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Die Geister, die sie riefen

Von Simon Rosner

Wirtschaft

Zuerst schlossen Staaten Investitionsschutzabkommen, um ihre Volkswirtschaften zu fördern. Nun werden die Staaten immer öfter von Konzernen geklagt - und erstmals auch Österreich.


Wien. Das waren noch Zeiten, als in Flugzeugen, Bussen, Theatern und natürlich in jedem anständigen Hollywood-Film ordentlich geraucht wurde. Doch die Gesetze sind strenger geworden, und das praktisch weltweit. Uruguay war im Jahr 2006 eines der ersten Länder, das vorgeschrieben hat, dass es keine Light-Zigaretten mehr geben darf und die Packerln mehr oder weniger zur Gänze aus Warnhinweisen bestehen müssen. Philip Morris klagte dagegen.

Der Tabakkonzern wandte sich jedoch nicht an ein nationales Höchstgericht, sondern an das internationale Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington. Es geht um die eher schmale Summe von 25 Millionen Euro, um die sich Philip Morris aufgrund der Nichtrauchergesetze geschädigt sieht. Doch der Betrag ist nebensächlich. Denn sollte Uruguay verlieren: könnten dann Tabakkonzerne weltweit Kompensationen für Nichtraucherschutzgesetze einfordern?

Der Fall Philip Morris gegen Uruguay gehört zu den spektakulärsten Fällen, die derzeit beim ICSID verhandelt werden, und er wird immer wieder herangezogen, um die Umkehrung der Machtverhältnisse von Staaten zu globalen Konzernen zu illustrieren. Und tatsächlich mehren sich die Fälle seit Jahren merklich, in denen Staaten von Unternehmen im Sinne des Investitionsschutzes geklagt werden, 196 sind derzeit anhängig.

Urangst Enteignung

Ein weiteres Verfahren könnte bald dazukommen, denn erstmals könnte sich die Republik als beklagte Partei in Washington wiederfinden. Die holländische Eigentümerin der Meinl-Bank sieht ihre Investitionen durch das Vorgehen der Justizbehörden gegen Manager der Bank um 200 Millionen geschmälert und will diesen Betrag beim ICSID durchsetzen.

Doch zurück zum Start, zurück ins Jahr 1958. Denn damals, noch vor Gründung des Schiedsgerichts, schloss Deutschland mit Pakistan das erste Investitionsschutzabkommen ab. Beide Volkswirtschaften sollten davon profitieren, dass Investitionen vor Diskriminierung und kompensationsloser Enteignung geschützt werden. Denn das ist gewissermaßen die Urangst aller Investoren und sie ist naturgemäß größer, wenn das Vertrauen in Legislative und Judikative fehlt, wie in vielen ärmeren Ländern. Und natürlich ging es auch beim Abkommen von 1958 in erster Linie um deutsche Investitionen in Pakistan, nicht umgekehrt.

Heute dürften zwischen 3500 und 5000 solcher bilateraler Verträge existieren, wobei Österreich spät dran war. Erst 1986 wurde das erste Abkommen mit China geschlossen, weitere 61 folgten. Fast immer ist in ihnen das Schiedsgericht als Schlichtungsstelle festgeschrieben, wobei diese private Form der Streitregelung bis weit in die 1990er kaum eine Rolle spielte, die Anzahl der Fälle lag pro Jahr im einstelligen Bereich. Die Quasi-Versicherung für Investoren genügte also, um Investitionen auszulösen.

Ideologische Gräben

Auch hat sich mittlerweile geändert. In den USA gibt es Kanzleien, die aus dem Investorenschutz ein Geschäftsmodell entwickelt haben. Sie übernehmen die hohen Kosten für ein solches Verfahren (durchschnittlich acht Millionen US-Dollar), dafür erhalten sie im Erfolgsfall einen Großteil der erstrittenen Summe. Es sind klassische "Ambulance Chaser", aber eben im Kampf gegen Staaten. Und immer wieder geht es dabei um die Frage: Was ist eine kompensationslose Enteignung? Der Imageverlust einer Bank, weil die Justiz Anklage gegen deren Manager erheben will? Ein neues Tabakgesetz?

Es diesen Fragen geht der ideologische Graben zwischen jenen auf, die das Primat der Politik verteidigen, und jenen, die im Zweifel den Schutz des Individuums priorisieren. Kritiker des bei der Weltbank angesiedelten ICSID argumentieren, dass die Politik in ihren ordnungspolitischen Möglichkeiten eingeschränkt wird.

"Das ist unrichtig", sagt Florian Haugeneder, Schiedsgerichtsexperte der Kanzlei Wolf Theiss. "Beim Investitionsschutz geht es vielmehr um Geldersatz, nicht um das Diktat politischer Richtungsentscheidungen." Ein Beispiel dafür ist die Klage des schwedischen Konzerns Vattenfall gegen Deutschland, nachdem die Regierung Merkel nach dem Unglück in Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie beschloss. Das sei, so Haugeneder, eine demokratisch legitimierte Entscheidung gewesen, doch der Investor müsse, wenn völkerrechtliche Schutzstandards verletzt werden, für die Beeinträchtigung seiner Investitionen entschädigt werden. "Das heißt nicht, dass Deutschland nicht wirksam aus der Atomenergie aussteigen kann."

Ungleiche Behandlung

In diesem Fall wird Deutschland jedoch auf 4,7 Milliarden Euro geklagt, und auch in anderen Fällen geht es um Milliardenbeträge in Washington. Gerade in Zeiten klammer staatlicher Budgets könnten solche Summen durchaus Argumente gegen die gesetzliche Eingriffe sein.

Das Besondere an dem Fall in Deutschland: Auch Konkurrenten von Vattenfall gehen gegen den Atomausstieg vor, allerdings müssen sich diese an nationale Gerichte wenden, da es sich nicht um ausländische Investoren handelt. "Es ist ein allgemeines Problem, dass der völkerrechtliche Schutz von ausländischen Investoren bisweilen größer ist. Das ist eine Ungleichbehandlung", sagt Experte Haugeneder. "Beim Menschenrechtsschutz hat man das überwunden, und ich wünsche mir generell, dass es eine Ausweitung des völkerrechtlichen Schutzes von Individuen gibt."

Auf politische Ebene wehren sich unter anderem SPÖ und Grüne dagegen, Kanzler Werner Faymann hat am Freitag beim EU-Gipfel die geplanten Schiedsgerichte beim Freihandelsabkommen TTIP mit den USA und Kanada kritisiert. Aus dem Büro von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner heißt es: "Grundsätzlich liegt der Schutz von Investitionen im Interesse eines stark exportorientierten Landes." Auch österreichische Firmen haben sich bereits an Schiedsgerichte gewandt, die EVN wegen Streitfällen in Bulgarien und Mazedonien, die Casinos Austria bekämpfen derzeit die entzogene Lizenz in Argentinien, wobei es um eine Viertelmilliarde Euro geht.

Mittlerlehner will die Schiedsgerichte jedoch weiterentwickelt wissen, konkret fordert er mehr Transparenz, klarere Kriterien und Berufungsinstanzen. Diese sind beim ICSID derzeit nicht vorgesehen.

Sollte nun Vattenfall gegen Deutschland oder die Meinl-Bank gegen Österreich erfolgreich sein, stellt sich auch die Frage, welches Risiko bei den Investoren liegt. Denn Vattenfall ging zu einem Zeitpunkt nach Deutschland, als andere aus diesem Markt gerade hinaus wollten. Denn die rot-grüne Regierung hatte damals, 1999, gerade über ein Ende der Atomkraft in Deutschland diskutiert. Es war also ein prinzipiell gewagtes Investment, das aber insofern aufging, weil zehn Jahre später die Laufzeiten der Atomkraftwerke von der Regierung Merkel verlängert wurden. Dann passierte jedoch das Unglück in Fukushima und änderte wieder alles.

Doch wo genau zwischen der willkürlichen Enteignung eines Investors zugunsten einer autokratischen Herrscherfamilie und umweltpolitischen Maßnahmen einer demokratisch gewählten Regierung setzt das Risiko eines Investors ein? Der Fall Philip Morris gegen Uruguay hat das Potenzial dazu, hier eine Art Latte zu definieren.