Wien. (wak) Das Wort "Reform" bedeute heute nur noch eines: das Aufzwingen des als einzig wahr erkannten ökonomischen Modells. "Es ist vielleicht ein bisschen harsch, aber nicht ganz falsch, das als ‚Stalinismus des Marktes‘ zu bezeichnen", wetterte James K. Galbraith vom Podium. Der US-amerikanische Ökonom, Sohn des bekannten Intellektuellen John K. Galbraith und Professor an der University of Texas in Austin, war auf Einladung des Karl Renner Instituts in Wien und hielt einen Vortrag mit dem Titel "Tyrannei der ,Reformen‘ in Europa und Amerika". Was Reformen bedeuten, habe Galbraith gesehen, sagte der Ökonom und erwähnte seine Freundschaft zum ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Mit diesem hatte er heuer auch eine Reise nach Berlin unternommen, um den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble davon zu überzeugen, dass Athen keine weiteren Reformen überleben könnte. Varoufakis ist inzwischen zurückgetreten, Athen hat für neue Kredite neue Reformen versprochen. "Reformen bedeuteten in Griechenland eine Senkung der Löhne, dadurch einen Anstieg der Schwarzarbeit und dadurch weniger Steuern. Die aufgezwungenen Privatisierungen brachten nur wenig Geld, weil jeder Käufer wusste, dass Athen jetzt um jeden Preis verkaufen muss", sagte Galbraith. "In Wahrheit verkleidet sich die Politik des Schuldeneintreibens mit dem Wort ‚Reform.‘"
"Modell der Plantagenbesitzer"
Galbraith zweifelt auch stark an, dass diese Reformen das Wirtschaftswachstum auf eine gesunde Art beflügeln. Das Verständnis konservativ-liberaler Ökonomen, und damit der Vertreter der Austeritätspolitik, sei folgendes: Was auch immer der Staat quasi zur Verfügung stelle, etwa Krankenversicherungen, würde Abhängigkeiten produzieren. Und daraus würde eine Aversion gegenüber dem Arbeiten entstehen. Die daraus resultierende Logik: Man müsse den Sozialstaat zerstören, Bezüge kürzen, das Pensionsalter erhöhen. So würde man das Wachstum anregen - und die Antwort auf alle Probleme haben. Zuletzt hatte er in Dallas, Texas, solche Erklärungen gehört, was ihn nicht wundert, denn es sei gerade für den Süden der USA ein typisches, ein wiedererkennbares Modell: "Es ist das Wirtschaftsmodell der Plantagenbesitzer." Hier "werden Lösungen geschaffen, wenn man genug Arbeit hat - und genug Peitschen."
Aber selbst wenn man es versuchen würde, könnte man das derzeitig stagnierende Wirtschaftswachstum nicht beleben. Denn in den vergangenen Jahren der Wirtschaftskrise hätten sich die Rahmenbedingungen stark verändert. Diese Problematik ist Gegenstand von Galbraiths Buch, "The End of Normal". In diesem hat er vier Felder festgemacht, die sich entscheidend verändert haben. Eines davon sind die Ressourcen, also Rohstoffe: Früher sind deren Preise relativ langsam gestiegen. Doch um die Jahrtausendwende gab es plötzlich eine Verknappung, die Preise sind stark in die Höhe geschnellt, um dann später umso stärker zu kollabieren. Dieser Zyklus wurde und wird von Spekulationen angetrieben.
Der zweite Problemkreis betrifft Geopolitik: "Wir hatten ein halbes Jahrhundert lang relative Stabilität." Heute habe man den Irak, Syrien und Afghanistan. "Wenn es keine globale Stabilität gibt, ermutigt das nicht gerade langfristige Investitionen."
Die dritte tiefgreifende Veränderung sei die digitale Revolution. Diese habe nicht nur die Kosten von Kommunikation gesenkt, sondern massiv Arbeitsplätze redundant gemacht. Einige Ökonomen geben hier zu bedenken, dass auch die Motorisierung des Verkehrs eine einschneidende technologische Revolution gewesen sei. Diese hätte dagegen mehr Arbeitsplätze geschaffen. Galbraith dagegen glaubt nicht, dass die jetzige technologische Revolution dieselben Effekte hat. Außerdem: Es gab auch viele, die durch die Motorisierung arbeitslos wurden, "aber dabei handelte es sich vor allem um Pferde", erklärte Galbraith und erntete ein paar Lacher im Publikum.
Das vierte Feld ist die neu hinzugekommene offensichtliche Beeinflussung oder sogar Kontrolle der Regierungen durch den Finanzsektor. Dabei sollte man es sich dem Ökonomen zufolge in Erinnerung rufen, dass es höchstwahrscheinlich nicht der Finanzsektor sein wird, dem Sozialversicherungen oder die Schaffung von sicheren Arbeitsplätzen am Herzen liegt. Er erinnerte auch daran, dass in den USA Mindestlohn, Sozialversicherungen sowie Essensmarken immer in Zeiten wirtschaftlicher Notlagen eingeführt wurden. Deswegen haben sich die USA auch immer viel schneller aus den Krisen herausbewegt. "Anders als in Europa, wo man jene Systeme, die die Folgen der Krise abmildern sollten, beschnitten hat."