Zum Hauptinhalt springen

Gut kopiert ist nicht genug

Von WZ-Korrespondent Fabian Kretschmer

Wirtschaft

Samsung steht unter Druck, globaler und innovativer zu werden. Die strenge koreanische Unternehmenskultur wird dabei zunehmend zur Last.


Seoul. Wenn Samsungs Personalabteilung die Pforten öffnet, steht Südkoreas Jugend Schlange: Über 200.000 Uni-Absolventen bereiten sich derzeit auf den Einstellungstest beim größten Industrie-Konglomerat des Landes vor, bis zum 12. Oktober werden sie annähernd sieben Millionen Euro für Nachhilfe und Lehrbücher ausgegeben haben. Doch schon im Vorfeld steht fest: Eine Anstellung erhält nur ein Zwanzigstel von ihnen.

Noch immer zählt ein Arbeitsvertrag bei Samsung in Südkorea als Ritterschlag. Das Unternehmen steht nicht nur für wirtschaftlichen Erfolg, sondern symbolisiert auch den Inbegriff des neu gewonnenen Nationalstolzes. Sein Umsatz macht ein knappes Viertel des gesamten Bruttoinlandsprodukts Südkoreas aus, zudem zeichnet sich das Unternehmen für ein Drittel aller Exporte verantwortlich - überspitzt ausgedrückt: Wenn das nächste Galaxy Smartphone floppt, kriselt das ganze Land.

1938 gründete Lee Byung-chull sein Unternehmen als kleinen Greißler, 76 Jahre später ist Samsung nicht nur zum größten Handyhersteller der Welt avanciert, sondern auch einem der erfolgreichsten Schiffsbauer, betreibt einen eigenen Freizeitpark außerhalb von Seoul, zählt zum größten Lebensversicherer seines Heimatlandes - und vieles weitere mehr. Grundlage für diesen rasanten Aufstieg bildete nicht zuletzt das konfuzianische Erbe: Die Arbeitsschichten der Samsung-Manager blieben unerreicht, genau wie ihre Loyalität gegenüber ihren Vorgesetzten. Im Gegensatz zu den verspielten Erlebniswelten von Google und Apple gleicht Samsungs Unternehmenskultur noch immer einem militärisch geführtem Korps. Doch auf dem Weg in ein globales, kreatives Unternehmen fallen die ureigenen Traditionen dem Unternehmen nun zunehmend zur Last.

Neue Kultur gesucht

Die Probleme sind offensichtlich: Nur wenige ausländische Topmanager möchten auf Dauer für die Südkoreaner arbeiten, und die "Glasdecke" für Frauen, die in der chauvinistischen Welt der "Samsung-Männer" aufsteigen wollen, ist besonders dick. Auch Compliance und Governance sind fernab von westlichen Standards.

Samsung steuert auf ein nur schwer lösbares Dilemma zu. "Das Unternehmen muss dringend eine Kultur etablieren, die Kreativität, Offenheit und Innovation fördert. Aber genau das würde auch Samsungs größte Stärke in Gefahr bringen: die militärische Hierarchie, die es der Firma ermöglicht, in Lichtgeschwindigkeit zu agieren und die Konkurrenz zu überholen", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen hochrangigen Produktmanager, der das Unternehmen im April verlassen hat.

Wirtschaftlich steht das Unternehmen unter Zugzwang: Die Umsätze von Samsung Electronics, dem Steckenpferd des Mischkonzerns, sanken im zweiten Quartal 2014 um stolze 25 Prozent. Damit erlitt es den größten Einbruch seit über zwei Jahren. Im chinesischen Smartphone-Markt wurde es vor kurzem von der heimischen Billigkonkurrenz überholt. Zudem will man den Verkauf von Notebook-Computern in Europa einstellen. Man passe sich damit an "aktuelle Marktbedürfnisse und Anforderungen" an, erklärte das Unternehmen am Mittwoch - und kündigte zugleich die Vorverlegung des Verkaufsstarts des neuen Smartphones Galaxy Note 4 auf diese Woche an. Beobachter mutmaßen, dies liege auch an den Rekordverkäufen des neuen iPhones.

Über 100 Führungskräfte gaben gar in einem Akt der Loyalität ein Viertel ihrer Boni an das Unternehmen zurück. Gleichzeitig kündigte Samsung an, künftig bei kürzeren Geschäftsreisen ihrer Mitarbeiter auf Businessclass-Flüge zu verzichten.

Hinzu kommt das anhaltende Führungsvakuum: Seit Mai liegt Unternehmensvorstand Lee Kun-hee nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus, derzeit wird sein 46-jähriger Sohn Lee Jae-yong als Thronfolger aufgebaut, der unter anderem die Kommunikation mit internationalen Großkonzernen wie Apple leitet. Doch ob Lee Jae-yong wirklich bereit ist, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, darf bezweifelt werden: Noch während der Vorwehen der Dotcom-Blase hatte er Unmengen an Unternehmensvermögen in den Sand gesetzt.

Lange basierte die Unternehmensstrategie von Samsung vor allem darauf, die Produkte der Marktführer zu kopieren, deren Technologie zu perfektionieren und wenig später die eigenen, technisch überlegenen Produkte auf den Markt zu werfen. Doch nun möchte Samsung vom "Fast Mover" zum "First Mover" aufsteigen - und muss sich dafür von Grund auf neu erfinden.

Erste Anzeichen einer neuen Unternehmenskultur waren jüngst verbesserte Mutterschutzprogramme und eine propagierte "Work Smart"-Philosophie mit flexibleren Arbeitszeiten. Seit diesem Sommer dürfen die Samsung Mitarbeiter in der Hauptzentrale in Suwon erstmals bei Wochenendschichten Shorts tragen, und in dem neu eingerichteten "Creative Lab"-Programm können sich Mitarbeiter ein ganzes Jahr freinehmen, um sich neuen Ideen zu widmen.

Sorgen um Work-Life-Balance

Der 29-jährige Hong Sang-ju, der als Ingenieur bei Samsung Electronics arbeitet, erlebt die Transformation seines Arbeitgebers alltäglich: Noch vor wenigen Jahren sei es tabu gewesen, das Büro vor dem Vorgesetzten zu verlassen, auch wenn diese für ihre immense Arbeitswut berüchtigt sind. Und wenn der Chef nach Feierabend noch einen trinken gehen wollte, musste stets die gesamte Abteilung mit. Sogenannte "Hoesiks" - das traditionelle koreanische Feierabendritual, bei dem Netzwerke über meist exzessiven Alkoholkonsum geknüpft werden - seien regelmäßig ausgeartet. Besonders die jüngeren Angestellten seien derart abgefüllt worden, dass sie am Ende wortwörtlich unter dem Tisch lagen. Doch natürlich war jeder am nächsten Morgen wieder pünktlich um 8 Uhr vor Ort. "Heute fehlt den jüngeren Mitarbeitern dieser "Samsung-Spirit". Die neue Generation ist vor allem um ihre Work-Life-Balance besorgt", sagt Hong.

Zum ersten Mal seit über zehn Jahren wurde Samsung heuer als beliebtester Arbeitgeber des Landes von der Fluggesellschaft Korean Air abgelöst. Die südkoreanische Jugend erwartet sich mittlerweile mehr von seinem zukünftigen Arbeitgeber als satte Löhne. Auch Hong Sang-ju würde seine Freizeit gerne ausgiebiger genießen. Derzeit hat er Sechs-Tage-Wochen und kann höchstens zweimal im Monat vor acht Uhr Feierabend machen.