SGS

Bundesbank-Vorstand Dombrets hält sich an Seneca: "Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand."


"Wiener Zeitung": Die EZB durchleuchtet derzeit die Bilanzen der europäischen Banken und führt sogenannte Stresstests durch. Scherzhaft gefragt: Warum muss die EZB die armen Banken unter Stress setzen, haben die nicht schon genug Probleme?Andreas Dombret: Erinnern wir uns an den Beginn der Bankenkrise zurück, als sich die Situation mit der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 dramatisch zuspitzte. Die Banken misstrauten einander so sehr, dass der Geldmarkt zusammenbrach. Auch die Kunden verloren viel an Vertrauen in die Banken und in die Sicherheit ihrer Einlagen. Und angesichts der Manipulationen des Libor und anderer Benchmarks hat in letzter Zeit das Vertrauen in die Banken abermals gelitten. Aber Vertrauen ist die wichtigste Basis im Bankgeschäft. Um nun Zweifel an der Widerstandsfähigkeit und der Kapitalbasis der europäischen Banken auszuräumen, gibt es im Rahmen des sogenannten Comprehensive Assessment der EZB eine Bilanzprüfung und einen Stresstest. Bei Ersterem wird hinterfragt, ob die Wertansätze in den Bankbilanzen korrekt sind. Beim Stresstest wird unter anderem ein scharfer Wachstumseinbruch mit seinen Folgen für die Bankbilanzen simuliert. Die Ergebnisse des Comprehensive Assessment werden in der zweiten Oktoberhälfte veröffentlicht. Wir schaffen also Transparenz, die auch Dritten eine Beurteilungsgrundlage gibt, sodass das Vertrauen in gesunde Institute wieder wächst. Dort, wo es berechtigte Zweifel an der Vitalität von Banken gibt, werden Kapitalzuführungen oder geordnete Marktaustritte unumgänglich.

So ein Stresstest wurde 2011 durchgeführt. Die französisch-belgische Bank Dexia hat den Test bestanden, musste aber wenige Monate später vom Staat gerettet werden.

Das war ein Stresstest ohne Bilanzprüfung. Dieses Mal wurde lange darüber diskutiert, welches das optimale Verfahren ist. Es ist das erste Mal, dass wir eine Bilanzprüfung mit einem Stresstest kombinieren. Die EZB soll dadurch ein umfassendes Bild über die Verfassung der Banken erhalten, bevor sie im November die Aufsicht über die gut 120 größten Institute übernimmt. Gleichzeitig müssen wir wachsam sein. Denn es gibt ja auch die "unknown unknowns", also die Dinge, die man beim besten Willen nicht vorhersehen kann. Hätte zum Beispiel jemand vor einem Jahr die Ukraine-Krise vorhersehen können?

Wie wird die Qualität von Staatsanleihen in den Bankbilanzen zu bewerten sein?

Mit der Bilanzüberprüfung, dem Stresstest und der Veröffentlichung vieler Einzeldaten schaffen wir Transparenz. Jeder Marktbeobachter wird dadurch in der Lage sein, sich ein eigenes Bild über die einzelnen Asset-Klassen in den Bilanzen - so etwa bei Staatsanleihen - zu verschaffen. Die Gefahr der wechselseitigen Ansteckung zwischen Staaten und Banken ist ja eine der Lehren dieser Krise. Wenn Staaten fiskalische Probleme bekommen, dann belastet das die Banken in diesen Staaten - sofern sie Staatsanleihen in ihren Büchern haben. Und wenn die Banken in ihren Bilanzen Probleme bekommen, dann belastet das wiederum die Staaten, in denen diese Banken beheimatet sind - nämlich dann, wenn sie diese Banken retten müssen. Yves Mersch vom EZB-Direktorium hat das einmal den "Doom Loop" - den Weltuntergangsteufelskreis - genannt. Diese gegenseitige negative Verstrickung aufzulösen ist das erklärte Ziel der Bankenunion. Den hohen Anteil von Staatsanleihen in den Bankbilanzen sehen wir zudem sehr kritisch: Derzeit müssen Banken Staatsanleihen nicht mit Eigenkapital unterlegen, weil die Vorstellung herrscht, sie seien völlig ohne Risiko. Außerdem gibt es Klumpenrisiken, weil die Banken sehr oft einen Überhang von Staatsanleihen jener Länder, in denen sie beheimatet sind, in den Bilanzen haben. Spätestens die Finanzkrise hat uns klargemacht, dass Staatsanleihen nicht unisono risikofrei sind. Dies muss sich mittelfristig auch in der Regulierung niederschlagen.

Aus Notenbanker-Kreisen hat man immer wieder gehört, die EZB habe wirklich alles getan, um den Wirtschaftsmotor wieder flottzukriegen, aber die Politik hat den Ball nicht aufgenommen.

Ich könnte die ganze lange Litanei aufzählen, beginnend bei den historisch niedrigen Zinssätzen, der Aufweichung der Besicherungsvorschriften für die Refinanzierung der Banken bei den Notenbanken bis hin zu den Liquiditätsspritzen. Aber all das ergibt nur Sinn, wenn die Fiskalpolitik und andere Politikfelder ihre Aufgaben ebenfalls erfüllen. In der Eurozone wurde die Geldpolitik zentralisiert, während die Fiskalpolitik und andere wirtschaftspolitische Bereiche in nationaler Verantwortung verblieben sind. Das Dilemma hierbei ist: Die Geldpolitik geht voran, ergreift kurzfristig wirksame Maßnahmen und die übrige Politik sieht dann vielleicht gar keine Notwendigkeit mehr, ebenfalls zu handeln. Und so ist die Reformmüdigkeit eine der größten Gefahren, denen wir gegenüberstehen. Eine weitere Gefahr ist, dass der derzeitige Mix aus sehr niedrigen Zinsen, sehr niedriger Volatilität und sehr niedriger Inflation bei extrem hoher Liquidität manchen Akteur dazu verführt, den Schutzschild herunterzufahren. Denn vielfach wird niedrige Volatilität mit niedrigem Risiko gleichgesetzt. Diese Interpretation kann dazu führen, dass sich Investoren und Banken nicht absichern. Wenn dann aber irgendwann - etwa durch die Renormalisierung der Geldpolitik in den USA - die Zinsen steigen, wird es jene erwischen, die sich nicht abgesichert haben.

Das größte Problem der Eurozone ist das anämische Wachstum und die hohe Arbeitslosigkeit. Was tun?

Die gute Nachricht: Ungeachtet der Wachstumspause im zweiten Quartal dürfte die Eurozone in diesem Jahr wieder wirtschaftlich expandieren. Die Frage ist nur: Wachsen wir genug, um die Arbeitslosigkeit einzudämmen und abzubauen? Vor dem Hintergrund der derzeitigen geopolitischen Spannungen müssen wir uns da durchaus Sorgen machen. Ich setze aber gewisse Hoffnungen auf die Impulse, die von der Bankenunion ausgehen können. Nach dem Stresstest und der Bilanzprüfung in der Eurozone sollte Vertrauen zurückkehren, und das könnte bei den Banken Kräfte freisetzen, sodass wieder mehr investiert werden kann.

Die Bankenregulatoren wollen verhindern, dass so etwas wie 2008 wieder passiert. Aber die nächste Finanzkrise könnte von einer ganz anderen Ecke ausgehen, die die Regulatoren vielleicht nicht im Blick haben.

Ich warne vor zu großen Erwartungen an die Regulierer. Unsere beste Versicherung ist eine gesunde, seriöse Bankenkultur. Der Vizegouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Andreas Ittner, sagt immer: Bei der Bankenregulierung sei es wie im Autoverkehr. Dort gibt es auch Vorschriften, aber das Wichtigste ist, dass alle Verkehrsteilnehmer sich an diese Vorschriften halten und - mehr noch - vorausschauend fahren. Denn ein Autofahrer, der stur mit eigentlich erlaubten 100 km/h weiterfährt, wenn wegen Bodennebels oder Regens kaum mehr Sicht herrscht, handelt hochgradig verantwortungslos. Seneca hat einmal gesagt: Was das Gesetz nicht verbiete, verbiete vielleicht der Anstand. Soll heißen: Man muss nicht alles per Gesetz regeln, sondern sollte für eine gute Unternehmenskultur in den Banken sorgen. Es gibt zwar wenige Banken und auch wenige Banker in den Banken, die Fehler gemacht haben. Aber die Fehler, die gemacht wurden, waren massiv, unentschuldbar und haben die gesamte Branche in Misskredit gebracht.

Wie bewerten Sie die derzeitigen geopolitischen Risiken?

Die geopolitische Spannungen in Osteuropa und im Nahen Osten hatten bislang keine unmittelbaren negativen Auswirkungen für die Konjunktur im Euro-Raum - Rohöl hat sich zuletzt sogar verbilligt. Aber die Stimmung bei den Unternehmern leidet. Von den russischen Retorsionsmaßnahmen auf die EU-Sanktionen wurde bislang nur ein geringer Teil des EU-Exports betroffen, im Falle einer Ausweitung zu einem Handelskrieg wären die Folgen aber gravierend - vor allem den Energiesektor betreffend. Eine Ausweitung des Bürgerkriegs im Irak wiederum könnte negative Einflüsse auf die Ölpreisentwicklung haben. Das Risiko des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine für die deutsche Bankenlandschaft ist derzeit überschaubar. Aber eine Verschlechterung des Wirtschaftsklimas birgt natürlich ein Ansteckungsrisiko auf den europäischen und auch deutschen Bankensektor in sich. Wir beobachten daher die Entwicklungen sehr genau und mit Sorge.

Andreas Raymond Dombret (*16. Jänner 1960 in Des Moines, Iowa) ist ein deutsch-amerikanischer Wirtschaftswissenschafter und Bankmanager. Von 2005 bis 2009 war er bei der Bank of America tätig. Seit 1. Mai 2010 ist er Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank und zuständig für die Bereiche Banken und Finanzaufsicht, Risiko-Controlling. Er betätigt sich in Österreich als Kunst-Mäzen und war auf Einladung des Salzburg Global Seminar in Österreich.