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Gute Idee, schlechte Argumente

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

Die Propagandafront der Wirtschaftslobby für das Handelsabkommen zwischen EU und USA ist dessen größtes Risiko.


Wien/Brüssel. Die EU-Kommission wünscht sich von den 28 Mitgliedstaaten einen positiveren Umgang mit dem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA, das unter dem Kürzel TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) bekannt ist. Denn es würde den Handel beleben und zum Wirtschaftswachstum beitragen. Die Gegner, die am 18. April einen globalen Aktionstag gegen das Abkommen vorbereiten, fürchten durch TTIP den Abbau von Sozialstandards und eine Privatisierung des Rechtsstaats durch sogenannte Schiedsgerichte.

Die Skepsis in der Zivilgesellschaft der EU, aber auch der USA gegen die "ökonomische Nato" steigt, auch in Europas Parlament ist eine Zustimmung noch keine ausgemachte Sache. Österreich wird von der EU-Kommission besonders genau beobachtet, denn hierzulande ist die Ablehnung von TTIP am stärksten.

In einer globalisierten Welt sind Freihandelsabkommen grundsätzlich logisch und plausibel. Die Vorbehalte gegen TTIP allerdings haben - so sagen erste selbstkritische Stimmen aus Brüssel - auch die Befürworter selbst verursacht. Zu Beginn, noch unter EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, wurden die Verhandlungen sehr diskret geführt. Nachdem es 2013 von den 28 Regierungschefs ein einstimmiges Mandat für die EU-Kommission gab, mit den USA ein solches Abkommen zu verhandeln, begann auf Beamtenebene ein emsiges, aber intransparentes Treiben. Das wurde von EU-Parlamentariern und Nichtregierungsorganisationen heftig kritisiert. Barrosos Nachfolger Jean-Claude Juncker hat mittlerweile vorhandene Papiere veröffentlichen lassen.

Wirtschaftslobby schreibt sich Verhandlungsthemen selbst

Bei einem anderen Thema tun sich die EU-Kommission und auch die US-Verhandler härter. Gleich bündelweise und zum Teil wörtlich wurden Vorschläge der Unternehmenslobbyisten in die offiziellen Verhandlungen aufgenommen. Das weckte das Misstrauen der Gewerkschaften.

Gleichzeitig meinten es die Wirtschaftsverbände wohl etwas zu gut, als sie die Vorzüge des Freihandelsabkommens lobten. So erklärte Business Europe, der Brüsseler Dachverband der EU-Industrie, dass 1,3 Millionen Jobs in Europa entstehen würden. Und die American Chamber of Commerce, machtvolle Wirtschaftslobby in Washington, verkündete, TTIP würde jedem Amerikaner 900 Dollar jährlich bringen.

Unabhängigere Experten sind da viel vorsichtiger. Der Chef des deutschen Arbeitsmarktservice, Frank-Jürgen Weise, sagte im Jänner: "Ich erwarte kein Vernichten von Jobs, aber auch nicht den Jobboom. Als Land, das seinen Wohlstand nicht zuletzt daraus schöpft, dass es sehr viel exportiert, kann man ja nur für freien Handel plädieren. Ich erwarte mir daraus aber keinen großen Sprung an neuer Beschäftigung."

Und auch Fritz Breuss, EU-Experte im Wifo, erwartet "keine nennenswerten Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte". TTIP würde in Drittstaaten sogar Arbeitsplätze vernichten. Studien, die von Gewerkschaftsseite in Auftrag gegeben wurden, sprachen sogar von einem Verlust von Arbeitsplätzen in der EU. In einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ an Kanzler Werner Faymann über die Auswirkungen von TTIP auf den österreichischen Arbeitsmarkt verwies dieser bloß auf die unterschiedlichen Studien, konkrete Zahlen nannte er nicht.

Es geht vorrangig um Geld,erst dann um Arbeitsplätze

Auch ohne Expertenwissen ist das Misstrauen der Bevölkerung gestiegen. Das Freihandelsabkommen, das nicht nur den Zollabbau, sondern auch gemeinsame Normen und Standards festsetzen sowie bürokratische Schranken überwinden soll, wird als Elitenprojekt gehandelt, von dem der normale Bürger nicht profitiert.

Und so falsch ist diese Einschätzung nicht. Hauptprofiteure von TTIP sind transatlantisch tätige Großkonzerne sowie deren Großaktionäre, die sich ebenfalls auf beiden Seiten des Atlantiks finden. Die USA machen gar keinen Hehl daraus, dass der "Intercompany Trade" wesentlicher Profiteur sein wird. Und der macht laut einer Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung etwa ein Drittel des Handelsvolumens zwischen der EU und den USA aus. TTIP bringt diesen Konzernen Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe. Was davon investiert wird (und Jobs schafft), und was als höhere Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet wird, vermag niemand zu sagen.

Jedenfalls haben die unrealistisch optimistischen Joberwartungen der Arbeitgeberlobby das Misstrauen in Gewerkschaften und Zivilgesellschaft erhöht. Diese Lobbys geben beträchtliche Summen aus, um das Abkommen durchzupeitschen. Es geht immerhin um sehr viel Geld. EU und USA stehen für ein Drittel des Welthandelsvolumens, in Zahlen sind dies etwa 7,5 Billionen Dollar. Und die beiden Wirtschaftsräume vereinen etwa die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung - etwa 39 Billionen Dollar.

Angesichts solcher Zahlen wird es verständlich, dass die Wirtschaftslobby nicht nur vehement auf einen TTIP-Abschluss drängt, sondern dafür auch Millionenbeträge in Brüssel und Washington ausgibt.

Doch je drängender Industrie- und Bankenverbände auf den für Jahresende 2015 geplanten Verhandlungsabschluss pochen, desto skeptischer reagiert die Bevölkerung. Die im Abkommen vorgesehenen Schiedsgerichte sind vielen ein Dorn im Auge. Im Europäischen Rat zählt Österreichs Bundeskanzler zu deren Kritikern. Vereinfacht gesagt können demnach Konzerne gesetzliche Verschlechterungen ihrer Investitionsbedingungen, etwa durch die Anhebung sozialer oder ökologischer Standards, einklagen. Das Urteil fällen Anwälte der jeweiligen Partei, die ihrerseits einen Vorsitzenden bestimmen.

Bilaterale Abkommengehen zu Lasten Dritter

Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kann sich nun vorstellen, dass diese Schiedsgerichte von Berufsrichtern gebildet werden und es danach noch eine Instanz gibt, die Einsprüche beurteilt. Auch die USA haben Bereitschaft signalisiert, diese Schiedsgerichtsverfahren mittels TTIP neu zu organisieren. Kritiker wie Attac meinen, Gabriels Vorschlag sei sinnlos, denn dann könnten es doch gleich ordentliche Gerichte erledigen.

Internationale Experten wie Michael Reiterer,früherer EU-Botschafter in der Schweiz, verweisen auf grundsätzliche Gefahren: "Bilaterale Handelsabkommen schließen immer jemanden aus. Multilaterale Abkommen wären effizienter, aber die Welthandelsorganisation ist dafür derzeit zu schwach." Eine Rolle könnte diese Welthandelsorganisation allerdings doch spielen. Denn zuerst muss das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA von US-Kongress und EU-Parlament ratifiziert werden. Möglicherweise wird es auch noch den Parlamenten in allen 28 EU-Ländern zur Abstimmung vorgelegt (Griechenland hat für diesen Fall schon seine Ablehnung angekündigt). Wenn das alles klappt, können trotzdem Drittstaaten wie Russland noch bei der Welthandelsorganisation eventuelle Benachteiligungen beklagen.