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Der Fluch des Ölreichtums

Von Thomas Seifert

Wirtschaft

Analyse: Der niedrige Ölpreis ist nicht nur für Länder wie Venezuela ein Problem - aber Saudi-Arabien verweigert diesmal Preisstützung.


Es ist ein Paradoxon: Reichtum an natürlichen Ressourcen ist für viele Länder alles andere als ein Segen, sondern ein Fluch. Ökonomen konnten in den 1980er Jahren zeigen, dass ein Reichtum an Ressourcen dazu führt, dass das Wirtschaftswachstum geringer ist, als eigentlich zu erwarten wäre. Die Währungen von ölexportierenden Ländern sind demnach meist tendenziell überbewertet (wie etwa der russische Rubel vor dem Crash), was wiederum die Exportindustrien schwächt. Und da die Importe billig sind, ist die Diversifizierung der lokalen Wirtschaft gehemmt, was die Abhängigkeit des Landes von Rohstoffexporten nur weiter verstärkt.

Sinkt der Ölpreis, dann geraten jene Länder, die eine wirtschaftliche Öl-Monokultur entstehen haben lassen, plötzlich in ernsten Schwierigkeiten: Venezuela mit seiner Tagesproduktion von 2,3 Millionen Fass Rohöl pro Tag ist da ein gutes Beispiel. Die Wirtschaft des Landes, die stark von seinen Ölexporten abhängig ist, war aufgrund der Misswirtschaft der Ära von Hugo Chávez schon seit einiger Zeit geschwächt, seit dem rapiden Ölpreisverfall ist sie praktisch im freien Fall. Und auch die Nervosität von Wladimir Putin und sein Spiel auf der Klaviatur des Nationalismus lässt sich wohl daraus erklären, dass die fetten Jahre hoher Ölpreise vorbei sind.

Und während in früheren Jahren das Königreich Saudi-Arabien einen Ölpreisverfall mit einer Drosselung der Förderung gestoppt hat, erschien eine solche Maßnahme den Ölscheichs nicht opportun: Saudi-Arabien sitzt auf einem riesigen Berg von Devisenvorräten (rund 750 Milliarden US-Dollar) und hofft, missliebige Konkurrenten, die mit höheren Produktionskosten leben müssen, aus dem Markt zu spülen. Denn der Fracking-Boom in den USA und das damit einhergehende zusätzliche Öl-Angebot auf dem US-Markt hat zum Preisverfall beigetragen. Sinken die Preise - so das Kalkül der Saudis -, dann werden wohl eine Anzahl von Öl-Produzenten in den USA in den Konkurs getrieben. Der Ölpreis würde dann aufgrund des wieder sinkenden US-Angebots nach oben ziehen.

Der niedrige Ölpreis wirkt sich in Europa freilich weniger günstig auf die Wirtschaft aus als in den USA, weil gleichzeitig der Euro im Vergleich zum Dollar an Boden verloren hat. Grund dafür waren zuletzt Hinweise auf ein baldiges Ende der sehr lockeren Geldpolitik und neue Sorgen um Griechenland in der Eurozone.