Frankfurt. (reuters/rs) Viel Zeit hat sich John Cryan nicht gegeben. Nur drei Monate nach seinem Amtsantritt macht der neue Chef der Deutschen Bank klar Schiff: Damit Deutschlands größtes Geldhaus unbelastet mit seiner "Strategie 2020" starten kann, räumt der Brite radikal in der Bilanz auf. Das führt im dritten Quartal zu einem Rekorderlust von rund sechs Milliarden Euro, wie das Institut in der Nacht auf Donnerstag überraschend mitteilte. Nicht einmal im Jahr 2008, als der Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers die globale Finanzkrise einläutete, hat die Deutsche Bank so viel Geld verloren. Grund für das enorme Minus sind nicht nur massive Abschreibungen auf das Investmentbanking und das Privatkundengeschäft - beide Sparten stehen vor tiefen Einschnitten. Die Bank muss auch erneut viel Geld für Rechtsstreitigkeiten zur Seite legen. Die Dividende für 2015 könnte deshalb ganz oder teilweise ausfallen. Und auch die 98.000 Mitarbeiter müssen mit geringeren Boni rechnen.

Cryan hatte im Juli die Nachfolge des glücklosen Anshu Jain angetreten, der das Vertrauen der großen Investoren verloren hatte. Sie waren unzufrieden, weil die Rendite schwach und kein Ende der unzähligen Skandale absehbar war. Viele internationale Konkurrenten sind längst davongezogen. Jain hatte die neue Strategie noch auf den Weg gebracht.Im Kern sieht sie eine deutliche Schrumpfkur für das Geldhaus vor, weil es sich seine riesige Bilanz in Zeiten strengerer Regulierung nicht mehr leisten kann: Die erst vor fünf Jahren gekaufte Postbank wird veräußert oder an die Börse gebracht, das übrige Privatkundengeschäft mit den sogenannten "blauen" Filialen zurückgefahren. Das Investmentbanking soll ebenfalls schlanker, dafür aber schlagkräftiger werden. Finanzkreisen zufolge werden dadurch tausende Jobs wegfallen. Wie viele es genau sind, dürfte klar werden, wenn Cyran am 29. Oktober den Feinschliff für die "Strategie 2020" präsentiert.

Eigenkapital bleibt erhalten

Tief in die Verlustzone treiben die Bank die Abschreibungen auf den Firmenwert der US-Investmentbank Bankers Trust, die sie vor 16 Jahren übernommen hatte. Auch die Postbank ist weit weniger wert als bei der Übernahme 2010. Früheren Angaben zufolge steht sie mit 6 Milliarden Euro in den Büchern, Experten halten beim geplanten Börsengang aber eine Bewertung von weniger als 4 Milliarden Euro für realistisch.

Allerdings knabbern all diese Abschreibungen nicht das kostbare Eigenkapital an. Dort fallen nur die 1,2 Milliarden Euro ins Gewicht, die die Bank erneut für Rechtsstreitigkeiten zur Seite legen muss - für die Altlasten wurden heuer schon vier Milliarden Euro zurückgestellt. Die Fälle reichen von der Manipulation des Libor-Zinssatzes bis zum Verdacht milliardenschwerer Geldwäsche durch Kunden in Russland. Außerdem wartet die Bank auf eine Einigung mit den US-Behörden im Streit um Sanktionsverstöße. Finanzkreisen zufolge wurden dafür aber genug Reserven gebildet. Die Kernkapitalquote werde bei rund elf Prozent bleiben.

An den Börsen hat die Deutsche Bank trotz des Rekordverlusts zunächst zulegen können. Nach einem ersten Schock erholten sich die Aktie rasch und stieg um 2,7 Prozent, das Papier wurde dann aber durch die angekündigte Kapitalerhöhung der Credit Suisse erneut in die Tiefe gerissen. Erklären lässt sich die dennoch positive Grundstimmung an den Märkten laut Analysten vor allem damit, dass mit den Einsparungen nun die Gefahr sinke, dass die Deutsche Bank die Aktionäre ein weiteres Mal um Kapital bitten müsse. "Cryan macht mit dem Schritt deutlich, dass er keine Kapitalerhöhung braucht", sagte ein anonym bleiben wollender Investor, der zu Gruppe der zehn größten Anleger gehört. "Das ist die entscheidende Botschaft." Wegen der 75 Cent Dividende habe ohnehin niemand das Papier gekauft, argumentierte ein Top-20-Investor. "Aber nun gibt es klare Anzeichen, dass man sich an die schwierigen Entscheidungen heranwagt." Die Analysten von Citi rechnen aber damit, dass die Bank trotzdem nicht an einer Kapitalerhöhung vorbeikommt, allerdings erst 2016.